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Seite:Die Gartenlaube (1880) 429.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

No. 27.   1880.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Alle Rechte vorbehalten.
Frühlingsboten.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Fräulein Lina, die am Fenster stand, blickte hinaus.

„Es ist Herr von Ettersberg,“ sagte sie, den Gruß desselben erwidernd.

„Oswald?“ fragte Rüstow. „Er kommt vermuthlich, um Abschied zu nehmen; er wollte ja in diesen Tagen abreisen. Lassen Sie doch Hedwig rufen! Sie ist im Parke.“

Die alte Dame zögerte. „Ich weiß nicht – ich glaube, Hedwig wollte noch einen Spaziergang machen. Sie wird gar nicht zu finden sein, und überdies sind Sie und ich ja hier.“

„Nun, das wäre aber doch mehr als unhöflich, wenn Hedwig nicht einmal bei dem Abschiedsbesuche ihres künftigen Cousins erscheinen wollte,“ sagte Rüstow unwillig. „Der Diener soll wenigstens nachsehen, ob sie im Parke ist, und sie in diesem Falle benachrichtigen.“

Er wollte klingeln, aber Fräulein Lina kam ihm zuvor.

„Ich werde hinausschicken. Empfangen Sie inzwischen Herrn von Ettersberg!“

Damit verließ sie das Zimmer und kam erst nach Verlauf von einigen Minuten zurück. Sie wußte sehr gut, daß Hedwig sich im Parke befand; trotzdem war der Befehl, sie zu rufen nicht gegeben worden.

Oswald war inzwischen eingetreten. Er kam in der That, um Abschied zu nehmen, hatte aber noch einige dringende Geschäfte und Reisevorbereitungen, die durchaus noch heute erledigt werden mußten. Er konnte deshalb nur ein flüchtiges Lebewohl sagen. Man sprach von allem Möglichen; der Oberamtsrath bedauerte, daß seine Tochter in der That auf einem Spaziergange sei; er habe bereits nach dem Parke hinaus gesandt, der Diener müsse sie aber nicht gefunden haben. Oswald bedauerte das gleichfalls höflich, bat, dem Fräulein seine Empfehlungen und Abschiedsgrüße auszurichten, und beendigte den Besuch nach kaum einer Viertelstunde. Rüstow sah seinen Günstling mit schwerem Herzen scheiden; Fräulein Lina dagegen athmete verstohlen auf, als der Wagen aus dem Hofe rollte. –

Oswald hatte sich in die Ecke des Wagens zurückgelehnt. Er war froh, daß dieser Abschied überstanden war, unendlich froh, wenigstens sagte er sich das. Er hatte diese Stunde lange genug gefürchtet – oder vielleicht auch erhofft. Gleichviel, jedenfalls war es am besten so. Mit dem Lebewohl, das der Zufall ihm verwehrte, wurde ihm nur eine letzte nutzlose Qual erspart. Jetzt waren die Kämpfe der letzten Tage und Wochen zu Ende, Kämpfe, die freilich Niemand gesehen hatte, die aber doch das ganze Wesen des jungen Mannes aus seinen Fugen zu reißen drohten. Es war die höchste Zeit, daß er ging. Mit der Entfernung wurde vielleicht der Bann gebrochen, und wurde er es nicht, so war wenigstens eine Scheidewand aufgerichtet. Jetzt galt es, sich mit voller Energie in das neue Leben zu werfen, zu arbeiten, zu ringen und womöglich zu vergessen – und während sich Oswald das immer und immer wiederholte, pochte es wild und verzweiflungsvoll in seiner Brust und mahnte ihn daran, daß er sich ja gesehnt hatte nach dieser letzten nutzlosen Qual, wie nach einem letzten Glücke. Er ging ja auf Nimmerwiederkehr.

Der Wagen bog jetzt um die Ecke des Parkes; Oswald wandte sich um und blickte nochmals zurück. Da entdeckte er drüben, auf einem kleinen dicht umbuschten Altane, eine schlanke Mädchengestalt, und in dem Momente sanken all die weisen Tröstungen und Vorsätze der Vernunft in nichts zusammen. Nur noch ein einziges Mal! Vor dem Gedanken schwanden Besinnung und Ueberlegung. In der nächsten Secunde hatte Oswald dem Kutscher bereits zugerufen, zu halten, und war aus dem Wagen gesprungen.

Der Wagen fuhr, dem erhaltenen Befehle gemäß, nach dem Dorfe voraus, um dort zu warten. Oswald dagegen trat durch die hintere Pforte in den Park, aber seine Schritte wurden immer langsamer, je mehr er sich dem Altane näherte, und als er endlich die Stufen hinaufstieg und Hedwig ihm entgegentrat, da hatte er so völlig wieder die gewohnte Haltung angenommen, als erfülle er wirklich nur eine Pflicht der Artigkeit, wenn er im Vorbeifahren anhielt, um sich von der Braut seines Vetters zu verabschieden.

„Ich habe soeben Ihrem Herrn Vater meinen Abschiedsbesuch gemacht,“ begann er, „und konnte es nicht unterlassen, mich auch Ihnen persönlich zu empfehlen, mein Fräulein.“

„Sie reisen schon in den nächsten Tagen?“ fragte Hedwig.

„Schon übermorgen.“

„Edmund sagte mir bereits, daß Ihre Abreise nahe bevorstände. Er wird Sie sehr vermissen.“

„Ich ihn gleichfalls, aber das Leben fragt nun einmal nicht nach unseren Empfindungen, wenn es eine Trennung verhängt.“

Die Bemerkung sollte scherzhaft sein, aber sie klang bitter genug, während der Blick des jungen Mannes über Hedwig hinglitt, die sich leicht auf das hölzerne Geländer stützte. Die Besorgnisse des Oberamtsrathes mochten doch wohl übertrieben sein;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 429. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_429.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)