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Seite:Die Gartenlaube (1880) 400.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Ausdruck, wie damals bei dem ersten Alleinsein auf der Waldhöhe. Damals hatte sie diesen so heiß und jäh aufflammenden Strahl nicht verstanden und oft genug darüber nachgegrübelt, was er bedeutete – viel öfter, als sie sich eingestand – jetzt begann ihr das Verständniß aufzudämmern. Es war noch kein klares Erkennen der Wahrheit; es tauchte nur dunkel und undeutlich auf wie ein Schatten, der erst allmählich Form und Gestalt gewann, aber er quälte und beängstigte dennoch. Mochte die Gefahr, die da heraufstieg, auch noch so fern drohen, sie übte bereits ihren magnetischen Reiz, der langsam, aber unwiderstehlich näher und näher zog.

Mechanisch, wie halb im Traume, folgte das junge Mädchen den Wendungen des Tanzes. Der hell erleuchtete Saal, die rauschende Musik, die tanzenden Paare, das alles verschwamm und wich zurück in weite Ferne. Es war Hedwig, als lege sich eine endlose Kluft zwischen sie und die ganze Umgebung, als sei sie allein mit dem Einen, der sie in den Armen hielt, allein unter dem Banne dieser Augen, dem sie zu entfliehen strebte, und der sie unwiderstehlich festhielt, und mitten durch dieses Wogen unklarer und unverstandener Gefühle fluthete es plötzlich voll und mächtig, wie die Ahnung eines bisher noch nicht gekannten, aber grenzenlosen Glückes.

Der Tanz war zu Ende. Er hatte kaum zehn Minuten gedauert und doch viel zu lange für die Beiden. Noch einmal begegneten sich ihre Augen und ruhten secundenlang in einander; dann verneigte sich Oswald tief und trat zurück.

„Ich danke, mein Fräulein,“ sagte er tonlos.

Hedwig erwiderte keine Silbe; sie neigte nur leise das Haupt. Es blieb ihr auch keine Zeit zur Antwort; denn Edmund stand bereits neben ihr, triumphirend darüber, daß er seinen Willen durchgesetzt hatte, und sehr geneigt, seinen Neckereien wieder freien Lauf zu lassen. Für diesmal kam es jedoch nicht dazu; denn bei dem Aufhören des Tanzes lösten sich die Paare, und mehrere Herren und Damen traten heran. Der Graf und seine Braut wurden umringt, wurden von allen Seiten in Anspruch genommen, und es begann ein äußerst lebhaftes Geplauder.

Edmund war in der sprudelndsten Laune und bildete sofort den Mittelpunkt der ganzen Gruppe. Auch Hedwig lächelte und antwortete, aber ihre Antworten waren eigenthümlich matt, ihr Lächeln höchst gezwungen. Die strahlende Heiterkeit, die sie während des ganzen Abends gezeigt, war plötzlich wie verwischt und ausgelöscht. Vorhin hatte sie sich mit voller Seele der Freude, dem Vergnügen hingegeben, hatte sich in diesem heiteren, glänzenden Gewühl wie in ihrem eigensten Elemente bewegt; jetzt war ihr das alles auf einmal so fremd und gleichgültig geworden. All die Scherze und Schmeicheleien schwirrten so völlig inhaltlos an ihrem Ohre vorüber. Es lag wie ein Schleier auf ihrer Seele und wie ein Schleier auf der Pracht des Festes; sie mußte sich förmlich zwingen, daran Theil zu nehmen.

Oswald hatte das Herantreten der Fremden benutzt, um sich unbemerkt zurückzuziehen und den Saal zu verlassen. Graf Edmund hätte doch besser gethan, seinen Willen nicht so übermüthig zur Geltung zu bringen. Er wußte freilich nicht, daß sein Vetter dem Tanze nur fern bleiben wollte, um der einen „Etiquettenpflicht“ zu entgehen, die er sonst nicht vermeiden konnte, und nun war ihm gerade diese eine aufgedrängt worden. Oswald mochte es wohl fühlen, daß er sich theilweise verrathen hatte, und es half nun nichts mehr, daß der Zorn über sich selbst heiß und wild in ihm aufloderte. Was er sich bisher immer noch abgeleugnet, was er sich um keinen Preis eingestehen wollte, das hatte ihm dieser unselige Tanz endlich klar gezeigt. Er wußte jetzt, wie es um ihn stand.

Das so sehnlich gesuchte Alleinsein sollte dem jungen Manne aber diesmal nicht zu Theil werden; denn in einem der Nebenzimmer traf er den Oberamtsrath Rüstow, der dort von den ebenso ungewohnten wie unerhörten Anstrengungen seiner Liebenswürdigkeit ausruhte. Er hatte sich heute Abend selbst übertroffen und förmliche Ritterdienste bei der Gräfin geleistet, aber schließlich war ihm dies doch etwas unbequem geworden, und er begrüßte mit Freuden die Gelegenheit, einmal wieder ein „vernünftiges“ Gespräch zu führen. Er bemächtigte sich sofort Oswald's, der ihm nothgedrungen Stand halten mußte.

„Sie hatten leider Recht!“ sagte Rüstow im Laufe des Gespräches. „Ich habe mir auf Ihre Eröffnungen hin die Ettersberg'schen Güter einmal gründlich angesehen. Das ist ja eine ganz heillose Wirthschaft! Die Beamten taugen sämmtlich nichts; der Administrator ist vollständig unfähig, und die Gräfin hat sich jahrelang auf ihn allein verlassen. Nun, von ihr kann man den Ueberblick nicht verlangen, aber meinen Herrn Schwiegersohn werde ich mir ernstlich vornehmen. Bisher war freilich nicht viel mit ihm anzufangen; er hatte nichts als seine Bräutigamständeleien im Kopfe, aber das muß jetzt aufhören. Der heutige Tag macht ihn zum wirklichen und alleinigen Herrn von Ettersberg, jetzt trägt er aber auch allein die Verantwortung und muß Ordnung schaffen.“

„Edmund wird nichts thun,“ erklärte Oswald. „Er wird alles Mögliche versprechen, sich auch alles Mögliche vornehmen, es wird aber nicht das Geringste geschehen. Verlassen Sie sich darauf!“

Rüstow stutzte bei dieser mit voller Bestimmtheit gegebenen Erklärung.

„Sie meinen, daß Edmund der Aufgabe nicht gewachsen ist?“ fragte er gedehnt.

„Nein! Er ist eine liebenswürdige, aber keine energische Natur, und hier ist volle Energie nothwendig. Sie werden selbst eingreifen müssen, Herr Oberamtsrath, wenn Sie ihm die Güter retten wollen.“

„Und weshalb haben Sie denn das nicht längst gethan?“ fragte Rüstow in vorwurfsvollem Tone. „Sie sahen ja doch bei Ihrer Rückkehr, wie die Sachen hier standen.“

„Ich habe kein Recht, mich in fremde Angelegenheiten zu mischen.“

„Fremde? Ich dächte, Sie wären gleichfalls der Sohn des Hauses, dessen Namen Sie tragen.“

Oswald schwieg; er konnte dem Oberamtsrath unmöglich auseinandersetzen, wie er mit seiner Tante stand, und wie wenig eine Einmischung von seiner Seite geduldet worden wäre. Er erwiderte deshalb ausweichend:

„Ich habe bereits im Frühjahre meinem Vetter rücksichtslos die Mängel der Verwaltung aufgedeckt und ihn zum Einschreiten aufgefordert, aber ohne jeden Erfolg. Ihnen steht jetzt die väterliche Autorität zur Seite; und Edmund wird sich Ihnen überhaupt sehr gern fügen, sobald Sie ihn nur der Nothwendigkeit überheben, selbst irgend etwas zu thun.“

(Fortsetzung folgt.)




Die neueren Curorte gegen Lungenschwindsucht, besonders Görbersdorf und Davos.

Unter allen chronischen schweren Krankheiten kommt keine so häufig vor und keine rafft so viele Menschen, meist in der Blüthe ihres Lebens, hin, wie die Lungenschwindsucht. Diese Krankheit besteht bekanntlich in eigenthümlichen Veränderungen der Lungen, welche zu deren theilweiser Zerstörung führen und meist unter länger anhaltendem Fieber nach monate- oder jahrelangem Verlaufe den Menschen tödten.

Die Behandlung der Lungenschwindsucht hat sich in den letzten Jahrzehnten in mehreren wichtigen Punkten wesentlich geändert und – das darf man sicher behaupten – vervollkommnet. Vor zehn, zwanzig und dreißig Jahren hütete man solche Kranke, auch wenn sie noch nicht bettlägerig, noch nicht fieberhaft waren, in der ängstlichsten Weise vor jeder Erkältung; sie mußten ununterbrochen im warmen Zimmer bleiben oder durften nur bei sehr warmem Wetter in's Freie; sie wurden warm gekleidet; sie mußten jede Einathmung kalter oder kühler Luft vermeiden, wozu besonders der sogenannte Respirator diente (ein vor dem Munde und zum Theil vor der Nase angebrachtes mehrfaches Drahtgitter), u. dergl. m.

Die Aenderung dieses älteren Curverfahrens ging von Dr. med. Brehmer in Görbersdorf aus. Nach Brehmer ist die Lungenschwindsucht bedingt durch eine verminderte Ernährung der Lunge,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 400. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_400.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)