Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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Etwa eine Stunde weit von der Porta S. Paolo und der Pyramide des Cestius liegt südwestlich von Rom, abseits von der Via Ostiensis, welche den Tiber entlang zum Meere führt, in einer unfreundlichen Niederung der römischen Campagna die uralte Abtei der Tre Fontane (drei Quellen). Die Traditionen des einsamen Orts sind ebenso schwermüthig, wie seine äußere Erscheinung. Bis in die ältesten Zeiten seiner Geschichte war es stets der gewaltsame und unfreiwillige Tod, welcher in dem kleinen düsteren Thale mit roher Gewalt die Herrschaft führte. Die Menschen und die Natur wetteiferten und überboten sich auf dieser Spanne Erde in Grausamkeiten.
Die Legende erzählt, daß hier der heilige Paulus den Märtyrertod erduldete und daß zehntausend Christen, welche am Bau der diocletianischen Thermen in Rom Frohndienst geleistet hatten, hier niedergemacht wurden. Auf dem Friedhofe dieser Märtyrer entstand die Abtei. An der Stelle, wo Paulus enthauptet wurde, erbaute man dem Heiligen eine Votivkirche, in welcher drei Quellen aus prächtigen Tabernakeln rieseln; diese Quellen sind dem Boden, wie es heißt, an den drei Punkten entsprungen, die von dem Haupte des Märtyrers berührt wurden, als es, vom Rumpfe getrennt; dreimal in den letzten Zuckungen emporschnellte.
Ueber den Gebeinen der zehntausend Christen errichtete man schon im neunten Jahrhundert einen Tempel, den der Cardinal Aldobrandini im Beginn des siebenzehnten Jahrhunderts durch den Architekten della Porta zu dem jetzigen Kuppelbau umgestalten ließ. Er trägt den Namen der Santa Maria della Scala.
Eine uralte Basilika, den Heiligen Anastasius und Vincenz gewidmet, überragt die beiden anderen Kirchen an Alter um mehrere hundert Jahre. Sie reicht hinauf in das sechste Jahrhundert; in einem geräumigen Kloster, welches sich an das alterthümliche Gotteshaus lehnt, hausten nach einander Benedictinermönche, Cistercienser und Franziskaner.
Ihn Jahre 1868 waren Kloster und Kirchen verlassen. Nur zwei Franziskaner pilgerten noch jeden Tag frühmorgens bei Sonnenaufgang von Rom nach der Einsiedelei, um Messe zu lesen und den Andächtigen das heilige Wasser zu reichen, welches den drei Paulus-Quellen entsprudelt und in der ewigen Stadt in großem Rufe steht. Niemand läutete gewöhnlich den Tag über an dem Eingange des verlassenen Klosters; nur an Sonn- und Feiertagen verloren sich einige fromme Seelen in die unwirthsame Gegend.
Das Fieber hatte die Mönche zu Dutzenden niedergemäht und schließlich ganz vertrieben. Selbst die eiserne Klosterzucht hatte vergebens gegen die Verheerung der Sumpfluft angekämpft; ebenso grausam, wie die Römer einst mit den Christen umgesprungen waren, verfuhr das Fieber nachher mit den Mönchen. Sobald die Sonne ihre letzten Strahlen mit goldenem Glanze auf die Dächer der drei Gotteshäuser legte, sah man die beiden Franziskaner das gewaltige eiserne Gitter des großen Thorbogens aus dunkelrothen Backsteinen in das Schloß werfen und den Heimweg nach Rom einschlagen.
Der Weg, der diese Flüchtlinge allabendlich dem Fieber entführte, steigt zwischen mannshohen Disteln hügelauf. Kein Baum gab ihnen Schatten bis zu der einsamen in der flachen Campagna liegenden weltberühmten Riesenkirche des heiligen Paulus. Die Sonne beschien im Sinken mit dem sanften vollen Goldlicht des Abschieds die bärtigen ausgemergelten Gesichter der zwei Mönche, welche keinen Abend sicher waren, daß sie nicht den Todeskeim mit sich heim trugen.
Die Abtei Tre Fontane ist eingepfercht zwischen eine dreiwinklige Hügelwand aus dunkelrother Pozzolanerde, die weit melancholischer wirkt als die rothe Erde Westfalens. Die langen Linien ihrer drei Dächer, welche sich im Halbdunkel der hereinbrechenden Dämmerung phantastisch durchschneiden und für den Wanderer, der gen Rom zieht, allmählich in den Umrissen der Hügelwellen der Via Ardeatina versinken, erwecken keinerlei Sehnsucht, noch einmal zu ihr zurückzukehren. Das Gepräge des Todes liegt auf der Abtei wie auf ihrer Umgebung. Schwermüthige Bäche tragen langsam den Keim des Verderbens an ihr vorüber; die wenigen Häuser, welche einen Flintenschuß weit von ihr hier und dort emporragen, sind fest verschlossen, ihre Fenster vergittert, ihre Einwohner nach der nahen Stadt entflohen, woher sie nur zurückkehren, um die nöthigsten Arbeiten der Heu-Ernte zu verrichten oder um am Tage bei glühender Sonne in den Pozzolanerdbrüchen eine überaus harte Arbeit zu verrichten und die Pozzolana an den verlassenen Ufern des Tibers zu verladen, wo früher die Schätze des Orients stromaufwärts vorbei fuhren nach der üppigen Kaiserstadt. Das malerische Bild derselben, mit den zahllosen Kuppeln und den Pinien des Janiculus, bietet sich plötzlich am fernen Horizonte jenseits San Paolo dem Wanderer dar, sobald er die Anhöhe erreicht hat, von der er einen letzten Blick rückwärts auf Tre Fontane werfen kann.
So stand es um die Gegend bis vor zwölf Jahren noch.
Seit zwölf Jahren begegnet man den beiden Franziskanern nicht mehr. Niemand weiß mehr etwas von ihnen; sie sind verschollen. Die einst so öde Straße hat neues Leben gewonnen; bei der hochgelegenen Osteria del Ponticello an der Via Ostiensis, wo das Hügelland beginnt, biegen täglich Wagen und Reiter ein: Arbeiter mit Sensen und Heugabeln ziehen den staubigen Weg empor. Von der Höhe aber, wo früher der Wanderer nur mit dem Vorgefühl unheimlichen Fieberschauers hinunterschaute, weidet sich das Auge an dem saftigen üppigen Grün, aus dem heute die hohe Kuppel von Santa Maria und die Giebel der Pauls- und Athanasius-Kirche mit dem Grunde von Tre Fontane freundlich hervorwinken.
Neue Insassen haben die alte Abtei bezogen. Es ist Alles in ihr wie im Traume umgewandelt. Der kahle, sonnverbrannte, steinige Vorhof, um den sich hart an einander die drei Kirchen gruppiren, ist zu einem duftenden Garten mit sprudelnden Springbrunnen geworden; Rosenstöcke und Nelken verschwenden dort ihre Gerüche; Weinlauben laden zur behaglichen Ruhe ein; kleine geschmackvolle Anlagen ziehen sich, sauber gehalten, die Rampe der Kirche von Santa Maria della Scala empor, während prachtvoller Epheu die Ringmauer erklettert und ernste Trauerweiden von majestätischer Größe das feierliche Gepräge dieser einsamen Ruhestätte in weit anmuthigerer Weise zur Geltung bringen, als der frühere baum- und blätterlose Klosterhof in seiner finstern und schroffen Erhabenheit. Eine hohe schattige Allee schließt sich an die jungen Anlagen; an ihrem Ende tritt man jetzt, gegen die Sonne geschützt, in die Pauls-Kirche, wo die drei Quellen sprudeln.
In der Kirche ist Alles sauber und reinlich gehalten; an den drei Sprudeln liegen Becher, damit gläubige Seelen das Wunderwasser schöpfen können; Fläschchen voll Wasser stehen auf dem Tabernakel. Jeder kann davon nehmen. Bet- und Beichtstühle giebt es nicht in der Kirche; nirgends überhaupt ein Anzeichen, daß Gottesdienst darin gehalten wird. Mit besonderer Pietät scheinen die Hüter eine prachtvolle große Mosaik aus Ostia zu bewahren, welche als Fußboden eines Theiles der hohen luftigen Kirche dient. Ein hölzernes Brettchen bittet, die Mosaik nicht zu betreten. Eine solche Besorgniß für die Kunst ist in den Klöstern nicht eben gewöhnlich.
Auch die andere zwischen Rosenbeeten und grünem Gelände aufsteigende Kuppelkirche entbehrt jeden Kirchengeräths. Einen besonders einladenden Charakter hat die ehrwürdige Basilika der heiligen Männer Vincenz und Athanasius gewonnen, wie dieselbe ihm wohl nie zuvor während ihres jahrhundertelangen Bestehens besessen hat. Diese uralte Kirche selbst ist innen und außen neu aufgeputzt. Die vier im dreizehnten Jahrhundert zu einem Vorbau, der eine Art Porticus bildet, verwandelten Säulen mit ionischen Capitälen, umstellt von Blumen, die an ihnen emporranken, umrauscht von dem nie aufhörenden Geplätscher der Springbrunnen, lassen in keiner Weise auf den schweigsamen, großartigen Ernst der dreischiffigen, mächtigen Pfeilerflucht im Innern schließen, welche mit ihrem einfachen, gelblich-grünen Ton; mit ihrer gewaltigen Bogenwölbung ein durch nichts gestörtes Gefühl erhabenster Ruhe um sich verbreitet. Ein mattes Licht bricht durch die eigroß durchlöcherten und so als Fenster dienenden Marmorplatten oberhalb der Mittelschiff-Pfeiler der alten Basilika, auf der, dem Styl ihrer Gründungszeit entsprechend, ein flaches Giebeldach ruht. Unter dem wundervoll wirksamen Rundbogen der Chorkapelle schimmern die Farbenbrechungen eines bunten Fensters hervor. In den
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_386.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)