Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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Zustände erinnern, herausgetreten ist und bald im Stande sein wird, in die Reihe moderner Culturstaaten einzugehen.
Kein leicht ausführbares Unternehmen ist dies gewesen; galt es doch für diese Reformatoren, sich selbst zunächst mit den Einrichtungen der civilisirten Staaten vertraut zu machen, zu einer Zeit, als noch für jeden Japaner eine Reise über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus gesetzlich als ein mit dem Tode zu bestrafendes Verbrechen galt. Nicht wenige von ihnen haben später, als es ihnen trotz aller Hemmnisse und Schranken gelungen war, Reformen einzuführen, die mit einem Schlag den Feudalismus und alle sonstigen einer weiteren Fortentwickeln entgegenstehenden Einrichtungen in Japan beseitigten, unter den Schwertern und Dolchen fanatisch conservativer Landsleute den Tod gefunden.
Neben jenen hervorragenden Männern Japans waren die in der Hauptstadt residirenden diplomatischen Vertreter der verschiedenen ausländischen Staaten und die zahlreichen, namentlich anglo-amerikanischen und deutschen Gelehrten, welche an den wissenschaftlichen Anstalten Tokios wirken, zugegen. Das Festbankett nahm einen sehr gelungenen Verlauf; die Tafelmusik, welche von der Capelle des kaiserlichen Garderegiments ausgeführt wurde, ließ nichts zu wünschen übrig, und es war ein deutscher Capellmeister, welcher diese, bei dem unglaublich geringen musikalischen Sinn, den die Japaner im Allgemeinen haben, geradezu ein Kunststück zu nennende Leistung durch seine Geduld und Ausdauer ermöglicht hatte. Die zahlreichen, auch in deutscher Sprache ausgebrachten Trinksprüche gaben den tröstlichen Beweis, daß der deutsche Einfluß dem englisch-amerikanischen an Reiche des Sonnenaufganges nicht nachsteht, das „sprechendste“ Zeugniß dafür aber lieferte der Toast, den Kita Schira Kawa-no-Miya, der Onkel des regierenden Mikado, in fließendem Deutsch auf den Helden des Tages, auf Professor Nordenskjöld, ausbrachte.
Am 10. Juni dieses Jahres begeht Portugal eine große nationale Feier: die dreihundertste Wiederkehr des mutmaßlichen Todestages seines hervorragendsten Poeten, des edlen Sängers der „Lusiaden“. Ist es nicht betrübend, daß Camoens (portugiesisch Camões), einer der größten und berühmtesten Dichter aller Zeiten und Völker, „arm und elend leben und arm und elend sterben mußte“, wie es in seiner Grabschrift hieß? Und ist es nicht merkwürdig, daß man über Geburts- und Sterbejahr dieses wichtigen Mannes keine absolut verläßliche Daten besitzt, daß man auch nicht genau weiß, in welcher Stadt er geboren wurde?
Bessere Kunde hat man von der Abkunft unseres Helden. Sein Ururgroßvater hieß Vasco Pires de Camoens, war ein trefflicher spanischer Dichter und wanderte von der Provinz Galicien nach Portugal aus, um an den Kämpfen gegen Heinrich den Zweiten von Castilien theilzunehmen. Die Literaturgeschichte kennt ihn als eines der Häupter jenes Dichterkreises, dem die poetische Wiedergeburt der genannten Provinz zu danken war. Der Urgroßvater kämpfte in Afrika; der Großvater war Marinehauptmann und mit dem berühmten Entdeckungsreisenden Vasco de Gama verschwägert; der Vater führte ein abenteuerliches Leben und dürfte unseres Dichters Mutter, Anna de Sá e Macedo, wahrscheinlich 1523 geheirathet haben. Ob Luiz 1517 oder 1524 das Licht der Welt erblickte, ist streitig; man hat sich jedoch ziemlich allgemein für 1524 entschieden. Mit Homer hat Camoens nicht nur hinsichtlich der Eigenschaften seines großen Epos Aehnlichkeit, sondern auch hinsichtlich des Umstandes, daß sich eine ganze Reihe von Städten für seine Geburtsorte ausgeben; da er jedoch nur in Einer Stadt geboren sein konnte, hat man sich auf Grund gewichtiger Anhaltspunkte zu Gunsten Lissabons geeinigt, sodaß Coimbra, Alemquer und Santarem in den Winkel gestellt sind.
Im Alter von etwa drei Jahren wurde Luiz nach der portugiesischen Universitätsstadt Coimbra gebracht, wo er, wie es in einer seiner Canzonen heißt, seine Kindheit „heiter und zufrieden für sich verlebte und sich des Lebens freute“. 1537 begann er daselbst seine Studien. Die Thatsache, daß seine Werke eine gründliche classische Bildung verrathen – dieselbe tritt dem Schwunge seiner Leier zuweilen sogar hemmend in den Weg – beweist, daß sein Fleiß kein geringer war; mit besonderer Vorliebe verlegte er sich auf die Weltgeschichte und die Literatur des Alterthums, dessen Mythologie ihn oft zur kühnsten poetischen Begeisterung entflammte. Aber auch die großen italienischen Dichter las er eifrig, und ihr Einfluß auf seine dichterische Entwickelung ist unverkennbar; derselbe tritt namentlich in seinen ersten Versuchen hervor, deren allererster eine an seinen Oheim Bento de Camoens gerichtete Elegie auf die Leiden Christi war.
Um 1542 nach der Hauptstadt zurückgekehrt, wurde er trotz seiner Armuth und seiner Jugendlichkeit bei Hofe eingeführt, weil er adelig war, noch mehr aber seiner umfassenden Kenntnisse halber. Bei Hofe waren damals classische Studien in der Mode; selbst die Damen sprachen und schrieben Latein. Kein Wunder daher, daß Camoens mit seiner klösterlichen Erziehung im königlichen Palast gern gesehen wurde. Er verfaßte Frauen zuliebe manche Gedichte in der Manier der französischen Liebeslieder, allein diese Tändeleien gingen an ihm ohne tieferen Eindruck vorüber.
Da machte er eines Tages die Bekanntschaft der schönen Catharina de Attayde, einer Ehrendame der Königin, und verliebte sich glühend in sie. Er feierte sie in zahlreichen Gedichten, unter denen die „siebente Canzone“ – eine der edelsten lyrische Perlen des Camoens – durch außerordentliche Gefühlsinnigkeit und Leidenschaftsgluth hervorragt. Catharinens Gegenliebe kann als der einzige eigentliche Lichtstrahl in dem sturmbewegten Leben unseres Helden gelten, aber das Glück dauerte nicht lange; denn der Ruhm, den sich der geniale Jüngling durch seine bisher noch ungedruckten Gedichte zu erwerben begann, erregte den Neid kleinlicher Geister, die seine Liebe zu Catharinen als Vorwand benutzten, um gegen ihn so lange zu intriguiren, bis er vom Hofe verwiesen wurde (1546). Beschleunigt wurde diese Maßregel dadurch, daß Camoens 1545 das Schauspiel „König Seleukus“ geschrieben hatte: eine Episode in demselben erinnerte an das Verfahren des regierenden Königs Manoel, der zur dritten Gemahlin die Braut seines eigenen Sohnes genommen.
Luiz hatte nun die Absicht, zunächst wieder nach Coimbra zu gehen, allein der Tod seines Oheims Bento vereitelte diesen Plan. Um eine seiner physischen Kraft und seiner warmen Vaterlandsliebe angemessene Beschäftigung zu wählen, vielleicht auch um seinen Kummer ob seiner Trennung von Catharinen zu betäuben, nahm er rasch entschlossen Seedienste und kämpfte mit seinen Landsleuten in Afrika gegen die Mauren, wobei er vor Ceuta durch ein feindliches Geschoß das rechte Auge verlor, ohne die Seelenruhe zu finden, deren Wiederkehr er von dem Schlachtgetöse erhofft hatte. In Ceuta verweilte er zwei volle Jahre, bis seine Lissaboner Freunde die Aufhebung seiner Verbannung vom Hofe durchsetzten, worauf er 1549 nach Lissabon zurückkehrte. Dort harrten seiner große Enttäuschungen; er begegnete dem alten Haß und Neid, und man verspottete den tapfern Mann, der für seine Nation geblutet, ob des Verlustes eines Auges. Er sah, daß er in der Heimath, wo bekanntlich Niemand als Prophet gilt, nichts zu erwarten habe; gleichwohl hielten ihn die Hoffnungen, die er hinsichtlich des Thronfolgers hegte, drei Jahre in der Hauptstadt zurück.
Wieder jedoch verdrängten ihn Verleumdungen aus der Nähe seines fürstlichen Gönners, der ihm nicht einmal eine Gelegenheit gab, sich gegen die meuchlerischen Einflüsterungen der feigen Ehrabschneider zu vertheidigen. Der Wunsch, sich zu zerstreuen, stürzte unsern Dichter in allerlei Abenteuer. Er übertäubte seine innere Unruhe, die Zerfahrenheit seines Gemüths durch einen zügellosen, ungestümen Muthwillen, den er häufig genug in nächtlichen Streifzügen mit Raufbolden und wüsten Gesellen bethätigte. Bald galt er als schlimmer Händelsucher, der ein sehr unordentliches Leben führte, und es ist bezeichnend genug, wenn er in seiner zweiten Ekloge von der Liebe behauptet, sie sei „keine Liebe,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 371. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_371.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)