Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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No. 23. | 1880. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.
„Edmund nennt Sie stets seinen Mentor,“ warf Hedwig mit unverkennbarer Gereiztheit hin. „Es scheint, als seine Braut genieße auch ich jetzt das Vorrecht, von Ihnen – erzogen zu werden.“
„Ich habe nur warnen, nicht verletzen wollen. Es steht ja bei Ihnen allein, wie Sie diese Warnung auffassen wollen.“
Sie gab keine Antwort. Der tiefe Ernst, mit dem die Worte gesprochen wurden, blieb nicht ohne Wirkung auf sie, wenn er ihre Gereiztheit auch nicht völlig besiegte.
Hedwig nahm ihren Hut auf, der noch unbeachtet am Boden lag, und ließ sich auf ihrem früheren Platze nieder, um die zerdrückten Blumen zu ordnen. Das zierliche Frühjahrshütchen hatte auf dem reif- und nebelfeuchten Grase doch etwas gelitten; es paßte überdies nicht recht zu dem rauhen Apriltage. Der Frühling kommt spät in den Bergen, und diesmal zeigte er überhaupt kein heiter lächelndes Antlitz. Er kam ziemlich ungestüm, mit Sturm und Regen, mit Nachtfrösten und Nebeltagen, kaum daß sich hin und wieder ein matter Sonnenblick hindurchstahl.
Auch heute war der Himmel dicht umzogen; die grauen Wolken ließen keinen einzigen Sonnenstrahl passiren; die Ferne umschleierte ein trüber Nebel, und die Luft lag schwer und regenfeucht über der Erde. Noch stand der Wald kahl und blattlos da, nur an den niederen Gesträuchen und am Boden sproßte schüchtern das erste Grün hervor. Jedes Blättchen, jede Knospe mußte ihr Dasein ja erst der rauhen Luft abringen und mühsam vertheidigen. Es war noch recht öde und leer ringsum.
Oswald hatte keinen Versuch gemacht, das Gespräch wieder anzuknüpfen; auch Hedwig zeigte wenig Neigung dazu, aber auf die Dauer wurde ihr das Schweigen doch peinlich, und sie warf die erste beste Bemerkung hin.
„Welch ein unfreundlicher April! Es ist, als ob wir mitten in den nebligen Herbsttagen wären und uns auf den Winter vorbereiten müßten. Wir werden diesmal um die ganze Frühlingsfreude betrogen.“
„Lieben Sie den Frühling so sehr?“ fragte Oswald.
„Ich möchte wissen, wer ihn nicht liebt! In der Jugend kann man nun vollends den Blüthenduft und Sonnenschein nicht entbehren. Oder sind Sie darin anderer Meinung?“
„Es kommt darauf an. Nicht jeder Frühling hat Blumen und Sonnenschein – und nicht jede Jugend.“
„Hat die Ihrige das nicht gehabt?“
„Nein!“
Es klang sehr hart und entschieden, dieses Nein. Hedwig's Blick streifte den Sprechenden; sie mochte wohl bei sich denken, er sei ebenso herb und unfreundlich, wie der Frühlingstag, der ihr Mißfallen erregte. Es war auch ein großer Gegensatz zwischen dieser Unterhaltung und dem muthwilligen Getändel, mit dem sich das junge Brautpaar noch vor Kurzem hier unterhalten hatte. Nicht ein einziges ernstes Wort war dabei gefallen; selbst der „Kriegsplan“ gegen die Eltern wurde unter allerlei Neckereien entworfen und jede Sorge um etwaige Hindernisse weggelacht und weggescherzt. Jetzt aber, wo dieser Oswald von Ettersberg dastand, in seiner starren Haltung, jetzt war nicht blos die Heiterkeit, sondern auch die Lust dazu wie fortgeweht; dieses verzweifelt ernste Gespräch erschien ganz selbstverständlich, und das junge Mädchen fand sogar einen gewissen Reiz darin, es fortzusetzen.
„Sie haben freilich Ihre Eltern sehr früh verloren. Ich weiß es durch Edmund. Aber Sie fanden ja doch in Ettersberg eine zweite Heimath und eine zweite Mutter.“
In dem Gesichte des jungen Mannes zeigte sich wieder jener herbe, feindselige Ausdruck, der für einige Zeit gewichen war, und seine Lippen zuckten fast unmerklich.
„Sie meinen meine Tante, die Gräfin?“
„Ja. Hat sie denn nicht Mutterstelle an Ihnen vertreten?“
Wieder erschien dieses leise Zucken des Mundes, das alles Andere, nur kein Lächeln war, aber Oswald's Stimme klang vollkommen ruhig, als er antwortete:
„O gewiß! Es ist aber doch ein Unterschied, ob man das einzige, geliebte Kind des Hauses ist, wie Sie und Edmund zum Beispiel, oder ob man als Fremder aufgenommen wird.“
„Edmund betrachtet Sie ganz als seinen Bruder,“ fiel das junge Mädchen ein. „Er empfindet es sehr schwer, daß Sie sich sobald schon von ihm trennen wollen.“
„Edmund scheint in Bezug auf mich sehr mittheilsam gewesen zu sein,“ sagte Oswald kalt. „Also auch das hat er Ihnen bereits erzählt.“
Hedwig erröthete leicht bei dieser Bemerkung.
„Es ist doch wohl natürlich, daß er mich mit allen Verhältnissen der Familie bekannt macht, in die ich später eintreten soll. In diesem Falle aber beklagte er sich, daß all seine Bemühungen, Sie zum Bleiben in Ettersberg zu bewegen, vergebens gewesen sind.“
„Zum Bleiben in Ettersberg?“ wiederholte Oswald mit unverstelltem Erstaunen. „Das kann mein Vetter unmöglich im Ernste gemeint haben. In welcher Eigenschaft hätte ich denn bleiben sollen?“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_365.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)