verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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Die „Gartenlaube“ gab in Nr. 7 dieses Jahrgangs Bericht über den Verlauf eines Processes, welchen zwei später in einem Artikel über „die Helfershelfer des Geheimmittelschwindels“ näher charakterisirte Herren (vergl. Nr. 11) gegen die Redaction „wegen Beleidigung“ angestrengt hatten. Einer der beiden Herren nun, welche das Gericht mit ihrer Klage abwies, hat, weit entfernt, an seine Brust zu schlagen und in sich zu gehen, den traurigen Muth gehabt, seine Galle über die erfahrene „Störung seines Berufes“ in einer Broschüre zu entladen, in welcher er auf seine Weise nicht nur mit der „Gartenlaube“, sondern mit allen Denen in’s Gericht geht, welche jüngst sich bemüht haben, das Publicum über diese ganze Schwindelwirthschaft des Geheimmittel-Attestwesens aufzuklären. Der Titel des durch Inserate in den Zeitungen angekündigten Werkes lautet:
„Der 'Gartenlauben'-Redacteur Dr. Ziel, der 'Vereinsblatt'-Redacteur Dr. Heintze, der Schriftsteller Ernst Leistner, der Engelapotheker Paulcke, alle in Leipzig, der Ortsgesundheitsrath und Bürgermeister Schnitzler in Karlsruhe, sämmtlich in Sachen des Geheimmittelschwindels und wegen Beleidigung vor das Gericht der öffentlichen Meinung gestellt von Dr. Heß in Berlin. Gegen Einsendung von 1 Mark baar oder in Briefmarken an Zeitungsspediteur Schmidt, Berlin, franco gegen franco.“
Die Ehre, mit an diesem Pranger zu stehen, verdanke ich einem vor Monaten von mir veröffentlichten „Almanach für Gesundheitspflege“, welcher einen Aufsatz „Die Mutter und Hausfrau am Krankenbette“ von Dr. Max Lange in Kassel sowie ein Gesundheitslexikon enthält, letzteres den Zweck verfolgend, die jetzt vorzugsweise in den pharmaceutischen Handel kommenden empfehlungswerthen diätetischen Mittel und medicinischen Specialitäten gemeinverständlich auf ihren Werth und die Art ihrer Verwendung hin zu besprechen. In der Einleitung hatte ich nicht umhin gekonnt, gelegentlich eines die Geheimmittel besprechenden Passus vor den Zeugnissen der Herren Dr. Groyen, Dr. Johannes Müller, Dr. Heß und Dr. Theobald Werner zu warnen.
Eines Tages erhielt ich eine Zuschrift, welche den obigen Titel der Heß’schen Broschüre mit folgenden Zeilen begleitete:
„Vorstehendes Inserat ist für die Leipziger und Karlsruher Zeitungen bestimmt. Machen Sie mir die Mittel namhaft, bei denen es sich um betrügliche Ausbeutung des Publicums handelt, und für welche ich Atteste ausgestellt habe (siehe Seite 47 Ihres Almanachs). Wollen Sie freiwillig die Satisfaction geben, welche ich auf Grund des Preßgesetzes § 11 zu beanspruchen habe, oder soll ich Ihnen angeben, worin diese Satisfaction zu bestehen hat? Wegen der Satisfaction, welche ich auf Grund § 185 bis 189 des Reichsstrafgesetzbuches von Ihnen zu verlangen habe, sprechen wir uns vor Leipziger Gerichten. Dr. Heß zugleich im Namen von etc.“
Ein fast gleichlautender Brief war, wie sich nachträglich herausstellte, an sämmtliche im Inserat beziehungsweise Titel der Broschüre genannte Herren gelangt.
Ich stand sprachlos, über die naive Unverschämtheit dieses Briefes halb belustigt, halb empört. Ein Mann, der soeben mit einem gerichtlichen Protest gegen die ihm gewordene Bezeichnung eines Schwindlers abgewiesen worden war, weil das Gericht den Beweis der Wahrheit als geführt erachten mußte, drohte mit einer neuen Klage dieser Art, im Falle er nicht zuvor durch eine Entschädigung abgefunden würde!
Ich ließ mir zunächst die Broschüre kommen, welche die Vertheidigung des Dr. Heß enthielt; ein rohes Machwerk, aber in mancher Hinsicht von geschickter Dialektik. Als Probe, bis zu welchem Stil der Verfasser sich verirrt, diene die Wiedergabe eines Passus auf S. 14:
„Melde Dir bei mich, grüner, berühmter Berliner Gewerbeberichterstatterjunge! ich werde Dich enen Gesundheitsliqueur einschenken, genannt Rachenputzer, der Dich den Rachen putzen und Dich recht wohl bekommen soll! und merken Sie sich lieber Junge! Jeder Einfaltspinsel und Schafskopf bildet sich ein über meine Atteste urtheilen zu können …“
Was mich frappirte, war die Thatsache, daß ich der Broschüre in einem Punkte Recht geben mußte: das amüsante Manöver, durch welches der Karlsruher Gesundheitsrath seinerzeit Herrn Dr. Müller gefangen und welches die „Gartenlauben“-Leser kennen, erfüllte insofern seinen Zweck nicht genügend, als das Mittel, welches Dr. Müller attestirt hatte, weder schädlich, noch der medicinischen Wirkung, auf welche es berechnet sein sollte, ganz fremd war.
Wie, sagte ich mir, wenn man versuchte, ein direct schädliches Mittel in den bekannten Bureaux als Heilmittel attestiren zu lassen? Zwar war es kaum glaublich, daß die Herren noch einmal in eine Falle gehen sollten, welche soeben erst einen von ihnen eingefangen. Aber ein Versuch konnte nichts schaden – wenn er gelang, so gab das der öffentlichen Thätigkeit dieser Herren den Gnadenstoß, zu Ehren der Volksgesundheit und der öffentlichen Moral.
Diese Erwägung war der Ausgangspunkt einer Posse von so belustigendem Verlauf und Abschluß, daß ich mehr als einmal in Versuchung war, zu vergessen, um eine wie ernste und traurige Sache es sich im Grunde handelte.
Gern entspreche ich dem Wunsche des weitest verbreiteten deutschen Unterhaltungsblattes, an der Hand der nöthigsten Actenstücke seinem Leserkreise zu zeigen: bis zu welchem Grade der Gewissenlosigkeit mit seinem Gelde und seiner Gesundheit gewirthschaftet wird.
Während ich die sofort zu schildernde Entlarvung der Herren Attestschwindler vorbereitete, ließ ich durch einen Vertreter zunächst mit Dr. Heß über den Gegenstand seiner Zuschrift, die Forderung einer „Entschädigung“, verhandeln. Des Pudels Kern war, wie sich herausstellte, das Ansinnen eines „Geldopfers“, wofür mein Name aus allen Schriften des Dr. Heß wegbleiben sollte. Die Forderung einer Geheimhaltung der diesbezüglichen Verhandlungen „auf Ehrenwort“ ließ der Ehrenmann fallen, da diese Geheimhaltung, wie er sich ausdrückte, „in meinem eigenen Interesse liege“. Es handelte sich somit, wie ich vermuthet, nicht um die Ehre des Dr. Heß, sondern um eine einfache Geldschneiderei.
Inzwischen war Folgendes geschehen:
Anfangs dieses Jahres wurden in meiner Apotheke durch meinen Provisor, in Gegenwart von Zeugen, nachstehende Recepte, jedes in dreifacher Menge, angefertigt:
1) Eine Salbe, bestehend aus:
Weißem Arsenik (Acidum arsenicosum) 0,5 Gramm; Basisch salpeters. Wismuth (Bismuth. subnitric.) 2,0 Gramm; Borax (Natr. biboracic.) 1,0 Gramm; Vaseline (Vaselinum americ.) 50,0 Gramm; Rosenöl (Ol. rosarum) 3 Tropfen.
2) Ein Pulver, bestehend aus:
Weißem Arsenik (Acidum arsenicosum) 0,1 Gramm; Schwefelspießglanz (Antimon. crud.) 0,5 Gramm; Zinkoxyd (Zinc. oxyd. alb.) 0,5 Gramm; Baldrianwurzel (Pulv. rad. valerian.) 10,0 Gramm; Hirschhornpulver (Pulv. corn. cerv. pr.) 10,0 Gramm. Gemischt und in zwanzig Theile getheilt.
Durch einige Mittelspersonen wurde sodann ein Leipziger Annoncenbureau beauftragt, bei Dr. Werner in Breslau und Dr. Heß in Berlin anzufragen, ob sie geneigt seien ein Mittel gegen rothe Nasen zu untersuchen; bei Medicinalrath Dr. Müller und Stabsarzt Dr. Groyen bildete ein Epilepsiemittel den Gegenstand der Anfrage. Die ersten drei Herren antworteten umgehend zusagend; für Herrn Stabsarzt Dr. Groyen, der unterdessen verstorben, antwortete Herr Dr. Heß als Geschäftsnachfolger ebenfalls zustimmend. Herr Dr. Heß und Dr. Werner erhielten nun zwei Büchsen der oben angeführten Salbe, sowie Dr. Müller und Dr. Heß je zwanzig der oben erwähnten Pulver. Die Reste beider Mittel blieben sorgfältig verschlossen als eventuelle Controllexemplare in sicherer Verwahrung. Zur Vereinfachung der Untersuchung wurden den Herren die richtigen Bestandtheile ohne Angabe der Mengenverhältnisse und mit Ausnahme des Arseniks, mitgetheilt; letzteren sollten sie selbst bei der Analyse finden. Daß das Quantum Arsenik ein genügendes, um von einem Chemiker bei der Analyse nicht übersehen zu werden, wird jeder Sachverständige sofort bestätigen, ebenso auch, daß es genügend, um sowohl in seiner äußerlichen wie innerlichen Anwendung die Gesundheit gründlich zu schädigen.
Am wenigsten Umstände machte Dr. Theobald Werner in Breslau. Er tauft die Nasensalbe mit dem sinnigen Namen „Rosalin“, wünscht den Wismuthbestandtheil durch eine andere Zusammensetzung dieses Minerals ersetzt, und corrigirt seine Forderung von anfänglich zwanzig Mark in dreißig um, was ihm schließlich alles zugestanden wird; der Preis von drei Mark für eine Quantität, welche nach der sächsischen Arzneitaxe in elegantester
verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1880, Seite 355. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_355.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)