Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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ebenso runzlige Lederäpfel, gold-rothe Reinetten und frische Maschansker (Borsdorfer), „drei um zwei Kreuzer,“ aus. Ihr Enkelchen zerschneidet mit dem unteren Ende eines Löffels einen Apfel; es sitzt mitten auf dem Verkaufstische, und ein älterer Knabe schaut seelenvergnügt zu ihm empor und verklagt ihn schelmisch bei der Großmutter: „Mutta, der Peperl ißt wieda alle Aepfel.“ Und es liegen deren Hunderte vor, neben, hinter ihm. – Kolossale weißleinene Regenschirme werden jetzt über die sonnengebräunten Gesichter aufgespannt; denn die Sonne brennt schon gar zu heiß. Die Oelfarbe der weißen Laden mit grünen Streifen beginnt zu schwitzen.
„Warum sind denn die Citronen in Seidenpapier eingewickelt?“ fragt ein naseweiser Kleiner eine Hökerin. „Damit sie sich nicht verkühlen,“ brummt diese ärgerlich. Es sind freilich mehr Megären als Aphroditen, diese Fratschlerinnen. Weiter!
Da giebt's Finken-, Lerchen-, Stieglitzfutter; Canarienvögel, und wieder leere Vogelbauer im Stile der phantastischsten Früh- und Spätrenaissance; todte und „gepflückte“, lebendige gackernde und pickende Hühner, Honig in Waben und in Glastöpfchen, triefende Speckseiten und schneeweiße Sahne, blasse oder auch goldgelbe Butter; Blumenkohl, Rothkraut und Kohlhäupter zu ansehnlichen Pyramiden aufgethürmt; dann Parmesan, Nudeln, Maccaroni, Tausende von Semmeln, Kipfeln, die sich mit dem Pariser „pain riche“ an Wohlgeschmack messen können, rundes, außen honiggelbes Schwarzbrod aus Kornneuburg, kleines Brennholz, Kartoffeln; dazwischen Nürnberger Spielzeug, die Augenweide der Kleinen, welche mit der Hausfrau einkaufen gehen dürfen, Korbwaaren, Besen und Flechtwerk, Pantoffeln aus Zeug und Stroh. Und hier hat auch die Flora ihren Stand erbaut. Hyacinthen, Levkoyen, Azaleen; allerhand Frühlingskinder mit Wurzeln und Erde zum Wiedereinsetzen, Veilchen, Primeln, Knollengewächse, ja sogar schon Rosen bietet die Lenzgöttin. Es folgen Hagebutten in Körben, dann ein Mann, der Glasscherben mit Kitt zusammenheftet und, um die Haltbarkeit seiner Arbeit darzuthun, eiserne Gewichte daran aufhängt. Weiter hinten in der Reihe das schuppige Volk der Flußbewohner, Hechte, Schaiden, Schill; die See ist durch Hummern, Turbot, kleine Garneelen mit langen Fühlhörnern und anderes vertreten. Noch weiter zurück arbeiten die Fleischhauer, zukünftige Rostbraten, „Wiener Schnitzel“ und „Lämmernes“ verkaufend; arme kleine Lämmlein weiß wie Schnee hängen in vollem Ornat, noch mit ihrem Vließe angethan, an grausamen eisernen Haken. Noch tiefer zurück geht der Fruchtvertrieb en gros vor sich. Zahllose Aepfelfässer, mit Bast und Stroh bekleidet, lehnen gegen die Bänke, auf deren Kante dralle Dirnen, unwirsche Mütter und hexenhafte Ahnen sitzen. Aus einer Bude am Freihaus tritt eine reizende Mehlverkäuferin, die Hände in weißen Handschuhen, auf den ursprünglich kohlschwarzen, nun aber à la Pompadour gepuderten Haaren ein Kopftuch wie eine spanische Mantilla, ganz mit Mehl bestäubt, auf die Schwelle; sie sieht ironisch lächelnd in mein Notizbuch und fragt mich:
„Kaufen Sie Mehl?“
Ich wage eine verschämte Antwort. Sie aber erwidert mit schelmischem Lächeln etwas, was ihre Goethe'sche Schwester poetisch so ausdrückt:
„Mit nichten!
Denn wer die schöne Müllerin küßt,
Auf der Stelle verraten ist.
Euer schönes dunkles Kleid
Thät' mir leid
So weiß zu färben.“
Ich schlendre weiter und summe mir belustigt eines vor:
„Wenn man sie einmal nur gesehn,
Ach! immer muß man nach ihr gehn.“
Aber da im hintersten Winkel geht's laut her. Eine junge Böhmin hat zwei Landsleute wiedergefunden und erkannt; sie hat Kohl feil, und die Dorfgespielen schleppen Glaswaaren, zerbrechlich wie Glück. Marianka hört mit sichtlichem Gleichmuthe die etwas verlegenen Erkundigungen des in der „Vorsicht“ gründlich geschulten Janko an. Vielleicht, daß die Beiden dereinst ein würdiges Paar abgeben, wenn sie mit „Geld großmächtigem“, das sie beiderseitig verdient, in das Dorf heimkehren. Eine Schaar Gänse und ein paar stolze „Pockerln“ (Truthühner) bilden die in ihrer Kritik sehr laute Zuschauerschaft bei der Scene. Seitwärts bindet schmunzelnd ein Ungar, der, bequem über die Pferde gelagert, selbstbewußt seine Pfeife schmaucht, mit einem Rastelbinder aus der Gegend von Trentschin an. Ein Fremder steht abseits und zeichnet die Gruppe. Es ist ein bekannter Maler, der die Scene verewigt. Wir begrüßen uns.
„Für die 'Gartenlaube'!“ sagt er und zeigt mir seine wohlgelungene Skizze.
„So werde ich versuchen, ihr den Text zu schreiben,“ rufe ich, schon im Fortgehen.
Da schlendern ja auch noch meine beiden armen Kinder, das achtjährige Mädchen mit dem Korbe und das müde Brüderchen, umher!
„Noch nicht müde, Ihr Kinderchen?“ frage ich.
„Ach ja!“ – und das Mädchen erzählt mir auf weitere Fragen die ewig alte traurige Geschichte. Die Eltern heiratheten arm, auf ihren täglichen Verdienst angewiesen. Der Vater wird krank; die Mutter pflegt ihn; er stirbt; sie liegt im Spital mit zwei armen Würmchen. Sie schlagen sich nothdürftig durch, aber die Mutter bleibt siech und schwach. Was wird der morgige Tag, die Zukunft bringen?
„So kommt mit, Ihr Kleinen!“
Ich führe sie nochmals an allen Buden vorbei; Orangen, Fleisch, Butter, Brod und ein paar Guldenzettel wandern in den Korb.
„Nun macht, daß Ihr schleunigst nach Hause kommt! Die Mutter wartet. Da nehmt noch die Eier dazu! Nun aber flugs!“
Das Mädchen will mir die Hand küssen. Ich treibe die Kleinen bis zur Tramway, hebe sie in den Wagen, drücke dem Conducteur das Geld in die Hand und hui – fort sind sie.
Die Verkäuferinnen haben ihre Buden geräumt und geschlossen. Der „Wiener Naschmarkt“ ist leer und ausgestorben. Ueber dem stillen Orte gehen auch goldene Sterne auf und leuchten über eines Zufriedenen Heimweg.
Peter Michailowitsch Nikitine, der Mann, den die Gräfin Tschatscherin im Briefe an ihren Neffen als einen so vortrefflichen Weltmann und Lebenskenner gerühmt hatte, gehörte einer der ältesten russischen Adelsfamilien an. Fürstliches Blut rollte in seinen Adern.
Er war in der That in dem Sinne, in welchem alte Frauen den Werth des Menschen zu schätzen pflegen, ein vortrefflicher Mann, das heißt: er war praktischen Geistes und wußte mit Geschick und Klugheit Alles zu erreichen, was ihm in seiner politischen Laufbahn oder in geselliger Beziehung wünschenswerth schien. Daß er dabei ohne gründlichen Ernst der Gesinnung, ohne Charakter war, wurde in einem Lande, wo der Firniß Alles ist, kaum bemerkt; daß er die Frauen liebte, vergötterte, jeder Schönheit huldigte und nachstrebte, ohne dabei jemals mit der Seele betheiligt zu sein, ewig auf Genuß und Vergnügen bedacht, wurde ihm von Denjenigen, die nicht selbst darunter zu leiden hatten, nicht nur verziehen, sondern sogar als genial und liebenswürdig angerechnet, ja diese Eigenschaft, statt den Frauen, die darum wußten, eine Warnung zu sein, schien seine kühnsten Unternehmungen noch zu begünstigen.
Er hatte unter den Männern keine wahren Freunde, wie Viele ihm auch schmeichelten, weil sie seinen Einfluß gebrauchen zu können hofften. Er selbst hatte kein Bedürfniß nach Freundschaft – mit einer einzigen Ausnahme. Die Gräfin Tschatscherin war seine Vertraute, und diese alte Frau, die bereits seine Großmutter hätte sein können, war das einzige weibliche Wesen, dem er Wahrheit, Offenheit, innern Respect entgegenbrachte.
Der letzte Wagen rollte aus dem Palast der Gräfin. Die Gesellschaft war nicht sehr zahlreich gewesen; sie hatte sich größtentheils
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_346.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)