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Seite:Die Gartenlaube (1880) 344.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


ihr tägliches wissenschaftliches Futter zu schaffen, ihnen durch Herstellung einer trefflichen Bibliothek die Möglichkeit zu gewähren, an Ort und Stelle neben der Beobachtung die literarische Arbeit durchzuführen, durch genau bestimmte Sammlungen und Präparate, sowie durch Rath und That sie vor Irrthümern zu wahren und die Materialien zu einer vollständigen Fauna und Flora eines der reichsten Golfe unserer europäischen Meere zu bearbeiten, wie dies eben jetzt in Neapel geschieht.

Unsere Werke müssen für uns zeugen! Während der kurzen Zeit ihres Bestehens von noch nicht sechs Jahren hat die zoologische Station in Neapel das Menschenmögliche geleistet, und diese Leistungen bürgen für die Zukunft. Reiner, selbstloser Drang für die Wissenschaft hat die Anstalt gegründet, und es darf daher wohl der Wunsch ausgesprochen werden, daß ihr auch fernerhin die Mittel zufließen mögen, welche ihr gestatten, zum Besten der Wissenschaft ihre Thätigkeit weiter zu führen.




Der Wiener Naschmarkt.
Eine Plauderei aus der Kaiserstadt an der Donau.
Von Alfred Friedmann.

Von der Elisabeth-Brücke in Wien bietet sich dem Auge ein freundliches Städtebild. Sie überspringt die heute in viel zu weitem Bette schmal hineilende Wien, welche gestern noch mächtig gerauscht und getobt. Acht Statuen schauen von Piedestalen und Balustraden auf dich herab, während du selbst bald auf die gerade Linie, Kärnthnerstraße geheißen, welche von dem mosaikgezierten, in der Sonne glänzenden Dach des Stephans-Thurmes verstellt wird, bald auf die Kuppeln und Siegessäulen der Karls-Kirche blickst. Die goldenen Zierrathe der letzteren leuchten im Frühlingslicht; fernhin auf der Wiedener Hauptstraße stellt sich der rothe Ziegelbau der evangelischen Schule gebietend an die Ecke; die Polytechnik streckt sich lang nach der barocken Kirche hin; dieser gegenüber steigen stolz die gelbe Seitenfaçade der Handelsakademie, das Künstlerhaus im italienischen Renaissancestyl, das farben- und statuengeschmückte Gebäude der Gesellschaft der Musikfreunde herauf. Ein Stück Ring vor der Oper ist zu sehen, und dort tummeln sich Reiter, stieben die Vollblutpferde vor den aristokratischen Karossen dahin und promenirt eine lenzbedürftige, modesüchtige Menge: die elegante Wienerin mit ihrer feinen Taille, ihren kleinen Füßen, plaudernd, lachend, klatschend, der Fürst aus langer Ahnenreihe, der gefeierte Sänger, Maler, Dichter, der mit der deutschen Orthographie in ewigem Kampfe liegende Banquier-Millionär, der Sieger aus Oesterreichs Feld- und Seeschlachten, der erstaunte Bauer vom Lande, die aufgeputzte Familie aus der Leopoldstadt und unbemerkt, unangefochten auch meine Wenigkeit. Aber das kaleidoskopische Vorüberhuschen der Toiletten, Uniformen, Wagen, Reiter mit ihrem confusen Lärm ermüdet. Vor mir geht ein zerlumptes Kinderpaar, ein achtjähriges Mädchen, das ein jüngeres Brüderchen gar liebevoll führt und bewacht, fast so liebevoll, wie es selbst von einem gewitterdrohenden Sicherheitswachmann bewacht wird. Die Kinder schlängeln sich zwischen allerlei Gefahren über die Straße hinüber nach der Elisabeth-Brücke. Das Mädchen trägt einen leeren Korb, und manchmal flüstert es dem Bruder etwas Ermuthigendes zu. Er ist sehr müde, der Kleine. Und hungrig ist er auch. – Ich folge ihnen. Zur rechten Seite am Ende der Brücke umfaßt ein großes, niedriges, altmodisches Gebäude, das gräflich Starhemberg'sche Freihaus, wie ein ungeheuerer, gekrümmter Arm einen mit Buden Holzhäuschen und einer wirr durch einander hastenden Menge bedeckten Platz. Das ist der Wiener Naschmarkt.

Die culturhistorischen Quellen fließen nicht so ergiebig über ihn, wie die unversiechbaren der Näschereien, denen er seinen Namen verdankt. Die vierundzwanzigste Lieferung von „Alt und Neu Wien“ von Moritz Bermann kann uns nur erzählen, „daß dieser Obstmarkt vom Volkswitz mit der prägnanten Bezeichnung 'Naschmarkt' belegt wurde, weil hier nicht nur Obst und alle erdenklichen Lebensmittel, sondern auch Leckereien feilgeboten wurden und es sogar nicht an mobilen Garküchen fehlt.“ Dieser Platz ist von jeher bekannt als auserkorener Sammelplatz der urwüchsigen Wiener Hökerinnen, „Fratschlerinnen“ (so genannt von Ausfragen, Auskundschaften), einer Specialität und Curiosität der Residenzstadt, „welche selbst von hohen Persönlichkeiten aus der Fremde besucht wurde, um die sprüchwörtliche Mundfertigkeit der Obst- und Gemüseverkäuferinnen zu erproben“.

Wer je in früher Morgenstunde durch den riesigen Frucht-, Obst- und Blumengarten von „Coventgarden“ in London gewandelt ist und vor all den überseeischen Erzeugnissen und Naturherrlichkeiten gestaunt, die Körbe voll Bananen, die goldenen Ananashäupter, die Riesenerdbeeren, die Seefrüchte, todte und lebende, bewundert hat, wer eine ähnliche Wanderung durch die Pariser „Centralhallen“ am Ende der „Rue Montmartre“ vorgenommen, ja, wer auch nur die prächtigen neuen, eisernen Wiener Markthallen am Stubenthor besichtigt, dem kann der Naschmackt als Mittelpunkt eines Weltverkehrs freilich nicht mehr imponiren. Der Zug in's Große, der durch unsere Zeit geht, droht nach und nach das Individuelle, Originelle, Volksthümliche ganz auszulöschen; wie die Nationalitäten zur Nation, die vielen kleinen Reiche ein Reich, so werden die kleinen zerstreuten Stadtmärkte ein Markt.

Centralisation ist das Schlagwort des Tages, und wie die Maschine die tödtlichste Concurrenz des Handwerkers, so ist auch die Association, der Verkehr in der Hand einer Actiengesellschaft, der Untergang jener zunftmäßigen, gildenhaften, alterthümlichen und altmodischen „Fratschlerei“.

Der Naschmarkt ist ein solches Ueberbleibsel aus einer Zeit, die nun fernabdonnernd die Thore hinter sich zuwirft. Das neue Wien verschlingt das alte, wie Chronos, die Zeit, ihre Kinder.

Von dem ersten Bäuerlein, das seiner Scholle, seines Gartens Frucht zum kleinen nachbarlichen Marktflecken gebracht, bis zum Coventgarden-Market, bis zur Wiener Markthalle – welch ein riesiger Abstand! Weil wir es aber heute so „herrlich weit gebracht“ haben, sehen wir uns darum nicht doch gern einmal wieder ein Stück aus der guten alten Zeit an? Und das ist der Wiener Naschmarkt. Man muß ihn „halt“ ein wenig mit Kinderaugen betrachten.

Da sind, aufgethürmt wie Billardkugeln in ihrem Dreieck, goldrothe Orangen, und um sie her weht ein Duft wie von den Gärten ihrer Heimath, dem meerumspülten Capri, dem hochgestadigen Sorrent, den Palmenhainen der Riviera und der heißen Sandküste Algiers. Wie Perlen an einem Halsband hängen lange Kränze zuckerstaubiger Feigen von den Querstangen der Buden herab: Früchte aus Smyrna, denen kleine goldige Körner im weichen Inneren glühen. Hier diese Citronen kommen aus Rom. Zwischen dunkelgrünen Zweigen haben sie gehangen; eine dunkeläugige Trasteverinerin lehnte vielleicht mit dem Rücken an dem Stamm, die Arme verschränkt und halb ungläubig lächelnd, halb selig vertrauend zu dem kecken Beppo aufblickend, der weiter nichts zu sagen wußte, als immer und immer: „Ti voglio ben, Ti voglio ben.“

Der Cocosnuß halb offene Schalen zeigen dir ihr blendend weißes Herz. Süße „Krachmandeln“ in ihren rauhen lederartig bezogenen und runenbezeichneten Schalen lagern in geflochtenen Bastkörben. Und jene dunkeln Schoten dort – wer kennt sie nicht aus der schönen Zeit der Jugend her? In Südspanien, Südportugal, am Mittelmeere wächst ein Baum, unserm Apfelbaum nicht unähnlich; in Sicilien bildet er ganze Wälder; seine Frucht hat nach der Sage einst Johannes dem Täufer in der Wüste Nahrung geboten: jetzt stehen die Schulknaben begehrlich vor den braunen, trockenen, süßen Hülsen, die er hergesendet hat, und kaufen sich für ihre paar Naschkreuzer – das Johannisbrod. Was neben ihm goldbraun glänzt, das sind Früchte aus der großen Oase der Mozab, wo die Dattelstämme ragen, von denen der mozabitische Bauer sagt: „das Haupt im Feuer, den Fuß im Wasser – so will's die Nährpalme,“ wie C. von Vincenti so schön in seinen farbengluthigen „Wundergeschichten der Liebe“ zu erzählen weiß. Oder kommen sie aus Valencia, der spanischen Provinz, mit ihren Oasen von 80,000 Dattelstämmen?

Hier bietet ein altes Großmütterchen, den Strickstrumpf, wie fast alle Damen dieser Hallen, in den runzligen Händen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_344.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)