Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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No. 19. | 1880. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.
„Das nennt man nun hier zu Lande Frühling! Das Schneetreiben wird mit jeder Minute ärger, und dazu bläst dieser liebenswürdige Nordost mit einer Energie, als wollte er uns mit der ganzen Extrapost fortwehen. Es ist zum Verzweifeln.“
Die Postchaise, deren einer Insasse in dieser Weise seinem Unmuthe Luft machte, arbeitete sich in der That mühsam durch den Schnee der Landstraße. Die Pferde kamen trotz aller Anstrengung nur im Schritt und so langsam vorwärts, daß die Geduld der beiden Reisenden, die sich im Innern des Wagens befanden, auf eine harte Probe gestellt wurde.
Der Jüngere der Beiden, der einen sehr eleganten, aber für diese Witterung viel zu leichten Reise-Anzug trug, konnte höchstens vierundzwanzig Jahr alt sein. Der volle Lebensmuth oder vielmehr Uebermuth der Jugend leuchtete aus den schönen offenen Zügen, aus den dunklen Augen, die so keck und klar in die Welt blickten, als wären sie noch nie von irgend einem Schatten getrübt worden. Die ganze Erscheinung hatte etwas ungemein Fesselndes und Liebenswürdiges, aber der junge Reisende schien die Verzögerung der Fahrt sehr ungeduldig zu ertragen und gab seinem Aerger darüber jeden nur möglichen Ausdruck.
Desto gleichgültiger zeigte sich sein Begleiter, der, in einen grauen Mantel gehüllt, in der anderen Ecke des Wagens lehnte. Er schien einige Jahre älter zu sein, aber sein Aeußeres hatte wenig Anziehendes. Seine Gestalt war mehr kräftig als elegant, seine Haltung beinahe nachlässig. Sein Gesicht war nicht gerade häßlich; mindestens konnte es für charaktervoll gelten, wenn seine Linien auch keinen Anspruch auf Schönheit oder Regelmäßigkeit erheben durften, aber es lag ein Ausdruck darin, der befremdend und erkältend wirkte. Die tiefe Herbheit und Bitterkeit der schwersten Lebenserfahrungen mußte diesem jugendlichen Alter noch fremd sein, und doch war unbedingt etwas davon in jenem Zuge, der, ohne sich im Einzelnen verfolgen oder feststellen zu lassen, doch dem ganzen Antlitz sein eigenthümliches Gepräge lieh und den jungen Mann weit älter erscheinen ließ, als er in Wirklichkeit war. Das volle dunkle Haar harmonirte mit den dichten dunklen Augenbrauen, die Augen selbst aber waren von jener völlig unbestimmten Farbe, die gewöhnlich nicht für schön gilt. Es lag auch in der That wenig Sympathisches darin, kein froher Lebensmuth, keine einzige von jenen schwärmerischen oder leidenschaftlichen Regungen, an denen die Jugend sonst so reich ist. Der kalte, freudlose Blick hatte etwas ungemein Hartes, wie die ganze Persönlichkeit.
Der Letztgeschilderte hatte bisher ruhig in das Schneetreiben hinausgeblickt; jetzt wandte er sich um, und jenen ungeduldigen Ausruf seines Gefährten beantwortend, sagte er:
„Du vergißt, Edmund, daß wir uns nicht mehr in Italien befinden. In unserem Klima, und vollends hier in den Bergen, gehört der März noch ganz dem Winter an.“
„Mein schönes Italien! Dort verließen wir Alles im Sonnenschein und Blüthenduft, und hier in der Heimath empfängt uns ein Schneesturm, direct vom Nordpol importirt. Du scheinst Dich freilich bei dieser Temperatur ganz wohl zu befinden. Dir ist ja auch die ganze Reise nur eine lästige Aufgabe gewesen. Leugne es nicht, Oswald – Du wärst am liebsten zu Hause bei Deinen Büchern geblieben.“
Oswald zuckte die Achseln.
„Was ich wünschte oder nicht wünschte, kam wohl überhaupt nicht in Betracht. Du solltest nicht ohne Begleitung reisen – da hatte ich mich einfach zu fügen.“
„Ja, Du wurdest mir als Mentor beigegeben,“ lachte Edmund, „mit dem allerhöchsten Auftrage, mich zu beaufsichtigen und mir nöthigenfalls Zügel anzulegen.“
„Was mir durchaus nicht gelungen ist. Du hast Tollheiten genug ausgeübt.“
„Bah, wozu ist man denn jung und reich, wenn man das Leben nicht genießen soll! Ich habe das freilich stets allein thun müssen. Geh, Oswald, Du bist kein guter Camerad gewesen! Warum zogst Du Dich stets so eigensinnig und finster zurück?“
„Weil ich wußte, daß das, was dem Majoratsherrn und Grafen Ettersberg erlaubt ist oder ihm höchstens mit einem zärtlichen Vorwurfe verziehen wird, bei mir als Verbrechen gilt,“ lautete die schroffe Erwiderung.
„Warum nicht gar!“ rief Edmund. „Du weißt doch, daß ich in jedem Falle die Verantwortung für uns Beide auf mich genommen hätte. So freilich muß ich alle Schuld auf mich allein nehmen. Nun, der Richterspruch über mein Vergehen wird nicht allzu streng ausfallen, wenn aber Du bei der Rückkehr Deine Zukunftspläne zur Sprache bringst, so kannst Du Dich auf einen Sturm gefaßt machen.“
„Das weiß ich,“ versetzte Oswald lakonisch.
„Aber diesmal stehe ich Dir nicht zur Seite, wie damals, als Du so entschieden die Militärcarrière verweigertest,“ fuhr der junge Graf fort. „Ich half Dir das durchsetzen; denn ich glaubte natürlich, Du werdest in den Staatsdienst treten. Wir Alle glaubten das, und jetzt kommst Du auf einmal mit dieser unsinnigen Idee zum Vorschein.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_301.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)