Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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Ton der Grille, der Ruf des Uhus oder des Käuzchens, das Quaken der Frösche, oder das Miauen einer Katze, am Tage das Bellen eines Hundes oder andere Stimmen der das Leben und die Gewohnheiten der Menschen theilenden Thiere. Namentlich aber wurde den Novizen immer und immer wieder eingeschärft, daß das erste und Haupterforderniß bei allem Thun Schweigen sei, und der erste Artikel der Statuten lautete, daß Jeder mit gutem Auge, scharfem Ohre, flinken Füßen und „keiner Zunge“ Mitglied werden könne.
Eigenthümlich waren auch die Ceremonien, welche bei der Ausschließung eines Mitgliedes der Garduna beobachtet wurden. Dies geschah beispielsweise, wenn ein solches sich durch Mitleid oder einen andern Beweggrund veranlassen ließ, seinen Auftrag nicht oder nicht gehörig auszuführen. Eine solche Ausschließung wurde dadurch eingeleitet, daß bei einer der nächtlichen Versammlungen der Meister des Ordens oder dessen Stellvertreter, nachdem die Schuld des Betreffenden kund gethan war, das catalonische Messer, welches er gleich allen Anderen trug, oder seinen Dolch ergriff und, die Spitze auf den Boden drückend, sich kräftig auf die Klinge lehnte und sie so zerbrach. Die zerbrochenen Stücke händigte er dem Abtrünnigen ein, der ihm dagegen sein eigenes Messer zu übergeben hatte. Durch diesen Austausch war der Bravo degradirt und unwürdig geworden, ferner der Garduna-Brüderschaft anzugehören. Hierauf führte ihn der Meister vor das Madonnenbild, kniete dort mit ihm nieder und ließ ihn schwören, weder den Bund noch einen Theilnehmer desselben jemals zu verrathen – welcher Verrath übrigens mit dem Tode bestraft worden wäre. Nachdem der Ausgestoßene sich entfernt, begaben sich Alle nach der nächstgelegenen Kirche, um die heilige Jungfrau anzuflehen, daß sie ihnen bald ein neues Mitglied an Stelle des verstoßenen senden möge.
Auch ein Tagesbefehl fiel bei der im November 1822 erfolgten Auflösung der Garduna den Behörden in die Hände, aus dem wir folgende interessante Stelle hier wiedergeben:
„Ferner ist auszuführen eine Taufe (Dolchstich), mit sechs Dublonen bezahlt. Ein Canonicus bezahlt sie. Dieselbe soll morgen vor sechs Uhr Abends einem Confrater des Mandatars, der um diese Zeit die Brücke von Triana zu passiren pflegt, gegeben werden, damit der Getaufte nicht den Mitgliedern des Capitels die nothwendigen Besuche abstatten und um ihre Stimme bei der Wahl zum Dechanten werben kann. Sein Nebenbuhler hofft dadurch größere Aussicht zu erhalten. Wenn diese Taufe sich nach einigen Tagen in eine Beerdigung verwandeln könnte, so würde die Summe verdoppelt werden. Wohl verstanden, man muß mit Geschicklichkeit verfahren, damit die Wunde nicht augenblicklich tödtlich ist. Zu diesem Zwecke bedient man sich entweder eines feinen Dolches, oder einer spitzen Pfrieme, selbst eine dicke Sattlernadel genügt, um eine Wunde zu machen, die zehn bis zwölf Tage dauert und blutet. Uebrigens, wenn der Canonicus zum Dechanten gewählt wird, so kann unser Bund auf seinen Schutz rechnen, wie auch Seine Gnaden ausdrücklich versprochen.“
Es ist von Interesse, zu erfahren, daß unter diesen Bestellungen sich nahezu an 2000 befinden, welche seitens der Inquisition innerhalb eines Zeitraums von 147 Jahren bei dem Bunde gemacht wurden und ihm die Summe von 198,670 Pesetas eintrugen (ein Peseta ungefähr = 3/4 Mark). Dieselben bestanden zu ein Drittel aus Entführungen von Frauen; der Meuchelmord bildet ein zweites Drittel; Ertränkungen, Dolchstöße, falsche Zeugnisse etc. füllen den Rest. Seit dem Jahre 1667 wurden die Aufträge seltener; vom Jahre 1797 ab findet sich keine von einem Mitgliede der Inquisition gemachte Bestellung mehr vor in diesem Register.
Schließlich folge hier die Schilderung einer seitens der Garduna ausgeführten Entführung, wie sie zu Anfang dieses Jahrhunderts in einer großen Stadt Spaniens geschehen.
Die Glocke der Kathedrale hatte soeben die Mitternachtstunde verkündet, als ein kleiner Trupp der Garduna, der sich in dem Schatten der Pfeiler verborgen, sich geräuschlos von diesen loslöste, um an den verschiedenen Ecken des freien Platzes einzeln Posto zu fassen, während sich ein weibliches Mitglied der Bande in die Mitte des Platzes begab und sich bei den Orangenbäumen verbarg, welche den dort plätschernden Springbrunnen umgaben. In diesem Augenblicke hörte man leise Tritte, und eine weibliche Person näherte sich dem Springbrunnen und blieb dort stehen, indem sie wie suchend um sich blickte. Sofort trat die serena hinter dem Bosquet hervor und winkte ihr auf ihre hastigen Fragen Stillschweigen. Und plötzlich eilen, auf ein gegebenes Zeichen, von allen Seiten die Anhänger der Garduna geräuschlos herbei, fassen die zum Tode Erschrockene, der augenblicklich ein seidenes Tuch um den Mund gelegt wird, und tragen sie in einen am Eingange einer Seitenstraße haltenden Wagen, dessen Rollen Niemand vernehmen kann, da die Räder mit dickem Leder beschlagen sind und die Füße der vorgespannten Maulthiere Nachtsandalen aus Büffelleder und Werg tragen, die mit Riemen und Schnallen befestigt sind. Fort fährt der Wagen, dem die eine Hälfte der Entführer voran eilt, während die andere im stärksten Laufe folgt.
Ehe das Ende der Stadt erreicht ist, muß eine Brücke passirt werden, auf der eine Anzahl Sbirren sich postirt hat; dicht vor der Brücke gelingt es der Entführten, einen Schrei auszustoßen. Doch auch das rettet die Unglückliche nicht. Der Wagenlenker macht sofort Kehrt, um, so schnell die Maulthiere laufen können, davonzufahren, während die Begleiter sich den Sbirren entgegen werfen. Auf der nur von einigen Fackeln und Laternen erleuchteten Brücke entspinnt sich ein wüthender Kampf, und nach einigen Augenblicken sind die Sbirren bis an das Geländer zurückgedrängt. Da faßt auf einen von dem Führer der Verbrecher ausgestoßenen kurzen Ruf jeder derselben seinen Gegner mit unvorhergesehenem, raschem Untergriff um den Leib und stürzt ihn über das Brückengeländer hinab in den Guadalquivir. Eine Stunde später hält der Wagen vor den Thoren eines klosterähnlichen Gebäudes, und die Entführung ist geglückt.
Am andern Morgen meldet einer der Sbirren, der sich aus dem Flusse durch Schwimmen gerettet, das Geschehene. Aber alle Schritte, welche die Eltern zur Ermittelung des unglücklichen Kindes thun, sind vergebens. Lange Zeit danach erst wurde durch einen Zufall eine Spur entdeckt, die zur Lösung des Räthsels führte. Die Schönheit des jungen Mädchens hatte bei einem Kirchenbesuche die Blicke eines sehr wohlhabenden Wüstlings auf sie gezogen, und nachdem dieser vergebens versucht, auf anderem Wege sein Ziel zu erreichen, bediente er sich jener Verbrechersecte, und leider mit dem besten Erfolge. Eine gefälschte Einladung zu einem Rendezvous von bekannter Hand hatte das Opfer an den zur Ausführung ersehenen Platz gelockt.
Bei der Auflösung der Garduna im Jahre 1822 fiel durch Veröffentlichung ihrer Papiere und Schriften der Schleier so mancher Gewaltthat, so manchen Verbrechens; was lange Jahre hindurch unaufgeklärt und verborgen gewesen, wurde mit einem Male klar, und das Land athmete erleichtert auf, von einer so fürchterlichen Plage befreit zu sein.
Von dem rastlosen Streben und Wachsen der Industrie und dem hierdurch veranlaßten Aufschwunge der modernen Verkehrsmittel legt kaum etwas ein so glänzendes Zeugniß ab, wie die gewaltigen Bauwerke unserer Zeit. Ein solch mächtiges Monument der Betriebsamkeit wurde neuerdings in dem Empfangsgebäude der Berlin-Anhaltischen Eisenbahn in Berlin aufgerichtet, um demnächst seiner Bestimmung übergeben zu werden.
Die ursprünglich zum Betrieb einer Berlin-Sächsischen Eisenbahn von Potsdam über Riesa nach Leipzig im Jahre 1836 gegründete Privatgesellschaft verwandelte sich zwei Jahre später mangels Erlangung dieser Concession in die Berlin-Anhaltische Gesellschaft zum Bau einer Bahn von Berlin nach Cöthen. Bereits im Jahre 1841 wurde diese ganze Strecke eröffnet. Im Jahre 1848 wurde die Verbindung mit Dresden durch die Strecke Jüterbogk-Röderau hergestellt, und elf Jahre später wurden Bitterfeld, Halle und Leipzig in das Verkehrsnetz gezogen. Erst nach dem deutsch-französischen Kriege ließ sich die directe Verbindung zwischen Magdeburg und Leipzig durch Ausbau der
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_295.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)