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Seite:Die Gartenlaube (1880) 263.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Wonne, mich zum ersten Mal in Zeitschriften gedruckt zu sehen, las meine Gedichte in seinen Kreisen überall vor, brachte mich, noch während meiner Gymnasialzeit, als Prologdichter auf das Breslauer Theater und wußte für meine Schülerpoesien sogar einen mächtigen Gönner und unvorsichtigen Verleger aufzutreiben, bei welchem sie denn auch seit einem Jahrzehnt in ungestörter Verborgenheit ruhen.

So wurde er mein bester Freund, dem ich Alles vertrauen konnte, was mir auf der Seele lag, und der auch mir, obgleich ich um mehr als zwei Menschenalter jünger war, sein volles Vertrauen schenkte. Wenn wir in seinem Zimmer zur Dämmerstunde beisammen saßen oder mit einander einen Mittagsspaziergang über die Breslauer Promenaden machten, gab es immer viel zu erörtern. Gespräche politischen, religiösen, philosophischen oder literarischen Inhalts wechselten bunt mit einander.

War er besonders gut aufgelegt, so las er wohl auch Dies und Jenes vor, eine Scene aus einem Shakespeare’schen Stücke, einige seiner köstlichen schlesischen Gedichte, oder etwas Fremdes, Neues, das sein Gefallen erregt hatte. Als Erzähler wie als Vorleser war Holtei unerschöpflich und unübertrefflich. Er konnte Einen plötzlich und ohne weitere Vorbereitung lachen und weinen machen, erschüttern und beseligen, zermalmen und erheben, und beherrschte seine Stoffe mit so großer Virtuosität, daß auch das Unbedeutendste durch die Art, wie er es darbot, den Schein des Bedeutenden gewann. Eigenthümlich war das Mittel, durch welches er die Aufmerksamkeit seines Hörers zu fesseln verstand. Er las, als wenn er sich unterhielte, und nagelte den Angeredeten, der oft nicht wußte, wo das Gespräch aufhörte und die Vorlesung begann, mit den Augen fest.

Welche Augen! Aus ihrem hellen Blau leuchtete die volle Seele, und ihre Lider überflog entweder ein Schatten leichter Melancholie, oder es umspielten sie hundert schalkhafte Falten des Humors. Diese Augen hatten nichts zu verheimlichen, und wen sie ansahen, der konnte, im Moment wenigstens, einer Ausflucht oder Lüge nicht fähig sein. In ihren Blicken waren seine rührende Gutmüthigkeit, seine oft geradezu erschreckende Offenherzigkeit, seine ausgelassenen Launen und seine aus Todessehnsucht und Sterbensfurcht gemischte Schwermuth deutlich zu erkennen. Was Holtei vor der Mehrzahl der anderen Menschen voraus hatte, war die in’s Unglaubliche gesteigerte Macht der Persönlichkeit. Man kann sagen, ohne damit seine poetische Begabung im mindesten herabzusetzen, daß der Mensch in ihm den Dichter an Bedeutung bei weitem übertraf. Auch seine beliebtesten, gerade ihres natürlichen Zaubers wegen so gern gelesenen Schriften geben kein vollständig zutreffendes Bild des eigenthümlichen Originals, das nur im nähern persönlichen Verkehr genau zu verstehen war.

Von der merkwürdigen Gabe des anschaulichen Vergegenwärtigens, die seinem Erzähler- und Vorlesertalente eigen war, habe ich namentlich in einer Hinsicht profitirt. Als Gymnasiast hatte ich noch sehr wenig von deutscher Literatur erfahren, die mittelalterliche ausgenommen, die mir gar nicht behagen wollte; in der neuern Geschichte der Poesie wurden wir mit trockenen Zahlen und Namen abgespeist, und nur der Zufall und der einmal erwachte Wissenstrieb machten mich mit dem oder jenem Dichter näher vertraut. Da hatte ich nun in Holtei ein lebendiges Buch vor mir, das mir Aufschluß über Alles gab, was ich nur wissen wollte, und zwar auf die allerunzweideutigste Art. Nicht nur, daß er selbst ein sehr langes und interessantes Stück Literaturgeschichte repräsentirte, das den ganzen Entwickelungsproceß des neunzehnten Jahrhunderts enthielt: seine ihm wieder von Aelteren mitgetheilten Erinnerungen reichten noch weiter zurück, bis in die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. Ich habe ihn weidlich gequält, bis er mich mit allen Größen der letzten Epoche genau bekannt gemacht hatte. Es gab kaum einen Dichter, Musiker und Schauspieler von 1820 bis 1870, dem er nicht irgendwo begegnet wäre. Dabei war der üppige Haushalt seiner Erinnerungen und Erlebnisse in so vorzüglicher Ordnung, daß Wiederholungen zu den allerseltensten Ausnahmen gehörten. Erst in der letzten Zeit, nachdem er von den „drei Bergen“ in’s Kloster der barmherzigen Brüder übergesiedelt war und seine allmähliche körperliche Auflösung begann, begegnete es ihm, daß er sich öfter wiederholte.

(Schluß folgt.)




Wallenstein als Student in Altdorf.
Nach Wagenseil, Murr und Baader dargestellt von Karl Ueberhorst.


– „zu Altdorf im Studentenkragen
Trieb er’s, mit Permiß zu sagen
Ein wenig locker und burschikos,
Hätte seinen Famulus bald erschlagen.
Wollten ihn drauf die Nürnberger Herren
Mir nichts, dir nichts in’s Carcer sperren;
’s war just ein neugebautes Nest;
Der erste Bewohner sollt’ es taufen.
Aber wie fängt er’s an? Er läßt
Weislich den Pudel voran erst laufen.
Nach dem Hunde nennt sich’s bis diesen Tag –
Ein rechter Kerl sich dran spiegeln mag.“ –

Welchem unserer Leser wären obige Worte, mit denen der Jäger in „Wallenstein’s Lager“, die, wenn auch nur kurze, doch um so wildere und ausgelassenere Studentenzeit des Helden der Schiller’schen Trilogie so charakteristisch schildert, nicht bekannt? Sie haben gar manche geschichtliche Controverse insofern hervorgerufen, als der Aufenthalt Albrecht von Waldstein’s auf der Schule zu Altdorf vielfach bestritten worden ist. Der um die böhmische Geschichte hochverdiente Franz Palacki insbesondere verweist, indem er der Wallenstein’schen Biographie des Domherrn Cerwenka aus dem siebenzehnten Jahrhundert folgt, alle Nachrichten über Wallenstein’s Altdorfer Studentenzeit in den Bereich der Sage, und hauptsächlich diesem sonst hochverdienten und zuverlässigen Geschichtsschreiber, der bei genauerem Durchforschen deutscher Quellen sicherlich bald seines Irrthums würde inne geworden sein, verdanken wir das jeder Prüfung baare Nacherzählen obiger Behauptung. Schon im siebenzehnten Jahrhundert berichtet uns der Altdorfer Professor Wagenseil urkundlich über den Aufenthalt des jungen Waldstein in Altdorf – ebenso beweisen Murr im vorigen, Baader in diesem Jahrhundert aus Universitätsacten und Nürnberger Rathserlassen, daß Wallenstein nicht nur Student in Altdorf, sondern auch ganz der wilde Student gewesen, wie ihn uns Schiller so treffend in obigen Versen geschildert. Ein Anderes ist es mit der bekannte Carcerlegende. Die Sage umkleidet das Leben große und hervorragender Menschen gern mit vielerlei abenteuerlichen Historien; daß sich dem gleich einem Meteor am deutschen Himmel emporsteigenden Friedländer derartige Anekdoten, lustige und schaurige, an die Fersen heften mußten, ist daher selbstverständlich – war er doch um 1632 der gefürchtetste, mächtigste und auch wohl reichste Mann Europas (das jährliche Einkommen seiner Güter allein belief sich nachweislich auf drei Millionen Gulden). Diesen Volkssagen nun verdanken wir auch die Anekdote von der originellen Taufe des Altdorfer Carcers. Bei näherer Einsicht in die Dichterwerkstatt Schiller’s aber wird der Literarhistoriker bald erkennen, daß dieser nicht nur der Volksmythe folgte, sondern auch, insbesondere bei Erwähnung des nahezu „erschlagenen Famulus“, ja selbst bei der Zeile: „Nach dem Hunde nennt sich’s bis diesen Tag“, historische Quellen – wahrscheinlich dieselben, welche uns vorliegen – benutzte. Diese Quellen aber ergeben Folgendes.

Der Nürnberger Rath verlegte sein kurz nach der Reformation von Melanchthon eingerichtetes Gymnasium um 1575 nach dem zum Nürnberger Gebiet gehörigen, nahegelegenen kleinen Altdorf, um die studirende Jugend von den Zerstreuungen, welche die reiche und lebenslustige Reichsstadt nur allzu verführerisch bot, abzuhalten. Rudolph der Zweite erhob die Schule 1576 zu einer Akademie; den eigentlichen Universitätsrang erhielt sie 1622. Wir wollen hier gleich hinzufügen, daß sie 1809 mit Erlangen vereinigt, aber erst 1818 vollständig aufgehoben wurde.

Die Hoffnung des Nürnberger Raths auf ein ruhiges und fleißiges Leben der studirenden Jugend ging nicht in Erfüllung; denn, wie zu dieser Zeit auf fast allen deutschen Universitäten ein wüstes Leben eingerissen war, so finden sich die Anzeichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_263.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)