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Seite:Die Gartenlaube (1880) 243.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Dennoch unterscheidet sich dieser Papyrus der Ciceroni in seiner Beschaffenheit ungünstig vom alten. In seinen Zellen findet sich nämlich Stärke in Körnern, die jedenfalls aus der Pflanze selbst stammt. Wahrscheinlich ward letztere ehemals für ihre Bestimmung zu einer Zeit abgeschnitten, da sich der genannte Stoff noch nicht in ihr gebildet hatte, oder man kannte ein besonderes Verfahren zu dessen Vernichtung. Natürlich beeinträchtigen die Stärkekörner die Glätte des Papieres, und da auch sonst schwierig darauf zu schreiben ist, indem unsere Tinte schlecht haftet und leicht ausläuft, so hat es, angesichts unserer vervollkommneten Papiere, keinen praktischen Nutzen mehr. Auch alles Uebrige, wozu früher die Papyrusstaude diente, erhält man jetzt auf anderem Wege; die einst so unentbehrliche Pflanze ist daher für uns nur noch eine ehrwürdige Reliquie aus ferner classischer Zeit.

Nachdem wir unsere Ernte, deren Resultate später zum Theil mit nach Deutschland übersiedelten, beendet hatten, mußte dem Papyrushain Lebewohl gesagt werden; denn der kurze Wintertag neigte sich seinem Ende zu, und wir hatten gute anderthalb Stunden bis zur Stadt zurückzurudern, wollten auch dem nahen Olympieion noch einen kurzen Besuch abstatten. Zu diesem Zwecke verließen wir, noch ehe wir wieder in den Anapos gelangt waren, das Boot, das wir voraussandten, um unter der Helorischen Brücke auf uns zu warten.

Als wir eine Weile später wieder auf den blauen Wellen des Ionischen Meeres schaukelten, war bereits das Tagesgestirn hinter den Bergen von Pallapolo versunken; graue Dämmerung breitete sich über Felsenwüste und Sumpf, das Grab der alten Marmorstadt; nur dort, wo einst die Akropolis schimmerte, ragte ein Häuflein armseliger Häuser in den schweigenden Abendhimmel, und im Uferschilfe flüstert der Nachtwind ein Lied von der Vergänglichkeit.

Mir aber wollte die eigenthümliche Stimmung, welche mich im Schatten der merkwürdigen, so fremdartig und vertraut zugleich anmuthenden Pflanzenansiedelung an der Kyane ergriffen, lange nicht in der Seele verblassen. Eines Tages wagte ich, ihr in Versen Ausdruck zu verleihen, welchen ich die Ueberschrift „Gesang des Papyrus von Syrakus“ gab. Hier sind sie:

O Wandrer im Kahne, vernimm meinen Sang,
Wenn sanft die Kyane du gleitest entlang!
Aus bläulichen Fluthen blüh' dort ich empor:
Gefiederte Ruthen auf schwankendem Rohr.

Zum Strome mich neigend, bei Farren und Moos,
Betrachte ich schweigend mein wechselndes Loos:
Sonst ward mir die Pflege des Wissens vertraut;
Jetzt wachs' ich am Wege, ein nutzloses Kraut.

Jahrhunderte kommen, Jahrhunderte gehen,
Hab' selten vernommen, was draußen geschehn,
Aus uralten Tagen, die spärlich erhellt
Von dämmernden Sagen, nur kennt mich die Welt.

O sonniger Frieden, von Träumen umwallt,
Vom Leben gemieden, das ferne verhallt!
Stumm kreist die Libelle im zitternden Licht,
Die silberne Welle im Schilfe sich bricht.

Da rauscht's in den Halmen mit schläfriger Ruh,
Am Ufer die Palmen, sie flüstern dazu.
Gern lausch' ich dem Klange in träumendem Bann . . .
Ich lausche schon lange, weiß selbst nicht seit wann.

Und sank dann hernieder die thauige Nacht,
So sind mir die Lieder der Lüfte erwacht.
Sie rauschen und flüstern und künden mir viel
Von fernen Geschwistern am heiligen Nil.

Karl Conrad.




Zur Geschichte der Socialdemokratie.
Von Franz Mehring.

6. Der deutsche Zweig der Internationale und der allgemeine deutsche Arbeiterverein.

Wenn die Arbeiteragitation Lassalle’s der erste Abschnitt in der Geschichte der deutschen Socialdemokratie war, so stellen die zehnjährigen Kämpfe zwischen dem deutschen Zweige der Internationale und dem allgemeinen deutschen Arbeitervereine ihren zweiten Theil dar. Sie haben in ihrer grotesk-lächerlichen Form viel dazu beigetragen, daß die communistische Bewegung arg unterschätzt wurde; insofern haben sie ihr mehr genutzt, als geschadet, sodaß hier gewissermaßen das bekannte Wort des römischen Geschichtsschreibers umgekehrt wurde und kleine Dinge nicht durch Eintracht, sondern durch Zwietracht wuchsen. Heute haben die Einzelnheiten dieser innern Zwiste nur noch geringes Interesse; es ist nützlicher, ihre treibenden Momente klar zu erkennen, als sie in ihren wechselnden Gestaltungen genau zu verfolgen oder gar die schmutzige Wäsche der „Führer“ nochmals auszukramen.[1]

Nach dem Tode Lassalle’s war der allgemeine deutsche Arbeiterverein zunächst ein Körper ohne Kopf, ein Leib ohne Seele. Er vegetirte nur noch, aber er lebte nicht mehr. Die auf Lassalle folgenden Präsidenten des Vereins, Bernhard Becker, Tölcke, Perl erwiesen sich als völlig gedankenlose oder im besten Falle als ganz unbedeutende Leute; sie vermochten den Gedanken des Meisters kaum zu fassen, geschweige denn durchzuführen. Marx selbst lehnte die Führerschaft der Secte ab. Aus guten Gründen; denn er konnte weder unbesehen die Erbschaft Lassalle’s antreten, noch durfte er hoffen, die glühenden Anhänger seines einstigen Freundes ohne Weiteres zu seinem Glaubensbekenntnisse zu bekehren. Vertrauend auf den alten Erfahrungssatz, daß in revolutionären Parteien am letzten Ende immer die maßlosere über die besonnenere Richtung siegt, hielt er es für angezeigter, in unversöhnlichem Kampfe die Lassalleaner zu überwinden und zu verschlingen, als aus ihrem eigenen Schoße heraus sie umzuwandeln, wobei er sich persönlich nur zu schnell aufreiben und vernutzen konnte. Die Richtigkeit dieser Rechnung wurde durch den thatsächlichen Gang der Dinge glänzend erwiesen.

Namentlich ein Theil der Hinterlassenschaft Lassalle’s war es, den Marx unter keinen Umständen zu übernehmen vermochte, und zwar gerade der im damaligen Augenblicke wichtigste Theil: der Glaube an den Beruf des preußischen Staats, die deutsche Einheitsfrage zu lösen. In diesem Punkte war er von jeher wenn möglich noch unerbittlicher, als in jedem andern; namenlos und unbeschreiblich ist der Haß, der ihn gegen das Land seiner Geburt verzehrt. Während Lassalle in dem immer mächtiger aufschlagenden Feuer der nationalen Bewegung seine Kastanien zu rösten gedachte, wollte Marx vielmehr für seine Zwecke in den trüben Strudeln der particularistischen Strömungen fischen. Gerade dieser Gegensatz, obgleich er nur ein Gegensatz der Taktik, nicht der Grundsätze war, trat in den Kämpfen zwischen den feindlichen Brüdern am schärfsten hervor, wie denn überhaupt bis zur Lösung der deutschen Frage, bis zur Gründung des deutschen Reiches, der alles beherrschende nationale Gedanke mehr oder minder bestimmend auch in die Entwickelung der deutschen Socialdemokratie eingegriffen hat.

Was den allgemeinen deutschen Arbeiterverein bis 1866 noch nothdürftig zusammenhielt trotz seiner kläglichen Führer, trotz der ewigen Intriguen der Gräfin Hatzfeldt, die einen Präsidenten nach dem andern stürzte, weil sich keiner ihren unberechenbaren Weiberlaunen fügen wollte – eine dieser Krisen auf Leben und Tod entstand dadurch, daß ein Präsident sich weigerte, Butter und Käse für den Abendtisch der Gräfin einzuholen – war das Hoffen und Harren auf den großen Tag, an dem die lange Rechnung der deutschen Zerrissenheit beglichen werden sollte. Prophetisch hatte Lassalle verheißen, daß dieser Tag den arbeitenden Classen als schönste Morgengabe das allgemeine Stimmrecht bringen werde.

In solchem Sinne wirkte innerhalb des Vereins namentlich Jean Baptiste von Schweitzer, ein geistreicher Wüstling, der die socialdemokratische Agitation wie einen aristokratischen Sport trieb und auf den Schultern der Arbeiter zu Ansehen, Macht, Ruhm emporsteigen wollte. Das Mißtrauen der Vereinsmitglieder gegen den blasirten Lebemann, die Scheu der Gräfin Hatzfeldt vor dem

  1. Diejenigen Leser, welche genauer von diesen Dingen Kenntniß zu nehmen wünschen, verweist der Verfasser auf sein Werk „Die deutsche Socialdemokratie“. Dritte Auflage. Bremen, Schünemann.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_243.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2021)