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Seite:Die Gartenlaube (1880) 231.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


‚Ich will mit ihr sprechen,‘ sagte ich; ‚lassen Sie ihr aber nicht merken, daß Sie zuvor mit ihr geredet haben!‘

Kaum konnte ich mich von meinem Erstaunen erholen, als ich dem eben Gehörten nachsann. Ich hatte wirklich bisher nie etwas Anderes als ein Kind in Anna gesehen; ihr gegenüber einen Freier zu denken, nun gar den gesetzten, etwas nüchternen Klein, erschien mir ganz abenteuerlich. Während ich aber dem Gedanken nachhing, konnte ich mich der Richtigkeit alles dessen, was Frau Brunner vorgebracht, nicht verschließen. Sie war ein Glück für die kleine Gärtnerstochter, diese Werbung des braven, gutgestellten und liebenswerthen Mannes, ein großes, unverhofftes Glück.

Später, als ich im Sinne gehabt, ließ ich mich von Joseph nach dem Boote bringen und meine junge Schifferin rufen; ich wollte mir zuvor genau zurechtlegen, was ich ihr zu sagen dachte.

Als wir vom Lande stießen, neigte sich schon die Sonne, und während Anna das Boot mit ein paar kräftigen Ruderschlägen flott werden ließ, betrachtete ich sie, als hätte ich eine neue Bekanntschaft zu machen, und sah, was nur dem täglichen Gewöhnen hatte entgehen können: die kleine zarte Gestalt war schwank wie ein biegsamer Halm, aber es war nicht mehr die Gestalt eines Kindes. Wo hatte ich die Augen gehabt, oder war die süße Jungfräulichkeit, welche mich in jeder ihrer Bewegungen ansprach, über Nacht aus der Knospe gesprungen? Das reine, von mir abgewendete Profil zeigte einen sinnenden Zug, der sich besonders um die festgeschlossenen Lippen zeichnete. Nun wendete sie den Kopf und sah mich an; plötzlich war alles Befremdende verschwunden, mich traf der alte, offene, herzwarme Blick meines Frühlingsblümchens.

‚Ist Ihnen nicht wohl, Herr Isen?‘ fragte Anna bestürzt, als sie meinem nachdenklichen Auge begegnete. ‚Sie sprechen kein Wort und sehen gar nicht vergnügt aus. Vielleicht ist Ihnen noch zu warm auf dem Wasser – soll ich wieder umkehren?‘

Ich schüttelte den Kopf. Wir waren, von günstigem Winde getrieben, eine gute Strecke in den See hinausgekommen. Die Sonne sank. Ich machte Anna ein Zeichen, die Ruder einzuziehen; sie wußte, daß ich gern dem Sonnenuntergange in voller Ruhe zuschaute, und verhielt sich ganz still. Die Luft war wie mit Gold durchflossen, während das Tagesgestirn feurig niederstieg. Das Wasser lag rings in seiner freien Fülle und begann in zartem Perlmutterglanze zu schimmern. Ich sah auf Anna; sie saß im rosigen Licht und lächelte mich glücklich an. Diese klaren Augen wußten so wenig mehr von vergossenen Thränen, wie die Primel vom Thau weiß, den die Sonne aufgesogen.

‚Anna,‘ sagte ich gegen meinen Vorsatz ohne Umschweife, ‚weshalb hast Du meinen Freund Klein abgewiesen?‘

Sie wurde röther als die Wolken über uns. ‚Er hat es Ihnen gesagt?‘ stammelte sie erschrocken.

‚Einerlei, woher ich es weiß! Du hättest es mir auch selbst sagen können. Dein alter, guter Freund wird wohl fragen dürfen, weshalb Du Nein sprichst?‘

Ihre Hände falteten sich über dem Ruder; sie wurde blaß und sagte in angstvollem Tone: ‚Ich kann nicht.‘

Ein Gedanke durchblitzte mich, ein fremder, neuer Gedanke, der mich störte und deshalb etwas hastig zu Tage kam. ‚Du kannst nicht, Anna? Hast Du etwa einen Andern lieb?‘

Der feine Kopf neigte sich so tief, daß ihre langen Flechten nach vorwärts über die zarte Brust glitten. Plötzlich richtete sie sich auf. ‚Ja,‘ sagte sie leise, indem sie mich voll ansah; ‚ich habe einen Andern lieb.‘

Nur eine Secunde lang traf mich ein Blick, der aus dem Grunde der jungen Seele drang; dann verhüllten ihn die breiten Lider. Ich saß betroffen und blickte stumm in das Wasser hinab, das sich im Widerscheine der Wolken weithin färbte. Die Gipfel des Gebirges entzündeten sich; röthliche Flöckchen flatterten um alle Höhen. Anna wendete mit ein paar Ruderschlägen das Boot, um mich den Bergen gegenüber zu bringen.“

(Schluß folgt.)


Album der Poesien.
Hellas.
(Mit Abbildung.)

Schön und farbenreich vor meiner Seele
Steigt die Griechenwelt empor,
Wo mit sanfter, liederreicher Kehle
In Cypressenhainen Philomele
Wundersüß berauscht des Lauschers Ohr.
Dort durch’s Laubenthor
Leitet des Ilissos Schattenwellen
Kühl und ölbewaldet der Hymett,
Bis sie unter reizenden Gefällen
Thalwärts rauschen in ein sonnig Bett
Und auf düftereichen Blumenstrecken
Gleiten durch die Marmorbecken.

Auf den Lorbeerhöhen welch ein Wallen,
Welch ein Pilgern thalentlang!
Zu des Isthmos heil’gen Tempelhallen
Ziehn die Völker – horch! die Haine schallen
Rings von dithyrambischem Gesang:
Evoëenklang
Taumelt, halb gejubelt, halb gesungen,
In die lauen Lüfte, immerdar
Wie ein Echo der Begeisterungen
Folgend der bekränzten Griechenschaar,
Bis die Stämme sich am Wanderziele
Mischen in die Völkerspiele.

Herrlich durch die isthmischen Gefilde
Stäubt der stolze Wagenstreit,
Und die Schwerter schlagen an die Schilde,
Doch der Stärke einigt sich die Milde,
Holde Schönheit sich der Tapferkeit:
Herzen werden weit,
Da für menschlich edele Gedanken,
Für die Freiheit, göttergleich und rein,
Da ein hoher Dichter in die Schranken
Tritt für seines Herzens Meinung ein,
Da dem Sophokles die Völker lauschen
Und des Pindar Hymnen rauschen.

Heimwärts zieht auf des Triumphes Pfaden
Lorbeerfroh der Sieger dann,
Bis wo ihn in schattige Arcaden
Glanzdurchwobne Ehrenfeste laden,
Welche zarte Liebe ihm ersann.
Hoch im Viergespann
Rauscht er durch die laubgeschmückten Thore
In des Ruhmes Morgenlicht daher
Und das Volk grüßt ihn im Jubelchore,
Und die Freude wogt, ein brausend Meer,
Und es reichen ihm des Kranzes Spende
Schlanke, weiße Jungfraunhände.

– Ach! und diese lichte Völkerblüthe
Welkte hin im Sturm der Zeit;
Schon vom Hämos drohete der Scythe –
Hellas’ letzte Abendröthe glühte;
Hellas hüllte sich in’s Sterbekleid;
Denn im Bruderstreit
Tobten schrecklich seines Leibes Glieder,
Noch im Wahnsinn groß und heldenstark;
Wilder Zwietracht heiß gehetzte Hyder
Mästete sich am Heroenmark,
Und die Völker drängten auf einander –:
Philipp zeugte Alexander.

Weithin dampfend färbt die Griechenerde
Sich vom Blut der Söhne roth;
Vor dem Sieger, eine Söldnerheerde,
Liegen sie mit sclavischer Geberde:
Griechenruhm, der edle Held, ist todt.
Ach, kein Opfer loht,
Keine Hekatombe an der Bahre,
Die verlassen auf Ruinen steht,
Und kein Priester spricht im Festtalare
Für den hehren Todten ein Gebet:
Ueppig thronen, wo sonst Dichter sannen,
Macedonische Tyrannen.

Ernst Ziel.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_231.jpg&oldid=- (Version vom 24.4.2022)