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Seite:Die Gartenlaube (1880) 220.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


unter uns hat es doch keinen Zweck. Glaubst Du, Kinder seien blind? Ich habe recht gut gesehen, wie die Dinge standen, und daß Papa Dich Knall und Fall davon schickte, das hat seine guten Gründe gehabt, über die nicht einmal unsere Dienstleute im Unklaren blieben. O Thekla, o Thekla!

‚Laßt ihren Kummer reden! Laßt sie klagen!
Mischt Eure Thränen mit den ihrigen,
Denn einen großen Schmerz hat sie erfahren;
Doch wird sie's überstehn; denn meine Thekla
Hat ihres‘ – –

Nein,“ unterbrach sie sich, „ihrer Schwester 'unbezwungnes Herz'. Schade, daß ich dazu nicht Witold's schöne tiefe Baritonstimme habe. Da klänge es viel ausdrucksvoller.“

Eine nicht mehr zu verbergende Verwirrung hatte sich Lisa's bemächtigt; in der Verlegenheit hatte sie wieder nach dem Pinsel gegriffen und lackirte ganz unnöthiger Weise den Himmel nach.

„Das ist so lange her – was einst war –“ stammelte sie unsicher.

„Ist es denn so ganz vorüber?“ sondirte nun Lora ihrerseits mit scharfer Nachsichtslosigkeit. „Dieses absichtliche Ausweichen verräth, daß Du Dir selbst nicht ganz trauest.“

Auf diesen Vorwurf hob jedoch die Angeschuldigte stolz den Kopf, ihr Auge suchte mit festem offenem Blicke das unter Lächeln lauernde Auge ihrer Schwester.

„Du irrst, mein Kind,“ sagte sie nachdrücklich, den Mund zu einem wehmüthigen Lächeln verziehend. „Das ist vorbei, wenn es je mehr war als ein Phantasiespiel. Wenn ich zur Seite trete, geschieht es wohl nur, um – nicht immer wieder daran erinnert zu werden.“

Lora schwieg einen Moment, lachte dann auf und deutete auf Gretchen, die sich alle Mühe gab, Frip eine sehr unbehagliche Reitlection auf Harro's Rücken zu geben. Dann nickte sie der Schwester zu.

„Nun wohl,“ citirte sie abermals mit einigem Pathos:

„'Nein, Thekla! Dieser Unglücksbote soll
Nie wieder unter Deine Augen treten.'

Lassen wir Herrn Rittmeister Max begraben sein. Es ist ja am Ende auch natürlich, daß das kleinere Licht vor dem größeren verblaßt. Wer neben Witold einherwandelt, kann kein Auge mehr für Steinweg haben.“

„Ich möchte das nicht so hinstellen,“ entgegnete Lisa vorsichtig. „Wo es sich um zwei verschiedene Typen, zweierlei Geschmacksrichtungen handelt, kann immer nur von einer relativen Abschätzung die Rede sein. Man kann sich das Ideal eines leichten Reiterofficiers nicht anders denken.“

„Eines leichten Reiterofficiers!“ versetzte Lora, das Näschen rümpfend. „Was ist ein Husarenofficier? Ein tanzendes, reitendes, plauderndes, allerliebstes Spielzeug, das man um den Finger wickelt, wenn man es nur bei der Meinung seiner furchtbaren Gefährlichkeit läßt. Da ist doch ein thätiger arbeitsamer Landwirth ganz etwas anderes. Witold aber ist nicht allein Landwirth, er ist auch Politiker; seine Thätigkeit war eine segensreiche; seine Fähigkeiten sind allgemein anerkannt; täglich hat man Gelegenheit sein Wissen zu bewundern, und dabei steht er da, nicht leichtsinnig, beweglich, tändelnd, sondern fest wie eine Eiche, den unerschütterlichen Willen auf der schönen Stirn, die Gluth des Gemüths in den dunklen melancholischen Augen, in jedem Zuge ein Urbild stolzer Kraft.“

Lisa fuhr es wie ein Stich schmerzhaft durch's Herz.

Ei ja, das Schwesterchen hatte wirklich sehr scharfe, klare Aeuglein im Kopfe und sah damit gar wunderbar genau. Das war ja nicht mehr der Ton ruhiger Anerkennung, gerechter Würdigung; so sprach sich nur die Begeisterung aus, eine Begeisterung, die schon so sehr das ganze Wesen erfüllt, daß sie sich gar nicht mehr zu verbergen vermag und die züchtige Verschämtheit des jungfräulichen Herzens in ihrer Gluth verzehrt.

Ach ja, sie hatte nur zu Recht: ob es sich um äußerliche oder innere Eigenschaften handelte, ob es die edlen Züge des Antlitzes oder die Zuverlässigkeit des Charakters galt, in jeder Hinsicht überragte Witold die meisten anderen Männer. Es war ja nur die Bestätigung dessen, was in allmählich gewonnener Ueberzeugung Lisa's Seele bereits erfüllte. Sie empfand eine unaussprechliche Wonne, diesen Mann preisen zu hören, wie er es verdiente, und doch zuckte sie dabei wie unter der Berührung glühenden Eisens zusammen. Ein Ideal hatte Lora ihn genannt. Ja, es war so, aber warum mußte gerade Lora es sein, die all das sah und erkannte, und schon in den wenigen Wochen ihres Zusammenlebens, während sie, die ihm näher stand, jahrelang in starrem Eigensinn die Augen trotzig verschlossen? Was war er der Schwester, daß sie ihn so mit all der hell aus ihren Augen leuchtenden Bewunderung umfassen durfte? Das Gefühl auf einen Anderen ablenken zu wollen, war wohl vergeblich. Hoffnungslos stellte Lisa ihre Bemühungen ein. Die Schlange der Eifersucht ringelte sich in ihrer Brust.

(Fortsetzung folgt.)




Johannes Brahms.
Eine Charakterstudie aus der Componistenwelt der Gegenwart.
Von Hermann Kretzschmar.

Es liegt außer dem Bereiche der Möglichkeit, daß alle hervorragenden Tondichter von Jedermann mit gleicher Pietät verehrt und verstanden werden. Naturanlage und Bildung ziehen uns zu dem einen Künstler hin und lassen uns einen andern fremd oder schwierig erscheinen. Es wird wenig Clavierspieler geben, die nicht Mozart oder Franz Schubert geliebt haben vom ersten Tacte ab, aber es giebt sehr Viele, welche das „wohltemperirte Clavier“ Sebastian Bach's sehr bald wieder zugeschlagen haben auf Nimmerwiederansehen, und es giebt viele gebildete Deutsche, welchen dieser, einer ihrer größten Landsleute, bis auf den Namen unbekannt geblieben ist.

So würde man auch noch vor zwölf Jahren unter zehn singenden oder spielenden Musikliebhabern immer etliche vergeblich nach Johannes Brahms gefragt haben. Es gab damals zwar schon viele Musiker von Fach, welche die Werke dieses Componisten liebten und mit Erwartung jeder neuen Aeußerung seines Genius entgegensahen, aber sie bildeten doch nur eine Art Secte, eine kleine Gemeinde, welche die Verbindung mit dem großen Publicum noch nicht gefunden hatte. Heute ist das anders, und der Glaube an Johannes Brahms allgemein und mächtig geworden. Sein Aufenthalt in einer unserer Concertstädte wird dieser zu einem Musikfest, und die vornehmsten Orchester- und Chorinstitute erblicken eine besondere Auszeichnung darin, wenn er unter ihnen weilt, um persönlich eines seiner Werke zu dirigiren. Englische Universitäten haben ihm Ehrengrade verliehen, und noch unlängst promovirte ihn die Universität Breslau als den ersten Meister der ernsten Musik im heutigen Deutschland.

Die Zusammenstellung „Bach - Beethoven - Brahms“, welche von einem der schärfsten Köpfe unter den lebenden Musikern herrührt, nämlich von Hans von Bülow, weist unserm Meister einen ersten Platz in der Musikgeschichte aller Zeiten, nicht blos derjenigen der Gegenwart, an. Der und Jener freilich schätzt ihn weniger hoch, rechnet ihn wohl gar mit zu den „Epigonen“. Das sind Schulstreitereien, wie alles Numeriren, Rangiren und Censurengeben für die Kunstbildung wenig förderlich ist. Die Hauptsache bleibt, die Meister und ihre Werke zu kennen; mit der Kritik darüber halte es Jeder nach seinem Geschmack!

Es war im Jahre 1853, als die „Neue Zeitschrift für Musik“ einen „Neue Bahnen“ betitelten Aufsatz brachte, in welchem Robert Schumann den jungen, zwanzigjährigen Brahms als den Meister vorstellte, „in dessen Namen einst der gesammte musikalische Gehalt der Zeit zusammengefaßt sein würde“. Zwar galt Schumann damals in Wort und Werk noch als Mann einer bestimmten Partei, als Führer der Linken jener Zeit – aber was er sagte, wurde auf keiner Seite überhört. Deshalb war die Aufmerksamkeit der gesammten musikalischen Welt dem jungen Brahms in ungewöhnlicher Weise zugewendet und die Begierde, ihn kennen zu lernen, auf Seiten der Gläubigen wie der Mißtrauischen eine gleich starke, vielleicht auch die Enttäuschung: den Akademikern, war er für ihre gewohnten Vorwürfe zu tüchtig

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_220.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)