Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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No. 14. | 1880. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.
Er sei schon im Begriffe gestanden, aufzubrechen, und nur um der Bekanntschaft des Hausherrn willen noch geblieben, sagte Steinweg wie entschuldigend zu Letzterem, was ihm jedoch außer einem wiederholten steifen Kopfneigen auch nicht die kleinste Gegenhöflichkeit eintrug. Diesmal wagte selbst Lora, die sich von dem seltsamen Wesen ihres Schwagers mitbedrückt fühlte, den Wunsch, daß der Gast länger verweilen möchte, nicht zu erneuern. Wohl aber glaubte sie sich befugt, mitten in allerlei anderem Geplauder, die freundliche Hoffnung auszusprechen, daß Steinweg bis zu seinem nächsten Besuche ihr Generalpardon ausgewirkt habe werde.
„Sie erinnern mich zu rechter Zeit noch, mein Fräulein,“ gab er in geräuschvoll heiterer Weise zur Antwort. „Der Proceß ist erst noch durchzuführen, und zum Präses des Kriegsgerichts wollen wir die Frau Baronin ernennen.“
Nach allen Seiten grüßend, unter Gelächter und schallendem Protest der mit feierlicher Anklage Bedrohten nahm er einen leidlich gewandten und gedeckten Rückzug.
Als er schon die Thür hinter sich hatte, hörte Lora noch immer nicht zu kichern auf.
„Ist er nicht eine zu komische Erscheinung?“ fragte sie, Steinweg's Verbeugungen und das Ausstreichen des Schnurrbarts nachahmend. „Es ist nur ein Glück, daß er gegangen ist; am Ende hätte ich ihm noch offen in's Gesicht gelacht.“
„Und doch hast Du ihn eingeladen, wiederzukommen. In wessen Auftrag?“ warf Witold in einem so gereizten Tone hin, wie er ihn sonst nie, am wenigsten gegen Lora, anschlug.
Diese wurde denn auch mit einem Male ernst und verlegen. Sie warf dem Schwager wie ihrer Schwester fragende Blicke zu.
„Mein Gott – bedarf es dazu eines Auftrags? Ich meinte – ich glaubte – wir hatten es in der Anstandsstunde so gelernt –“ stammelte sie.
„Du hättest es der Hausfrau selbst überlassen können,“ fiel er in gleicher Schärfe ein.
„Aber wenn Ihr Beide nicht daran denkt! Es schickt sich doch einmal, daß man den Besuch wiederzukommen auffordert.“
„Lag Dir so viel daran, daß es nicht vergessen werde? Dann muß er Dir doch nicht gar zu sehr mißfallen haben.“
„O, Du bist heute gar nicht lieb!“ erklärte Lora über und über roth, indem sie sich schmollend und Hülfe suchend zu der Schwester wandte.
Doch Lisa hatte kein unterstützendes Wort für sie. Bei ihres Mannes Reden hatte sie hoch aufgehorcht. Was bedeuteten diese Vorwürfe? Selbst wenn Lora in kindlicher Harmlosigkeit ein lebhafteres Interesse für den jungen Officier verrieth, kam es Witold doch nicht zu, sie dafür so scharf anzulassen. Wenn er es dennoch that, so konnte es nur sein, weil er ihr die Regung selbst übelnahm. Ein solches Mißgönnen war ja wohl –
Sie erschrak, als wenn sie im Begriff gestanden, das Wort laut auszusprechen. Ein leises Zittern überfiel sie, und unwillkürlich rief sie Gretchen zu sich.
Bevor die Kleine jedoch dem Rufe der Mama gehorcht hatte, fuhr Witold mit dem barschen Befehle dazwischen, sie solle zu Manon gehen.
„Es ist für Dich Zeit zur Suppe und zum Schlafen,“ lenkte er mit milderer Stimme ein, als er sah, wie sehr er das Kind erschreckt. Er hatte nur dem ersten auflodernden Widerwillen, es jetzt bei jener Frau zu sehen, Ausdruck gegeben. Es war sein Kind, und die Berührung von Lisa's Lippen befleckte es. „Geh!“ wiederholte er, und die verschüchterte Kleine schlich sich gehorsam fort, ohne, wie sonst um diese Stunde, Gute Nacht geboten zu haben.
Der unmittelbar darauf folgende Eintritt der Gräfin verhinderte, daß die eingetretene Pause noch peinlicher wurde. Lisa legte die kleine Näharbeit, mit der sie sich so eifrig beschäftigt hatte, als ob sie jeden Stich zu zählen hätte, auf das Tischchen und erhob sich, um in das Nebenzimmer, an den dort bereits gedeckten und von einer Lampe traulich erhellten Theetisch zu treten; Lora, welche befangene, ja beinahe furchtsame Blicke auf den heute so ganz veränderten Schwager warf, schloß sich ihr an. Erst später folgte Witold mit der Tante; sie hatte begonnen, ihm einen kleinen Vortrag über die nöthigen Veränderungen in der Kühlkammer zu halten, von dem er kein Wort faßte.
Doch auch als sie nun beim Abendimbiß beisammen saßen, wollte sich die gemüthliche Stimmung nicht, wie gewöhnlich, einstellen. Hätte Lora, die sich bei solcher Einsilbigkeit immer unbehaglich fühlte, nicht ihre Laune und Gesprächigkeit schon nach kurzem Ausbleiben glücklich wiedergefunden, es wäre zuletzt wohl jedes Wort versickert, und der bekannte „Engel“ – diesmal kein Engel des Friedens – würde seinen Flug unfehlbar durch das Zimmer genommen haben.
Als die Speisen abgetragen waren und nur noch die Tassen auf dem Tische standen, erhob sich Lora und kam im nächsten Augenblick wieder mit einem Buche aus dem Salon, das sie dort vom Notenständer genommen hatte. Indem sie sachte hinter ihren Schwager trat, legte sie es vor diesen auf den Tisch.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_217.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)