Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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vornehm auf diese alten Volkssitten herab, und dieser oft unbegründeten Kritik ist ihr wachsender Verfall zuzuschreiben. Aber das Volksgemüth wird nicht allein durch die großen Werke der Wissenschaft und der Industrie befriedigt. Auch dichten und träumen will es. Und aus den Volksfesten weht entschieden ein sinniger, poetischer Hauch. Behalten wir also lieb der Väter alte Bräuche, welche gerade in den einfachen Hütten mit kleinen Gaben aufrichtige Freude bereiten!
Die Reform unserer Wirthschaftspolitik und die viel angefeindeten Getreidezölle haben die Blicke aller Gebildeten auf die Lage der deutschen Landwirthschaft gelenkt und für sie das Interesse erregt, welches sie an sich schon als der erste und vornehmste Productionszweig in einem Lande wie Deutschland hätte in Anspruch nehmen dürfen.
Noch an der Schwelle dieses Jahrhunderts war der Zustand unserer Landwirthschaft ein ziemlich trostloser. Dasselbe Wirthschaftssystem, welches vor tausend Jahren Karl der Große für die kaiserlichen Güter in dem berühmten „Capitulare de villis et curtis imperatoris“ sanctionirt hatte, war noch das absolut vorherrschende. Mit Ausnahme von wenigen Landstrichen, in welchen Gebirgswald oder die Nähe der See mehr auf die Viehzucht hinwiesen, wurde durchaus Dreifelderwirthschaft getrieben. Man unterschied dabei zwischen der sogenannten reinen und der verbesserten Dreifelderwirthschaft. Bei jener bebaute man den Acker in dem ewigen Turnus: reine Brache, Winterfrucht, Sommerfrucht, das heißt: es folgen zwei Halmfrüchte auf einander und jedes dritte Jahr bleibt der Acker unbestellt, um sich von der Anstrengung der Production zu erholen. Bei der „verbesserten“ Dreifelderwirthschaft treten regelmäßig oder nur von Zeit zu Zeit die sogenannten Brachfrüchte (gewisse Blattfrüchte) an die Stelle der reinen Brache. Die Viehhaltung ist bei diesem Wirthschaftssystem für den Sommer auf die unerläßlichen Gras- und Weideflächen angewiesen, während die Thiere im Winter Stroh und weniges im Sommer etwa erübrigte Heu erhalten.
Von landwirthschaftlich-technischen Gewerben konnte damals kaum die Rede sein; die Rübenzuckerfabrikation kannte man noch nicht; die Spiritusbrennerei und die Stärkefabrikation wurden, ebenso wie die Brauerei, als städtische Industriezweige betrieben.
Die Resultate, welche man bei solcher Wirthschaftsweise erzielte, können von unserm Standpunkte aus kaum anders als kläglich bezeichnet werden. Die Viehhaltung gab nur geringe Erträge; denn mehr als das Leben der Thiere wurde bei der armseligen Ernährung kaum erhalten, und zur Verabreichung eines wirklichen Productionsfutters reichte das Vorhandene nicht aus. Uebrigens konnten auch bei der geringen Consumtionsfähigkeit des ganz überwiegenden Theils der Bevölkerung die thierischen Producte einen nur geringen Preis haben. Nichtsdestoweniger blieb die Viehhaltung des benöthigten Düngers halber als „nothwendiges Uebel“ unerläßlich. Ihretwegen mußten manche Flächen als Wiesen erhalten werden, obwohl sie sich ihrer Natur nach nicht zum Graswuchs eigneten, dieser aber mußte, da das weidende Vieh die bessern Gräser und Kräuter bevorzugte und die schlechten mit seinem Zahne verschonte, immer mehr herunterkommen.
Aber auch der Acker, welcher oft mehr Gras und Unkraut als Früchte zeitigte, verfiel bei dem geringen Dünger, von welchem soviel durch das weidende Vieh vertragen wurde, fortschreitender Verarmung. Zwei auf einander folgende Halmfrüchte sind immer angreifend für den Kraftzustand; sie verunreinigen das Feld und verderben, wenn die mechanische Bearbeitung mit Ackergeräthen nicht eine vorzügliche ist, die für die Beziehung zu Luft, Wärme und Feuchtigkeit so wichtige Formbeschaffenheit des Bodens. Zu einer recht guten Bearbeitung aber fehlten damals ebensowohl die Geräthe, wie das rechte Verständniß.
Deshalb mußte man auch zuletzt zu der reinen Brache, in welcher der Acker durch oft wiederholtes Pflügen „gebrochen“ wurde, zurückkehren, selbst wo man dem Ausfall der Ernte in jedem dritten Jahre gern hätte ausweichen mögen und wo man Freiheit der Bewegung genug besaß, die Brache zu „besömmern“, das heißt nach der Tendenz der verbesserten Dreifelderwirthschaft mit Blattfrüchten anzubauen, wodurch wenigstens einige von den großen Mängeln der reinen Brache wegfallen. Einer der schlimmsten dieser Mängel ist der Umstand, daß die auf ihrer Hände Arbeit angewiesene Bevölkerung die Hälfte des Jahres hindurch keine lohnende Beschäftigung in der Landwirthschaft findet und demgemäß, wenn sie an der Scholle haftet, zu Noth und Entbehrung verurtheilt wird.
Die Gründe, weshalb unsere Landwirthschaft so lange auf niedrigster Stufe stehen blieb, sind mannigfachster Art. Die gewichtigsten lagen in den verrotteten und verzwickten Eigenthumsverhältnissen auf der einen, und in dem Mangel einer landwirthschaftlichen Wissenschaft auf der anderen Seite. Es war nämlich das Grundeigenthum durch Zehnten, Servituten, getheiltes und gemeinsames Eigenthum an demselben Object, durch Flurzwang und eine ganze Zahl besonders benannter Realberechtigungen in Schranken und Fesseln gelegt. Und wo man sich hätte freier bewegen können, da fehlte der rettende Faden, um aus Hindernissen und Schwierigkeiten aller Art sich herauszuarbeiten. Es fehlte die rechte Würdigung der Dinge; es fehlte die rechte Erkenntniß. Es gab zwar hundert Theorien, aber kaum eine einzige für den Landwirth feststehende Wahrheit.
Hiernach begreift es sich, wenn die Landwirthschaft damaliger Zeit keine großen Anforderungen an Denjenigen stellen durfte, welcher sie als Lebensberuf wählte. Ein Landwirth galt damals für hinreichend gut vorbereitet, wenn er neben der Uebung in allen landwirthschaftlichen Arbeiten eine reichhaltige Sammlung von Regeln und Recepten besaß, um je nach Lage der Dinge von dem einen oder andern Gebrauch zu machen. Alles beruhte auf Herkommen und Gewohnheit. Jeder höher strebende Geist hielt sich darum von einem so niedrig stehenden Berufe fern; in der Landwirthschaft war Deutschland von vielen anderen Culturländern überflügelt worden.
Zur Zeit der größten politischen Erniedrigung begann man die Grundlagen zu schaffen, auf denen unsere heutige Landwirthschaft aufgerichtet werden konnte. An Hardenberg’s und Stein’s Namen knüpft sich mit so vielem Andern auch die Erinnerung an die Anfänge einer besseren Agrargesetzgebung. Der größere Grundbesitz, welcher in Preußen bis zum Jahre 1807 Bürgerlichen nicht zugänglich war, hörte auf, ein Vorrecht des Adels zu sein. Durch Ablösungsgesetze und Gemeinheitstheilungs-Ordnungen, durch Aufhebung der Erbrecht- und Leiheverhältnisse, durch Separations- und Verkoppelungsgesetze wurden nach und nach, in einem Zeitraume von fünfzig Jahren, alle jene Fesseln beseitigt, durch welche die freie Benutzung des Grundeigenthums gehindert gewesen war. Niemals ist ein Bruch mit bestehenden wirthschaftlichen Zuständen zugleich mit mehr Schonung und mit mehr Consequenz durchgeführt worden. Stets das vorgesteckte Ziel fest im Auge behaltend, hat man jeden neuen Schritt der Gesetzgebung durch die bessere Erkenntniß gewissermaßen vorbereiten lassen.
Diese bessere Erkenntniß zu schaffen, haben vor manchen Mitarbeitern zwei Männer übernommen, deren Namen in Deutschland, und weit über seine Grenzen hinaus, allzeit mit nicht geringerer Verehrung werden genannt werden, wie die jener beiden Staatsmänner. Aber während diese im gemeinsamen Zusammenwirken, haben Albrecht Thaer und Justus von Liebig nach einander, jeder in der ihm eigenen Weise, in die neuen Bahnen der Landwirthschaft eingegriffen. Eine glückliche Fügung war es, daß der Wirksamkeit des großen Chemikers der Regenerator der deutschen Landwirthschaft, der Vater der „rationellen Landwirthschaft“ um einige Decennien voranging. Ohne Thaer wäre Liebig schwerlich der Begründer der „wissenschaftlichen Landwirthschaft“ geworden. Die Lehre, welche Thaer von Möglin aus verkündete, welche er in seinen „Grundsätzen der rationellen Landwirthschaft“ niedergelegt hatte und welche seine zahlreichen Schüler in allen Gauen des deutschen Vaterlandes durch Wort und Beispiel verbreiteten, mußte zuvor die intellectuellen Grundlagen schaffen,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_207.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2021)