Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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zackigen Aeste wehmüthig in die Luft hinausreckten, empfing uns ein eigenthümliches Bild: tief unter uns wogte und wallte es – eine weiße Fläche, so weit der Blick reichte – das ganze Moselthal umfangen vom Morgennebel, den zu durchbrechen die blutroth auftauchende Sonne noch keine Kraft gewonnen. Inseln gleich ragten die Kuppen der höheren Berge hervor; märchenhaft tönte der Klang der Klosterglocken drunten im Thal; uns däuchte, als käme der Klang aus der Tiefe des Wassers herauf, als wären es die Klagelaute einer längst versunkenen Stadt.
Das weltberühmte Zeltingen, die Klöster Machern und Graach, das sogenannte Cröverreich waren verhüllt durch den Morgennebel, in den wir jetzt hinabtauchten, um Berncastel und die feste Moselbrücke zu gewinnen. Hier sind wir im Centrum des Rebenlandes, hier giebt's allenthalben Namen von süßestem Duft und reinstem Klang. Den mit dem gelehrten Titel „Doctor“ benamsten Wein kennt Jedermann; er gedeiht an den Berghängen, von deren Höhe die Trümmer des alten Schlosses Berncastel herniederschauen. Drüben wächst der Neuenberger, dort der Oligsberger, und das flüssige Gold der uns zu Füßen funkelnden Trauben kennt die Welt unter dem Namen „Brauneberger“. Weiter liegen am Flusse, der eben ein Hufeisen beschreibt, die Rebenhügel, die dem Oertchen Pisport zu eigen. Links liegt das von Ausonius schon besungene Neumagen.
Abend wird’s; drunten schlagen Rudrer die Fluth; überall rothgoldiger Sonnenschein, in der Nähe glänzende Felsen, uns zu Füßen der funkelnde Strom, in der Ferne aber blaues Gebirg und an seinem Fuße lange verschwimmende Häuserlinien. Bald liegen hinter uns der „marmorberühmte Erubrus“ und das alte Palatolium (Pfalzel), wohin vor zwei Jahrtausenden die Patricier der nahen Kaiserstadt zur Sommerfrische hinauszogen. Allmählich verdämmern die sanften, lichtumflossenen Höhenzüge; funkelnde Sterne steigen herauf; Lichter blinken herüber, mehr und immer mehr – endlich eine ganze Illumination – vor uns liegt Trier, die heilige Stadt, die „reiche, ruhmwürdige, beglückte“.
„Gott schlage mich, Herr! Wölfe haben uns den Rückweg abgeschnitten,“ rief Paulu mit dem Ausdrucke höchsten Schreckens.
„Abgeschnitten? Die gemüthlichen Gesellen, mit welchen Du so trefflich umzugehen verstehst?“
„Ach, Herr, unter den Wölfen giebt es, wie unter den Menschen, gute und schlimme, diese aber gehören sicher zu den schlimmsten – hört nur, wie sie grimmig heulen! Der Satan mag mit ihnen umgehen!“
„Meinst Du daß die Bestien unsere Spur verfolgen?“
„Weiß nicht, Herr, fürchte aber, sie sind im Stande, uns auch ganz zufällig zu verzehren.“
Der Bursche meinte es offenbar sehr ernst, weshalb ich nach den Pistolen fühlte.
„Richtig bemerkt, Paulu, da müssen wir uns eben unserer Haut wehren.“
„Wie Ihr befehlt, Herr, aber ich wollte es lieber mit den bissigsten alten Weibern – oh, oh“ unterbrach sich Paulu, mit der Faust auf die Stirn schlagend, „wie dumm man doch wird vor Angst! Folgt mir, Herr! Es ist da noch ein anderer Weg, zwar nicht gerade der beste, doch kann uns nichts Schlimmeres passiren, als das Genick zu brechen.“
Mit diesen Worten ritt Paulu den steilen Hang zu unserer Rechten aufwärts, wo sich in der That ein schmaler Steig zeigte, welchen unsere Pferde, von der Angst getrieben, katzenbehend erklommen.
Auf der Höhe angekommen, bemerkte ich eine einsam stehende, vom Blitze gespaltene Tanne, welche einen einzigen Ast wie klagend gegen den Himmel streckte und mich durch ihre galgenartige Form erinnerte, daß ich diesen Weg schon einmal betreten hatte. Derselbe war, wie ich mich nun genau entsinnen konnte, wenig mehr als schuhbreit in die schroffe Felsenwand gekerbt und namentlich an einer Stelle so brüchig, daß ich dieselbe damals als Fußgänger und bei Tage nur mit höchster Vorsicht Schritt für Schritt passirte.
Sofort wollte ich vom Pferde steigen.
„Bleibt, Herr!“ rief aber Paulu, „unsere Gäule haben den Weg näher am Auge und außerdem vier Füße – bleibt also, Herr, und ist nicht Hexerei im Spiele, dann sind wir im Sattel so sicher, wie ein Kind in der Wiege.“
Der Bursche hatte trotz seines kühnen Vergleiches Recht; es war mittlerweile ganz finster und die Wegspur für menschliche Augen völlig unkennbar geworden, während unsere vierfüßigen Kletterer dieselbe langsam zwar, aber sicher verfolgten, indem sie gefährliche Stellen Zoll für Zoll mit den Nüstern an der Erde untersuchten.
Schon hatten wir die schlimmste Strecke hinter uns, schon glaubten wir uns geborgen, als unsere Pferde plötzlich schnaubend stehen blieben, und abermals, nur weit näher, jenes wilde Geheul ertönte, während eine Reihe von glühenden Augensternen von dem Felsengrat vor und neben uns herabfunkelte.
„Aus ist's, Herr,“ stöhnte Paulu leise, „den Teufeln gelüstet's gerade heute nach Menschenfleisch; o Herr, ich wollte, wir wären im Riu rou ertrunken.“
„Unsinn, Paulu! Du selbst sagtest, die Bestien seien dem Menschen gegenüber feige; wollen einmal sehen.“
Wie segnete ich meine Vorsorge wegen der Pistolen! Ich nahm eine derselben aus der Tasche und feuerte sie in der Richtung gegen die Leuchtkugeln ab. Der Knall hallte zehnfach in den Bergen nach, und wüthendes Geheul folgte. Aber was war das? Rothe Feuerballen leuchteten jetzt von der andern Seite über den Abgrund herüber, die Nachtlandschaft plötzlich erhellend, und ein Schreien vieler Menschenstimmen scholl durch die Luft, das in unserer Brust das lauteste Echo fand.
Die unheimlichen Gluthaugen waren verschwunden, und während nun unsere geängstigten Thiere vorwärts jagten, der schützenden Nähe der Menschen zu, gab sich Paulu der ausgelassensten Fröhlichkeit hin. „Herr, Herr, diese Nacht vergesse ich nicht und lebte ich tausend Jahre. – O Du braves Kind einer Hexe! Hei wie gut, daß wir nicht ertranken!“ So rief er durch einander, und dann liebkoste er wieder die braune Stute und versprach ihr nicht nur Malaia, sondern auch einen Hochzeitskuchen, so groß wie die Mondscheibe.
Der rasche Ritt brachte uns in wenigen Minuten in die Nähe unserer Retter, und was erblickten wir?
Einer ganzen Schaar von Fackelträgern voraneilend, schritt Dordona's Tochter, doch nicht wie sonst als ein unter der harten Zucht der Mutter verschüchtertes Mädchen, sondern hochaufgerichtet, sichern Schrittes, und als sie Paulu's Gesicht im Scheine der Pechspähne erkannte, da jauchzte sie laut und schwang ihre Leuchte, daß die Funken einen Strahlenkreis um das liebliche Mädchenhaupt bildeten.
Das fehlte gerade noch. Wie toll sprang Paulu aus dem Sattel und preßte die Geliebte an seine Brust, unbekümmert um die schmunzelnd zusehenden Männer.
Unterdessen hatte sich mir der Führer des Zuges, der langbärtige Dorfpope, unter vielen Bücklingen genähert, worauf er in wohlgesetzter Rede die Gnade Gottes pries, welche ihn als das unwürdige Werkzeug erkoren, einen so großmüthigen Herrn vor dem unangenehmen Tode des Zerrissenwerdens zu bewahren.
Welche Großmuth! Es ist also alle Welt verrückt, dachte ich, und war im Begriffe, dieser meiner Ueberzeugung dem „unwürdigen Werkzeuge der Gnade Gottes“ gegenüber Ausdruck zu geben, als Paulu, der dritten verstärkten Umarmungsauflage sich entreißend, rief: „Freunde, Ihr alle seid Zeugen, daß ich dieses
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_198.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)