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Seite:Die Gartenlaube (1880) 168.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Geier erinnert und Margitens schaffensharte, doch wunderhübsche kleine Hand traulich in meiner Rechten geruht hatte.

Von Paulu hatte ich schon Tags zuvor Abschied genommen, da er die Nacht über bei seiner Heerde weilte, deren Ueberwachung er jetzt nur ungern einem anderen Hüter überließ. Doch sah ich ihn auf dem Wege gegen Norden, in welcher Richtung mein neuer Wohnsitz lag, mitten unter seinen Pflegebefohlenen auf einem Felsstücke sitzen.

Die schlichte Gestalt des einfältigen Hirten erschien mir durch den Zauber der Liebe wie poetisch verklärt, und als bald darauf die Töne eines nationalen Liedchens aus Paulu’s eigenhändig angefertigter Hirtenflöte das Echo der Berge weckten, erst wehmüthig klagend, dann feurig triumphirend, wie im Vorgefühle naher Erfüllung heißer Wünsche, da sprachen diese einfachen rauhen Naturlaute – ich gestehe es offen – beredter zu meinem Herzen, als die künstlichsten Sonette Petrarca’s, die glänzendsten Liebesarien unserer Primadonnen.

Armer Junge! Und doch war ihm der verdiente Lohn seiner Treue noch keineswegs gesichert; denn Dordona war, nach verschiedenen Aeußerungen zu schließen, auch nach Erfüllung ihrer Bedingung durchaus nicht geneigt, den fleißigen, willigen Knecht zum Herrn zu erheben, und spielte mit ihm, wie Paulu sagen würde, das Spiel der Katze mit der Maus.

Selbstverständlich behielt ich diese Erkenntniß für mich – wozu auch vorzeitig das Glück zweier Liebenden stören, diesen schönsten und leider flüchtigsten Theil des flüchtigen Lebenstraumes! – –

Etwa vierzehn Tage später erhielt ich durch einen Landboten das allmonatliche Post-Aviso aus Rimnik zur Behebung der dort eingelaufenen Verpflegungsgelder, welches Geschäft ich in Ermangelung einer verläßlichen Verbindung stets persönlich besorgte. Von meinem jetzigen Aufenthalte aus mußte ich zwar – zumal mir der größere Theil des Weges neu war – zwei Tagereisen mit unterlegten Pferden rechnen, doch blieb mir keine Wahl, und so wollte ich an einem der nächsten schönen Morgen eben mit meinem Diener zu Pferde steigen, als ich auf dem schmalen Saumwege, welcher zu der von mir bewohnten Hütte führte, einen Menschen herankeuchen sah, dessen Gang und Haltung ebenso sehr höchste Eile wie äußerste Ermüdung verrieth. Fast bestürzt zog ich den Fuß wieder aus dem Steigbügel; denn der Ankömmling, der nun bleich und verstört vor mir stand, war kein Anderer als – Paulu.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Eine Frage an die Menschheit. Von dem greisen Finanzmann Isaac Pereire in Paris ist vor einigen Monaten ein Aufruf zur Wettbewerbung ausgegangen, der weithin in denkenden Kreisen mit Recht als ein Ereigniß begrüßt wurde. Wie andere verständige Kenner und Beurtheiler menschlicher Dinge, so steht auch Isaac Pereire erschüttert vor der Thatsache, daß alle Opfer des Erbarmens, alle unermeßlichen Spenden und Anstrengungen privater und öffentlicher Mildthätigkeit die menschliche Gesellschaft bisher nicht von ihrem Haupt- und Grundübel, dem Jammer der Massenarmuth und dem ihr entströmenden physischen und moralischen Pesthauch zu befreien vermochten. Was auch von dieser Seite des Wohlthuns her durch Abhülfe und Linderung im Verlaufe der Jahrtausende geleistet worden, es war nur ein verschwindender Tropfen im breiten Strome eines täglich neu sich erzeugenden Elends, das fort und fort den Frieden und die gesunde Entwickelung des Gesellschaftsorganismus stört, seinen Bestand und sein Wohlsein mehr oder minder bedrohlich in Frage stellt.

Herr Pereire, sagen wir, hat diese betrübende Thatsache erkannt, aber er gehört nicht zu jener Classe von Besitzenden, die es bequem finden, in dieser uralten Nachtseite des socialen Lebens eine unabänderliche Fügung der göttlichen Weltordnung zu sehen. Er glaubt vielmehr, daß es sich in dem sogenannten Pauperismus nur um eine durch Unachtsamkeit von Epoche zu Epoche verschleppte Krankheit handle und daß ein unermüdetes Streben zur Auffindung geeigneter und gründlicher Heilmittel der höchste Beruf und die unabweislichste Pflicht des gegenwärtigen Zeitalters sei, eine Pflicht gerade derjenigen Zeitgenossen, welche dem neuerdings so ansteckend um sich greifenden Wahn entgegen wirken wollen, als ob durch den Geist des Zornes und der Gehässigkeit, durch wüsten Umsturz und gewaltsame Zerstörung aller gewordenen und bestehenden Ordnungen der Culturwelt die Kluft ausgeglichen und ein glücklicherer Zustand herbeigeführt werden könne.

Allerdings haben die verschiedenen theoretischen und hin und wieder auch praktischen Bemühungen zu einer vernünftigen, auf einer gesetzlichen Bahn sich bewegenden Lösung des fruchtbarsten und gewaltigsten aller Probleme sich bis heute als unzulängliche, zum Theil utopische Versuche ohne durchgreifende Reformkraft herausgestellt. Daraus folgt jedoch noch nicht, daß dies auch in Zukunft so bleiben müsse. Denn in der That ist noch nichts Rechtes geschehen, um energisch den Trieb zur Erzielung günstigerer Resultate, ja auch nur zu beleuchtender Prüfung und Zusammenfassung der bereits reichlich gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen anzuspornen, geschweige, daß man zu Kundgebungen fruchtbarer Gedanken und nützlicher Vorschläge, zu erneuter Beschäftigung mit der brennendsten Menschheitsfrage die Intelligenz, die Wissenschaft und das Herz der gesammten Menschheit in die Schranken gerufen hätte.

Das sind, wenn wir ihn recht verstehen, die Gedanken des Pariser philosophischen Banquiers, und zu ihrer Verwirklichung hat er der Welt vier Fragen vorgelegt, vier Aufgaben gestellt, von denen die erste rein geschichtlichen Charakters ist, während die zweite auf die beste Organisation des öffentlichen Unterrichts aller Stufen und Arten, die dritte auf diejenige eines umfassenden Creditsystems und der Hülfscassen für die Arbeit, die vierte auf eine Reform und Vereinfachung des Steuer- und Abgabenwesens sich bezieht. Jede dieser Aufgaben, die in der That die wesentlichen Kernpunkte der ganzen socialen Frage darstellen, ist wissenschaftlich genau formulirt, und für die besten Lösungen jeder derselben hat Herr Pereire einen ersten Preis von 10,000, zwei nächste Preise von je 5000 und zwei ehrenvolle Erwähnungen mit je 2500 Franken, zusammen also 100,000 Franken aus eigenen Mitteln bestimmt.

Seitdem dieses Programm in der Pariser „Liberté“ veröffentlicht wurde, ist die Redaction dieser Zeitung, wie man uns aus Paris schreibt, mit massenhaften Anfragen, selbst aus den entferntesten Gegenden, förmlich überschüttet worden, sodaß sie in ihrer Nummer vom 2. Februar dieses Jahres einen zweiten Abdruck veranstalten mußte. Die Angelegenheit hat also, der Absicht des Urhebers entsprechend, bereits einen internationalen Charakter gewonnen, und daraus ergiebt sich eine zweite sehr wichtige Seite des Unternehmens: dasselbe kann zugleich ein Anstoß werden zur Förderung lebhafteren Ideenaustausches und wärmerer geistiger Annäherung der verschiedenen Nationen.

Gewiß würde es sehr thöricht sein, in Bezug auf eine versöhnliche Gesinnung der Franzosen gegen Deutschland sich voreiligen Hoffnungen hinzugeben. Wenn man aber vernimmt, daß in das Preisrichtercollegium zur Prüfung der eingehenden Bewerbungsschriften neben vierzehn französischen Gelehrten als einziger Ausländer ein Deutscher gewählt ist, und zwar unser Dr. Schulze-Delitzsch, so ist das unbedingt ein beachtenswerthes Symptom gemilderter Stimmung. Denn Schulze ist als Volksvertreter, wie als Gründer und Leiter des Genossenschaftswesens der echte Typus eines freisinnigen deutschen Patrioten, der bei jeder Gelegenheit die anmaßenden Uebergriffe der Franzosen in deutsche Verhältnisse mit kräftigem Wort zurückgewiesen hat. Durch Uebersetzungen ihrer Blätter sind ihnen die merk- und denkwürdigen Prophezeiungen des Briefes erinnerlich geblieben, in dem er 1867 die an ihn ergangene Einladung zu einem von französischen Freiheitsmännern nach Genf berufenen Friedenscongreß mit der Hinweisung ablehnte: es täusche sich bei uns Niemand darüber, daß wir in der nächsten Zeit einem Angriff Frankreichs zur Hinderung unserer Einigung ausgesetzt seien. In der Erwartung solcher Feindseligkeit aber könnten deutsche Männer nicht mit Franzosen für die Wehrlosmachung ihres Landes wirken. Es möchte daher bis zur Klärung der Situation Jeder in seinem Lande an die Arbeit für den Frieden gehen, ja vielleicht werde es gerade für diese Agitationen in Frankreich von Bedeutung sein, daß ein Angriff auf Deutschland und dessen führende Macht, Preußen, einen Volkskrieg bei uns entzünde, dessen Tragweite über den Gesichtskreis der Angreifer weit hinausrage.

Und als diese Voraussage politischen Scharfblicks drei Jahre später buchstäblich sich erfüllt hatte, da schrieb der demokratische Volksvertreter unter den erschütternden und erhebenden Eindrücken des großen Krieges jene berühmt gewordenen Briefe an Professor Vigano in Mailand, in denen er sich energisch gegen die wunderliche Zumuthung des Auslandes erhob, daß Deutschland nach dem Tage von Sedan sein Schwert hätte niederlegen und seine Heere aus Frankreich zurückziehen sollen. Auch diese Auslassungen Schulze’s gingen damals durch die französischen Blätter, und die Franzosen wissen sehr wohl, daß er ihnen niemals geschmeichelt und stets mit hingebender Treue zu seinem Vaterlande gestanden hat. Wenn also trotzdem dort nach dem Kriege durch Uebersetzungen von Schriften Schulze’s eine starke Agitation für sein wirthschaftliches System eröffnet wurde, und wenn er jetzt unter dem Beifall der nationalen Presse in die Pereire’sche Commission gewählt worden ist, so lassen derartige Einzelfälle allerdings den Schluß zu, daß in den gebildeten Kreisen Frankreichs die feindliche Haltung Deutschland gegenüber zu schwinden beginnt. Vergessen dürfen wir übrigens nicht, daß es nur eine Frage ist, welche der einstmalige Anhänger der Saint Simonistischen Menschenbeglückungslehren an die Zeit ergehen ließ.

Ob der Verstand, die Bildung und Weisheit der Zeit eine ermuthigende Antwort wird bieten können, das ist es, was alle Denkenden die Entscheidung mit begreiflicher Spannung erwarten läßt. Bis zum 1. April 1881 werden die Urtheile gesprochen sein. Die Jury hat sich am 31. Januar constituirt und Herrn Pereire zu ihrem Vorsitzenden gewählt. An ihn (35 Faubourg Saint Honoré in Paris) sind fortan die eingehenden Arbeiten zu adressiren. Sie müssen französisch geschrieben, oder es muß ihnen, falls sie in deutscher Sprache abgefaßt sind, ein Resumé des Gedankenganges und Vorschlages beigefügt sein, aus dem sich ersehen läßt, ob die Anfertigung einer Uebersetzung zu beschließen sei.



Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_168.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)