Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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Methode als die letzte unwürdige Fessel der Menschheit abstreifte. Sonst wollte auch er den gewaltsamen Umsturz der gegenwärtigen Ordnung, die Durchführung des Gemeineigenthums als Grundlage der menschlichen Gesellschaft; nur daß er nicht zu harren gedachte, bis die großen Massen der Völker von der Nothwendigkeit einer derartigen Umwälzung durchdrungen sind, sondern vielmehr durch unaufhörliche Attentate und Putsche allmählich die Zukunftsarmee drillen wollte. Ferner sollte ein Zukunftsreich jeder gesellschaftlichen und staatlichen Verfassung entbehren, der vollkommensten „Anarchie“ sich erfreuen; die Menschen sollten auf dem gemeinsamen Boden hausen, wie die Thiere des Waldes. Die nähere Ausführung dieser Gedanken ist so cynisch und schmutzig, daß sie sich nicht einmal andeuten läßt in einem Blatte, welches auch von Frauen gelesen wird.
Mehr als die sachlichen Unterschiede ihrer Systeme, trennte Bakunin und Marx jener echte, unverfälschte, unversöhnliche Haß, mit dem sich die Höflinge und Schmeichler der Massen gegenseitig zu beehren pflegen. Jeder hat den Andern öffentlich Soldschreiber, Spion, Verräter gescholten. Von den ersten Tagen der Internationale begannen die Zettelungen Bakunin’s; auch an Versuchen zu Gegenbünden ließ er es nicht fehlen. Lange konnte er gegen die geistige Ueberlegenheit der Gegner nicht aufkommen. Erst die Niederlage der Pariser Commune gab dem Russen einen plumpen Trumpf in die Hand, welcher das geistreiche Spiel des Deutschen stach. Mit der ganzen Findigkeit und Geschmeidigkeit seiner slavischen Natur wußte Bakunin in den revolutionären Schichten, namentlich der romanischen Völker, die Anschauung zu verbreiten, als sei der französische Aufstand in seinem aussichtslosen Beginnen und in seinem kläglich-schrecklichen Mißlingen ein verrätherischer Streich gewesen, den Marx der Arbeitersache gespielt habe.
Dieser unterschätzte die Gefahr nicht; 1871 ließ er gar keinen Congreß des Bundes abhalten; als dann im Herbste von 1872 die Arbeitergesandten der verschiedenen Länder wieder im Haag zusammentraten, brachte er an deutschen Anhängern und an Mitgliedern des Generalrathes eine sichere, wohlgeschulte Garde mit. Diese Vorsicht verschaffte ihm denn auch in den Abstimmungen des Congresses den äußerlichen Sieg, aber der Haß und das Mißtrauen, die ihm fast überall außerhalb des Kreises seiner deutschen Myrmidonen entgegenstarrten, ließ ihm keinen Zweifel, daß das Werk seines Lebens zum zweiten Mal zerbrochen, daß die Internationale todt war, wie zwanzig Jahre vorher der Communistenbund. Nicht um sich selbst, sondern nur um die Welt zu täuschen, ließ er noch den Generalrath nach New-York verlegen und schloß den Congreß mit pomphaften Worten; seitdem hat Engels selbst gestanden, daß diese Manöver nothdürftig den Untergang der Internationale haben verdecken sollen.
So schied der merkwürdige Bund von der Bühne der Weltgeschichte. Traurig und wüst genug erschienen die Trümmer, die auf der Stätte seines Daseins blieben. Sein englischer Arm war immer nur verkrüppelt gewesen und dann völlig verdorrt; sein französischer Zweig wurde durch Feuer und Schwert erstickt. In den slavischen Ländern des europäischen Ostens, dann auch rings um das Becken des Mittelmeeres, in Spanien, Südfrankreich, Italien tummelte sich der wüste Bakunismus als lachender Erbe und spann seine Netze bis nach Aegypten und Griechenland. Aber in einer bedeutsamen Hinsicht unterschied sich doch das traurige Ende der Internationale von dem Untergange des Communistenbundes. Sie hinterließ wenigstens eine Erbin, eine ebenbürtige echte Tochter, Bein von ihrem Bein und Blut von ihrem Blut: die deutsche Socialdemokratie.
Frauen als Entdeckungsreisende und Geographen.
„Sind Frauen auch Menschen, das heißt vernünftige Wesen?“ ist der Titel einer Schrift, die gegen Ende des sechszehnten Jahrhunderts in dem sonst alle Zeit galanten Paris erschien. Es sollte in derselben bewiesen werden, daß die Frauen, weil Frau Eva ihren Gatten zum Sündenfall verführt hat, nicht vernünftig, nicht Menschen seien und daher auch keinen Anspruch auf die ewige Seligkeit hätten. Die Schrift war eigentlich nur eine Satire gegen die Protestanten, die Alles aus der Bibel beweisen wollten. Nichts destoweniger hat ein strammer lutherischer Geistlicher, der ehrliche Magister Simon Gedike, den geschmacklosen Scherz für baaren Ernst genommen und mit großem Aufwand pedantischer Gelehrsamkeit versucht, den satirischen Bibelritter zu widerlegen und das weibliche Geschlecht in seine Menschenrechte wieder einzusetzen.
Fast drei Jahrhunderte sind seitdem vorübergerauscht und neue Fragen, die der Frauenemancipation, sind der Gegenstand mehr oder minder lebhafter Erörterung geworden. Man streitet darüber, ob die Frauen wirklich so viel physische und geistige Kraft haben, um den Männern ebenbürtig zur Seite gestellt zu werden – ob sie das Recht haben, sich aus den Schätzen der Wissenschaft und Kunst so viel anzueignen, wie ihnen ihre Fassungskraft gestattet, ihr Gedächtniß halten und ihr Verstand verarbeiten kann – und endlich ob sie das Recht haben, dies Capital zum Gemeinwohl beliebig zu verwerthen.
Man braucht kein schwärmerischer Frauenlob zu sein, man braucht die angeblich brennende Frauenfrage nicht schüren zu wollen, wenn man behauptet, daß es Frauen giebt, deren Geist stark, deren Wille kühn, deren Charakter fest genug ist, um auch den schwierigsten Problemen wissenschaftlicher Forschung nahe zu treten und sich ihnen nachhaltig und erfolgreich zu widmen. Und ebenso gewiß ist es, daß es Frauen giebt, deren Augen scharf, deren Herzen weit, deren Köpfe hell genug sind, um die fremdartigsten Erscheinungen richtig anzuschauen und unverfälscht wiederzugeben.
Zum Beweise hierfür sei nur an eine mäßige Anzahl Frauen erinnert, die sich schon in früheren Zeiten in einzelnen Wissenschaften ruhmvoll ausgezeichnet haben, und wir nennen Frauen verschiedener Nationalität, um zugleich zu beweisen, daß ihre Geistesgaben nicht Blüthen eines einzelnen Volkes seien.
Nach dem Wiederaufblühen der Wissenschaften in Italien finden wir Maria Agnesi, die sich in der Mathematik und Philosophie in hohem Grade auszeichnete. In ihrem fünfzehnten Jahre verstand sie Französisch, Spanisch, Deutsch, Griechisch, Hebräisch; in ihrem zwanzigsten Jahre vertheidigte sie an zweihundert philosophische Thesen zu allgemeinster Bewunderung und schrieb bald darauf ein mathematisches Werk, welches so viel Aufsehen erregte, daß Papst Benedict der Vierzehnte ihr den Lehrstuhl der Mathematik an der Universität zu Bologna zuwies, wo sie geraume Zeit mit großem Beifall lehrte. Fast noch berühmter ist ihre Landsmännin und Zeitgenossin Laura Bassi. Sie erhielt 1732 zu Bologna in aller Form die Würde eines Doctors der Philosophie, ward von demselben Papst Benedict dem Vierzehnten zum Professor der Physik ernannt und hielt Vorlesungen, die zahlreich besucht wurden. Ihre wissenschaftlichen Studien wurden wenig dadurch beeinträchtigt, daß sie als Gattin des Arztes Verrati einem großen Hauswesen vorstand; sie war die glückliche Mutter von zwölf Söhnen, deren Erziehung sie keinen Miethlingen anvertrauen mochte. In Padua lehrte Helene Piscopia Philosophie und verfaßte mehrere mathematische und astronomische Werke. Ebendaselbst las Novella d'Andrea über Kirchenrecht mit großem Beifall. Nur ein Umstand mochte die Zuhörer weniger befriedigen. Da nämlich die Frau Professorin ebenso schön wie gelehrt war, so war ihr Lehrstuhl mit einem Vorhang versehen, damit die Zuhörer durch den Anblick ihrer Schönheit nicht zerstreut werden möchten.
Von Französinnen nennen wir zunächst die Marquise du Châtelet, Voltaire’s Freundin, die mit dem deutschen Philosophen Wolff in lebhaftem Briefwechsel stand. Sie machte zuerst Newton’s System in Frankreich bekannt, und ihre Abhandlung „Ueber die Natur des Feuers“ erhielt von der Akademie der Wissenschaften den Preis. Mademoiselle Sophie Germain correspondirte Jahre lang unter dem Namen Leblanc mit dem größten deutschen Astronomen, Gauß, über mathematische Gegenstände,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_163.jpg&oldid=- (Version vom 26.9.2022)