Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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wie alle derartigen Verpflanzungsversuche, ja, nicht einmal in den unmittelbar benachbarten Orten, wie Schluckenau, Nixdorf etc., ist die versuchte Einbürgerung gelungen. Die Erklärung für diese Thatsache ist ziemlich einfach. Als wir die Manipulationen mit dem sogenannten „Theiler“ besprachen, sagten wir, schon aus dieser gehe hervor, daß die Sparteriewaaren-Erzeugung nie Maschinenindustrie werden könne; dies wird erhärtet durch die weiteren Manipulationen, das Knüpfen der Fäden und die Eigenartigkeit des Webens. Diese Handindustrie aber wird nun seit mehr als einem Jahrhundert nahezu von der gesammten, auf mindestens 3000 Seelen zu schätzenden Bevölkerung Alt-Ehrenbergs betrieben; jedes Mitglied dieser Bevölkerung, vom Kinde an, das kaum die ersten Lebensjahre hinter sich hat, bis zum Greise, nimmt daran Theil. Hierin liegt die Erklärung, weshalb die Einbürgerung der Holzweberei anderwärts stets todtgeborener Versuch bleiben wird; denn schwerlich wird sich je eine ganze Bevölkerung eines Ortes mit einem Schlage einem neuen Erwerbszweige zuwenden, zu dessen Erlernung sie ja immerhin eines ziemlichen Zeitraumes bedürfte. Nur wenn Alles, vom Kinde bis zum Greise, sich in die Hand arbeitet, wird und kann es der Bevölkerung eines andern Ortes möglich sein, ein Produkt herzustellen, welches an Billigkeit mit dem in Ehrenberg gefertigten concurriren könnte.
Möge der erfreuliche Aufschwung, den diese Industrie genommen hat, von Dauer sein und sich immer mehr steigern! Mögen ihre Erzeugnisse allenthalben die ihnen jetzt schon gebührende Würdigung finden und damit der Bevölkerung Ehrenbergs, braven, arbeitsamen und dabei kerndeutschen Leuten, eine gesicherte, ihre Arbeit lohnende Zukunft erblühen!
Zu derselben Zeit, in welcher Europa beschäftigt war neue Verdummungsquellen in La Salette, Lourdes und anderen Vorgängern Marpingens zu entdecken, hat man in Amerika die Quellen eines Leuchtstoffes auszubeuten angefangen, dessen Licht nicht nur freundlich in unser Auge strahlt, sondern auch zur Aufhellung der Köpfe in den langen Winterabenden beträchtlich beigetragen hat. Nicht daß das Erdöl an sich eine neue Erscheinung gewesen wäre; denn dasselbe quillt auch an mannigfachen Orten der alten Welt aus dem Erdschooße, und die alten Griechen und Römer benutzten es unter dem Namen „Oel der Medea“ im Sinne der neuen Petroleusen zu Kriegs- und Zerstörungszwecken; indessen konnte die geringere Ausbeute der altweltlichen Quellen nicht zu dem Versuche verlocken, damit die halbe Welt zu erleuchten, Essen zu kochen und sogar Dampfkessel zu heizen.
Den unmittelbaren Anstoß zur Aufnahme der amerikanischen Petroleumindustrie lieferten wohl die deutschen Versuche, durch trockene Destillation von Torf, Braun- und Steinkohlen neben den gasförmigen auch flüssige und feste Beleuchtungskörper (Paraffin) zu gewinnen; denn das Rohprodukt dieser Industrie, der Braunkohlentheer, bot mit dem rohen Erdöl die größte Uebereinstimmung. Auch ist kaum ein Zweifel darüber, daß dasselbe ebenfalls ein durch die langsame Einwirkung der Erdwärme hervorgebrachtes Destillationsproduct vorweltlich angesammelter Pflanzen- (und Thier-)stoffe ist, sodaß wir das Erdöl wie die Kohlen als das aufgespeicherte Sonnenlicht der Vorzeit betrachten dürfen, ebenso wie im Rüböl und Brennholz der Sonnenschein unserer heutigen Sommer verdichtet erscheint und in Lampenlicht und Ofenwärme neu erwacht.
Natürlich bedarf jenes rohe, vielfach verunreinigte Petroleum einer wiederholten Reinigung durch Destillation, und zwar nicht blos einer Reinigung von den weniger brennbaren, sondern auch von den allzu brennbaren, leichtflüssigen Beimischungen, welche Explosionsgefahren herbeiführen, wenn sie nicht (vergl. Jahrg. 1879, Nr. 47) als Anfangsproducte der Destillation entfernt werden; sie gelangen selbstständig (als Petroleumäther) in den Handel. Für diese Industrie boten sich nun riesige Ansammlungen von Rohprodukt in einem Theile Nordamerikas dar. Es ist jener Landstrich, welcher sich südöstlich Canadas durch das westliche Pennsylvanien und Ohio erstreckt und südwestlich im Staate Virginia endet.
Der rohe Theer oder das rohe Petroleum, wie wir es von nun an nennen wollen, war den Indianern jener Gegenden bereits bekannt, weil es an vielen Stellen dort zu Tage kommt, es wurde aber von ihnen nur als Heilmittel für äußerliche Einreibungen verwandt.
Von den später eingewanderten Europäern blieb es unbeachtet, bis das Paraffinöl ihm den Weg für Beleuchtungszwecke eröffnete. Die Billigkeit des Stoffes, die anfangs sehr bequeme Gewinnungsweise, die leichte Art des Destillirungsprocesses, die reichhaltige Ergiebigkeit und endlich die Einfachheit der Beleuchtungsapparate verschafften dem Petroleum sehr schnell die ausgebreitetste Verwendung und riefen in der amerikanischen Bevölkerung eine Aufregung hervor, welche den früheren californischen Goldparoxysmus bei Weitem übertraf, sich aber nachhaltiger und volkswirthschaftlich auch folgereicher als dieser erwies. Nach dem Westen Pennsylvaniens, welcher Landstrich sich am ergiebigsten zeigte, ging die Hauptströmung, und in kurzer Zeit wurden aus Ansiedelungen Colonien und aus Colonien Städte.
Die Ansiedelungen zogen alle jene Industriezweige heran, welche der Oelförderung nöthig waren, und Fabriken für Bohrgestänge, für Maschinen und Pumpwerke, Böttchereien und Schmieden wurden in zahlreichster Weise etablirt, sodaß aus Einöden industriereiche Landestheile, wurden. Franklintown, Petrolia, Titusville, Kars City, Bradford, Oil City sind heute Städte von zehn- bis fünfzehntausend Einwohnern und stehen sogar bezüglich des Comfort den größten Städten Amerikas nicht nach. Von den benannten Städten ist augenblicklich Oil City als Metropole der Oelregion zu betrachten, weil es, im productivsten Theil der Region gelegen, auch der Verladungsplatz des producirten Oels ist. Das Wort „augenblicklich“ ist hier besonders hervorzuheben, weil die Produktivität der Quellen sehr veränderlicher Art ist und die durchschnittliche Dauer der Ergiebigkeit seiner Quelle nie länger als auf zweieinhalb bis drei Jahre geschätzt wird, weshalb Titusville und Franklintown, die ersten Niederlassungen, bereits in den Hintergrund gedrängt sind.
Am 28. August 1859 wurde von einem Manne, Namens Drake, die erste Oelader in einer Tiefe von neunundsechszig Fuß bei Titusville erbohrt, welche nur zehn Barrels Oel täglich producirte, nichts desto weniger aber den Impuls zu kolossalen Einwanderungen dorthin gab. Bis Ende der sechsziger Jahre behauptete diese Gegend auch ihr Feld als die produktivste, wird aber seit jener Zeit von dem östlich gelegenen Oil Creek-Territorium, dessen Hauptplatz Oil City ist, weit übertroffen.
Der erste Colonist in diesem Oil Creek-Territorium war Francis Halyday, welcher den Landstrich, worauf heute der westliche Theil von Oil City steht, von der Regierung im Jahre 1809 kaufte. Der östliche, der heutige Geschäftstheil. der Stadt, gehörte zu jener Zeit einem Indianerhäuptling Namens Cornplanter, welcher den Landstrich in Ausdehnung von 300 bis 400 Acres Land von der Regierung für in den Indianeraufständen geleistete Dienste geschenkt erhielt. Indeß wie viele seines Stammes, so war auch dieser Herr Cornplanter ein großer Verehrer geistiger Getränke, und in trunkenem Zustande verkaufte er den Besitz für eine Kleinigkeit.
Die ungemein starken Zuströmungen machten den Platz bereits im Jahre 1862 zur Stadt, und ungeachtet der vielen Feuersbrünste und Ueberschwemmungen, von welchen die junge Stadt heimgesucht war, sehen wir dieselbe im Jahre 1871 wohlorganisirt, mit Pflasterung, Gas- und Wasseranlagen und ansehnlichen steinernen Gebäuden. Oil City hat heute eine Bevölkerung von 15,000 Einwohnern und besitzt ein Börsengebäude, sechs Banken, zwölf Kirchen, eine Synagoge, ein Opernhaus, ein Schauspielhaus, und an hervorragenden Bauwerken nächst drei eisernen Brücken auch eine Hängebrücke.
Auf Verkehrs- und Verbindungswege sind bekanntlich sowohl die Amerikaner, wie die Engländer sehr bedacht, und so hat auch das ganze Territorium ein höchst ausgedehntes Netz von Eisenbahnen und Straßen nach allen Richtungen. Von besonderer Wichtigkeit für das Land sind die „Pipe lines“, ein System
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_151.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)