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Seite:Die Gartenlaube (1880) 148.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Die Sparteriewaaren-Erzeugung
Von Otto Purfürst.[WS 1]


Im gewerbreichsten Theile der österreichischen Monarchie, im nördlichen Böhmen, streckt sich eine lange Reihe von Ortschaften hin, in denen Hunderttausende fleißiger Hände sich unablässig regen; Städte und Dörfer schließen sich eng an einander; viele Meilen weit geht man die Landstraße entlang immer zwischen Häusern; in den meist einstöckigen, aus Holz erbauten und mit Schindeln oder Stroh gedeckten Häusern klappert vom Morgengrauen an bis in die späte Nacht der Webstuhl. In den Städten wie Rumburg, besonders aber Warnsdorf, sieht der Wanderer die Schlote zahlreicher Fabriken zum Himmel emporragen; am Abend erglänzen die Fenster der zumeist großartigen Fabriken, als fände eine Illumination statt. So sieht es in der Gegend aus, wenn der Erwerb im flotten Gange ist. Geben aber an Werktagen die Schlote der Fabriken keine Rauchwolken von sich, sind deren Fenster ganz oder zum Theil dunkel, hört man nicht das rastlose Klappern des Webstuhles, dann – was zuweilen vorkommt – ist es um die Gegend und ihre Bewohner traurig bestellt, dann giebt es gar schmalen Erwerb, dessen Ertrag selbst für die bescheidensten Bedürfnisse nicht zureicht, dann klopft der Hunger erbarmungslos an die Thür Tausender von armen Leuten, die so gern von früh bis spät fleißig arbeiten möchten.

Eine dieser gewerbreichsten Ortschaften, hart an der sächsischen Grenze, im Leitmeritzer Kreise und nächst Rumburg liegend, trägt den Namen Ehrenberg, und der Ort ist aus einem ganz besonderen Grunde merkwürdig; denn einzig in ihm wird seit Jahren eine eigenthümliche Industrie betrieben, welche, wie sich zeigt, einer schönen Entwickelung fähig ist: die Sparteriewaaren-Erzeugung. Ehrenberg, in Ober-, Nieder-, Alt- und Neu-Ehrenberg zerfallend, zählt zusammen über sechstausend Seelen. Aeußerst freundlich liegt das langgestreckte Dorf in einem Thale, welches ein kleiner Fluß, die Mandau, die hier ihren Ursprung hat, durchfließt; freundlich lugen die Holzhäuser aus dem Grün der Obstbäume oder mächtiger Eichen und Linden hervor.

Die Sparterie oder Holzweberei ist in Ehrenberg durch einen Zimmermann Namens Anton Menzel, der sie in Rennersdorf, einem zwischen Kreibitz und Dittersbach liegenden Orte, kennen gelernt hatte, vor etwas über hundert Jahren eingeführt worden. Damals befand diese Industrie sich selbstverständlich auf ihrer untersten Stufe, nicht selbstverständlich aber ist, daß sie auf dieser bis vor kurzer Zeit stehen blieb, wodurch ein aussichtsvoller Erwerbszweig nahe daran war, zu erlöschen. Mit einem Wort: die Ehrenberger fabricirten bis in die jüngste Vergangenheit hinein nichts als ein einfaches Gewebe aus Holz, die sogenannten „Holzböden“.

Diese Böden werden aus feinen Fäden, nicht stärker als Briefpapier und je nach Bedarf ein bis fünf Millimeter breit, gewebt, und zwar bedarf es, um solche feine Fäden in der Länge von einem Meter bis zu einem Meter und dreißig Centimeter herzustellen, eines Holzes, das mit Zähigkeit Weichheit verbindet, welche Eigenschaften nur das Holz der Espe besitzt. Dieser früher auch in Böhmen heimische Baum ist dort nahezu völlig verschwunden; wenigstens sind keine Bestände desselben mehr vorhanden, welche dem Bedarf auch nur einigermaßen genügen könnten, weshalb letzterer heute aus Russisch-Polen gedeckt werden muß. Die Beschaffung des Rohmaterials für die Sparterie, des Espenholzes, ist darum ebenso mühselig wie kostspielig. Zu zwei Malen im Jahre, im Frühjahr und Herbst, reisen die Holzhändler nach Polen, dort die benöthigten Vorräthe zu beschaffen; es müssen zum Schlagen diese Jahreszeiten benutzt werden, da nur Holz von solchen Bäumen sofort zur Verwendung gelangen kann, in die der Saft noch nicht trat, oder aus denen er schon wieder ausgetreten ist; im Sommer geschlagenes Holz muß, ehe es verarbeitet werden kann, ein Jahr im Wasser liegen, weil es sonst roth und damit unbrauchbar wird. Auch ist nur solches Holz für die Sparterie geeignet, das ganz fehlerfrei ist; der geringste Fehler, ein für den Nichtkenner kaum bemerkbares Abweichen im Wachsthum, macht die aus solchem Holz gewonnenen Fäden für die Weberei unbrauchbar. Dies bedingt aber, daß mit der Holzgewinnung eine starke Abholzung verbunden ist; aus hundert Stämmen werden durchschnittlich nur sechs bis acht Klaftern Holz gewonnen. Hieran knüpfte man vielseitig die Befürchtung, es werde mit der Zeit gänzlicher Mangel an Rohmaterial eintreten; Fachmänner theilen diese Befürchtung indessen nicht, einestheils im Hinblick auf die riesenhaften Bestände, welche in Polen noch vorhanden sind, anderntheils, weil die Espe sehr rasch nachwächst und sich somit die abgeholzten Bestände bald von Neuem bewaldet haben. Und gerade dieses rasche Wachsthum der Espe ist es, was sie für die Sparterie verwendbar macht, denn durch dasselbe sind die Fasern gradliniger, als dies bei anderen Baumarten der Fall ist.

Der in Polen die Materialbestände auswählende Holzhändler hat an Ort und Stelle zunächst für ein Unterkommen in unwirthbarem Walde zu sorgen, welcher für sechs, acht, ja in einzelnen Fällen siebenzehn Wochen sein Heim ist. Er findet dieses Unterkommen zumeist in Forsthäusern. Dann gilt es, die wahrscheinlicherweise nutzbaren Stämme zum Schlagen zu bezeichnen; dieselben müssen eine Stärke von wenigstens 30 Centimeter besitzen, dürfen nicht windschief und müssen möglichst astfrei sein, auch kann nur weißes Holz benutzt werden; geschlagene Bäume, deren Holz roth ist, müssen ohne Weiteres liegen bleiben. Nun beginnt ein arbeitsvolles und doch monotones Leben für den Holzbeschaffer; Stamm auf Stamm fällt unter den Händen der gemietheten polnischen Holzfäller; die Stämme werden in Stücke von 1 Meter 30 Centimeter Länge geschnitten, geschält und ausgekernt. Jetzt muß der Holzhändler alle seine Aufmerksamkeit darauf verwenden, das fehlerhafte Holz, das heißt solches, dessen Faser nicht geradlinig, welches vielmehr astknollig ist oder Blasen hat, vom fehlerfreien zu sondern, denn während das Holz an Ort und Stelle fast nichts kostet, sind dessen Transportkosten enorm.

Ist ein genügender Vorrath an nutzbarem Holze geschlagen, so wird dasselbe zur nächsten Bahnstation, zumeist nach Rzeszow oder Brody, befördert; dies geschieht seitens der polnischen Bauern auf Holzwagen ursprünglichster Art, die aller Eisentheile vollständig entbehren, und so kommt es, daß zum Transport von 10 Klaftern Holz 46 mit je 4 Pferden bespannte Wagen erforderlich sind; jeder der Fuhrleute erhält auf eine Entfernung von 6 Meilen 6 Gulden österreichischer Währung. Der Bahntransport geschieht durch Deutschland, via Breslau; ein 4 bis 5 Klaftern Holz enthaltender Waggon kostet bis zum Bestimmungsorte 420 Gulden Fracht; trotzdem ist der weitere Weg durch Deutschland doch weit billiger, als der nähere Weg durch Oesterreich. In Ehrenberg kostet die Klafter nutzbares Holz circa 150 Gulden, und zur Verarbeitung kommen derzeit etwa 200 Klaftern.

Das Holz wird nun derart verarbeitet, daß die nach der Faser gespaltenen Stücke von, wie bereits erwähnt, 1 Meter bis 1 Meter 30 Centimeter Länge zu Gevierten von 6 Centimeter Breitenfläche abgehobelt werden; ist die Fläche ganz glatt, dann wird der sogenannte Theiler angesetzt. Der Theiler ist eine Art Hobel, der jedoch statt des glatten Hobeleisens eine Anzahl feiner Messerklingen, 20 bis 30, je nachdem der Faden 1 oder 5 Millimeter breit werden soll, besitzt. Die Handhabung erfordert große Geschicklichkeit und Aufmerksamkeit seitens des Mannes, der sie ausübt; er muß genau die Lage der Holzfaser beobachten und ihr mit seinem Theiler folgen; dies ist einer der Gründe, weshalb diese Industrie stets durch die Hand ausgeübt werden muß, nie Maschinenindustrie werden kann. Die vom Theiler in's Holz gezogenen Längsschnitte sind etwa 5 Millimeter tief. Ist der Mann damit fertig, so legt er den Theiler zur Seite und nimmt den Hobel zur Hand, mit dem er von der Holzfläche feine Streifen abhobelt, welche von einer am Fußende der Hobelbank stehenden weiblichen Person aufgefangen und geschwenkt werden, um etwa schadhafte Fäden abzusondern; der Abfall an Fäden ist, trotz aller Sorgfalt bei Auswahl des Holzes und bei ihrer Herstellung, doch ziemlich stark.

Die nun fertigen Fäden werden, ehe sie verwebt werden können, je zu zweien an einem Ende zusammengeknüpft; es ist dies Kinderarbeit, und werden in Ehrenberg die Kleinen vom vierten Jahre an damit beschäftigt. Das Kind bekommt für

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_148.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)