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Seite:Die Gartenlaube (1880) 127.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


versucherischen Anregungen die Mittel, welche einzig ein Fortschreiten der Charakterbildung bewirken, sowie die Möglichkeit, eine Besserung zu constatiren. Bei vielen ungebildeten Personen tritt zudem eine Schwächung der Verstandeskräfte und bei den meisten Sträflingen eine Erschlaffung derjenigen Muskeln ein, deren die Tagelöhner und der Bauer dringend bedürfen. Es folgt somit die Nothwendigkeit, eine Art der Strafverbüßung in Aussicht zu nehmen, welche alle Vorzüge der Einzelhaft verwerthet und alle Nachtheile derselben vermeidet. Das Verdienst, hier ein brauchbares Vorbild geliefert zu haben, gebührt dem dafür in Großbritannien hochgefeierten und von der Königin zum Baronet erhobenen Sir Walter Crofton. Sein System ist das Irische oder Progressivsystem, welches in England vom Jahre 1854 ab in's Werk gesetzt wurde, nachdem seit 1853 die Transportationsstrafe auf ein geringes Maß beschränkt worden war.

Das Irische System, bei uns hauptsächlich durch die Schriften des Professors von Holtzendorff und des holländischen Ministers van der Brugghen[WS 1] bekannt geworden, trennt die äußerliche Durchführung der Haft in vier Stadien. An erster Stelle steht die Einzelhaft von neun Monaten, welche bei gutem Verhalten um einen Monat abgekürzt werden kann. Man hält diese Zeit für ausreichend zur Erzielung der heilsamen Wirkung der Isolirung. Ob es entsprechender erscheint, das Strafstadium der Isolirung je nach der Länge der Strafzeit – etwa unter Festsetzung eines Minimums von fünf bis sechs Monaten und eines Maximums der Isolirung von zwei bis drei Jahren – verhältnißmäßig abzustufen, wird von dem Temperament und der Individualität der Sträflinge abhängen.

Gemeinschaftliche Zwangsarbeit in einer zur Länge der Freiheitsstrafe angemessenen Dauer bildet die zweite Stufe. Die Gefangenen haben in ihr fünf Classen zu durchlaufen. Mit jeder höheren Classe sind außer besonderen Abzeichen durch Klappen und Ringe auch verschiedene äußere Vortheile in Betreff der Verköstigung und eines den Sträflingen später auszuzahlenden kleinen Geldbetrags verbunden. Die Sträflinge werden bei gutem Verhalten von einer niederen zu einer höheren Abtheilung versetzt und erhalten dann sogenannte Zufriedenheitsmarken, welche einmal im Monat ausgetheilt werden und deren der Gefangene drei für gutes Betragen, drei für Fleiß in der Schule und drei für gute Arbeit, im Ganzen also neun in einem Monat, verdienen kann. Dieses Markensystem hat sich als höchst zweckmäßig bewährt. Es ermöglicht einmal eine zuverlässige Censur der Sträflinge seitens der Oberaufseher, Lehrer etc., dann aber hat es, indem man die Erwerbung von Marken seitens der Gefangenen einräumt, die gute Wirkung, daß die Sträflinge durch die Besorgniß um ihre Sonderinteressen vom Complotiren mit den schlechteren und leichtsinnigeren Mitgefangenen abgehalten werden. Bei auffallend schlechtem Verhalten werden die Sträflinge in ein niederes Stadium, z. B. aus der Gemeinschaftshaft in die Isolirzelle, wieder zurückversetzt.

Es folgen als drittes Stadium die sogenannten Zwischenanstalten, theils gewerblichen, theils landwirthschaftlichen Charakters, vorzugsweise darauf berechnet, den Sträfling auf seine Entlassung vorzubereiten. In ihnen, den Zwischenzuständen zwischen Freiheit und Gefangenhaltung, wird den Gefangenen, um sie auf eine stärkere Probe zu stellen, ein größeres Maß von Freiheit gewährt, ohne daß der Charakter der Strafe verloren geht. Von den beiden Zwischenanstalten ist die eine in Lusk für Ackerbauer und Handarbeiter, die andere in Smithfield für Gewerbtreibende bestimmt. Die Gefangenen legen die Sträflingskleidung ab und werden nur von einem nicht bewaffneten und nicht uniformirten Aufseher, der zugleich Werkmeister ist, geleitet und wie freie Arbeiter beschäftigt. In der Zwischenanstalt zu Smithfield in Dublin werden den Sträflingen geeignete Vorträge über das Wesen und den Werth der Arbeit, über Physik, Naturkunde, Geographie, Geschichte, Nationalökonomie etc. gehalten. Es befinden sich unter diesen Sträflingen Männer von allen Altern und fast allen Bildungsstufen. Auch Examina finden wöchentlich statt; sind die Themata der Vorträge dafür passend, so ist es den Gefangenen auch gestattet, sich das Wort zu erbitten, zu opponiren und ihre Bedenken und Gedanken kurz vorzutragen.

Haben die Sträflinge auch die Zwischenanstalten zur Zufriedenheit durchgemacht, so treten sie in die vierte und letzte Strafstufe, in die der Beurlaubung, während der sie unter polizeilicher Aufsicht bleiben und einen ehrlichen Erwerb nachzuweisen haben. Dieser mit strenger Aufsicht verbundene Schutz seitens der Gefängnißbehörden ist für die Sträflinge höchst werthvoll, weil er darin besteht, daß sie zu Dienst- und Arbeitsstellungen empfohlen werden und daß ihnen bei eintretender Noth mit Rath und That beigestanden wird. Sobald aber der Beurlaubte ein neues Vergehen verübt, ein faules Leben führt, mit übelberüchtigten Subjecten umgeht oder über einen eingeschlagenen Weg zu einer ehrlichen Subsistenz sich nicht ausweisen kann, erfolgt die Widerrufung für den Rest der noch nicht abgelaufenen Urlaubszeit.

Die Anhänger des Zellensystems, die in Europa fast das Uebergewicht erhalten, haben stark abgenommen. Die Staaten, die sich erst verpflichtet fühlten, das System der Einzelhaft in Anwendung zu bringen, hielten in ihrem Eifer ein, und es brach sich allmählich die Ueberzeugung Bahn, daß die Frage der Gefängnißreform neuerer Studien und ausgedehnterer Versuche bedürfe. Selbst der berühmte Vertreter des Zellensystems Mittermayer in Heidelberg bekannte sich schon im Jahre 1867 als einen Anhänger des Irischen Systems, und vor Allen machte Professor von Holtzendorff auf die große Bedeutung des in dem Irischen System liegenden Grundgedankens aufmerksam.

In Deutschland hat denn auch das Strafgesetzbuch an Stelle der Einzelhaft das Progressivsystem angenommen, und dem Vernehmen nach hält auch die durch den neuen Gesetzentwurf über den Strafvollzug vorbereitete Reform an letzterem System fest. Professor Tellkampf selbst ging bei seinem vom Reichstage zum Beschluß erhobenen Antrage von einem Plane der Gefängnißreform aus, welcher mit dem Irischen System übereinstimmt.

Das Irische System ist besonders in der Schweiz in der neuen trefflichen Anstalt Lenzburg eingeführt worden, und es sind diesem vom glücklichsten Erfolge begleitete Beispiele andere Schweizercantone nachgefolgt, namentlich Zürich und Tessin.

Dem jetzigen preußischen Justizminister Dr. Friedberg verdanken wir das Werk, welches in Gestalt des einheitlichen Strafgesetzbuchs dem deutschen Volk verliehen und dem – unter Entfernung alles Fremdartigen – nur zu Grunde gelegt ist, was die Wissenschaft gelehrt und deutsche Sitte geboten hat. Hoffen wir, daß das deutsche Reich die pädagogischen Grundsätze des Crofton'schen Systems zur Grundlage seiner Gefängnißgesetzgebung machen, daß diese eine wirkliche einheitliche Organisation und Verwaltung schaffen und vor Allem – neben Einführung gleichmäßiger Einrichtungen zum Wohle der entlassenen Sträflinge – die Möglichkeit bieten werde, den Menschen ganz seiner Individualität nach zu behandeln und ihn zu den Quellen zurückzuführen, aus denen ihm allein wirkliche geistige Gesundung kommen kann – zur rechten Gottesfurcht, Tüchtigkeit und Gesittung!




Die Experimente mit dem sogenannten thierischen Magnetismus.
Von Professor Dr. Richard Rühlmann.


Schon im Alterthum war es bekannt, daß man durch Auflegen der Hand, Bestreichen mit den Fingerspitzen gelegentlich die Schmerzen eines Leidenden lindern könne. Zu einem eigentlichen Zweige der Heilkunst suchte Mesmer (geboren 1733, gestorben 1815) dieses Verfahren auszubilden. Er errang zum Theil großartige Erfolge und gebrauchte für diese Art der Einwirkungen zuerst den Namen „thierischer Magnetismus“. Die französische Regierung setzte im Jahre 1784 eine wissenschaftliche Commission zur Prüfung dieser neuen Kraft und ihrer Wirkung ein, an deren Arbeiten sich sogar Franklin und Lavoisier betheiligten. Das Resultat der Untersuchung dieser Naturforscher und Aerzte war aber für Mesmer und seinen thierischen Magnetismus so ungünstig, daß jener bald darauf Paris verließ.

Außer den eigentlichen medicinischen Wirkungen waren indeß

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: van der Beugghen
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_127.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2021)