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Seite:Die Gartenlaube (1880) 124.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Es erschien mir schon sonderbar, daß Baron Lomeda nicht wie gewöhnlich zu Thee blieb; meine Zweifel, ob ich dazu hinabgehen oder mich entschuldigen lassen sollte, wurden bald behoben, denn Papa kam selbst zu mir, um mir zu sagen, daß der Baron um mich angehalten. O, wie muß es ihm selbst darum zu thun sein, mich aus dem Hause zu haben, da er mir so eindringlich aus einander setzte, wie sehr diese Verbindung auch zu seinen Wünschen stimmen würde!

Wohl kann es ihm nicht angenehm sein, einer störrischen Miene, gleich der meinigen, alltäglich zu begegnen. Ich habe aus jedem seiner Worte die Absicht herausgehört, mich bald zu entfernen, um dann auch um so eher mehr Freiheit für sich selbst zu erhalten.

Er fühlt es, wie ich, daß mein Platz hier nicht mehr ist. Er drängt, und ich verstehe dieses Drängen. Habe ich denn auch noch einen andern Ausweg?

Wenn ich auch wollte: alle meine Talentchen reichen nicht zu, daß ich mit ihnen als Lehrerin mein Brod verdienen könnte, und selbst wenn ich es wagen und insgeheim entfliehen wollte, Papa würde mich ausforschen, mit Gewalt wieder zurückbringen lassen. Ich habe nur die Wahl: Sternberg, Selikau oder – Riefling.

Ach, ich habe ja eigentlich schon gewählt, wenn ich mir auch drei Tage Bedenkzeit ausbat und zur Bedingung machte, daß man mich unterdeß nicht zu überreden suche. Eine Gnadenfrist, nichts weiter, und ich wollte fast – es wäre die Qual derselben vorbei!“ – –

Nun fiel Blatt um Blatt von der Rechten zur Linken, hastig, als ob der Herbstwind vergilbtes Laub herüberwehte; erst bei der letzten längeren Aufzeichnung, da, wo das letzte Drittel des Buches begann, hielt die kleine blätternde Hand inne.

„3. September.

Heut' ist mir, als müßt' es ein Gebet sein, das ich hier niederschreibe. Ich will mich in Allem den übernommenen Aufgaben würdig zeigen, und Gott wird mir helfen, sie zu erfüllen.

Der letzte Tag!

Eine Unruhe ist in mir, die unbeschreiblich ist. Weihe kann ich das nicht nennen; denn Weihe ist hohe Ruhe im höchsten Erfassen der Bestimmung und des Augenblicks, und dennoch ist etwas davon lebendig in meiner Brust, und das leise Zagen, das mich just im letzten Augenblicke überkommt, ist doch eigentlich weit entfernt von dem Wunsche, alles wieder rückgängig zu machen. Nein, nein, das wollte ich nicht, selbst wenn ein ganzes Jahr wie ein Traum aus meinem Leben gelöscht werden könnte.

Ein Jahr, und auch das nicht einmal voll! Was ist doch das Menschenherz? Wie steht es mit den Vorsätzen, die wir fassen? Verzeih, du Ferner, wenn ich untreu geworden! Heute darf ich noch einmal dein gedenken; morgen verbietet es mir die Pflicht und mein eigener Wille. Dir habe ich ja mein Wort nie gegeben – ihm will ich es halten.

Wie sie sich Alle entsetzen würden, wenn ich plötzlich zurücktreten wollte! Papa wäre wohl sehr ungnädig. Wie zeigt er seine Freude, und mit welch kostbarem Schleier – es sind echte points d'Alençon – und welch reizender Brauttoilette er mich überrascht hat, wie reich er alles veranstaltet! Es ist, als wolle er das ganze Fest recht blendend hell arrangiren, damit gleichsam im Schatten desselben das andere verschwindet, das er sich selbst im Laufe der nächsten Woche bereiten will. Es war doch am Ende auch rücksichtsvoll, seine Heirath so lange zu verschieben, damit nicht morgen an der Tafel die neue Hausfrau präsidirt. Ich glaube wohl, sie würde sich entsetzen, wenn mich ein plötzliches Bedenken verhindern sollte, ihr den Platz zu räumen.

Aber ich will nicht boshaft sein, und es ist nicht recht, mit solchem leichtfertigen Gedanken zu spielen. Doch was kann ich dafür, daß er mir schon mehr als einmal gekommen ist?

Eigentlich möcht' ich nur wissen, wie es ein Einziger – wie es mein künftiger Gatte aufnähme. Ob wohl Witold einen tiefen Schmerz darüber empfände?

Manchmal meine ich beinahe, es würde ihm gleich sein. Doch es liegt dieses ruhige, gelassene, gleichmäßige Wesen wohl in seiner Natur, und das flößt mir eigentlich mehr Respect ein, als nach meiner Ansicht zu einer glücklichen Ehe eben nöthig wäre. Zu Zeiten glaube ich sogar, mich ihm widersetzen zu müssen, aber mein Trotz schmilzt sogleich hin, wenn ich in diese dunkeln, tief und weichblickenden Augen schaue, die mir wie ein melancholischer Bergsee zwischen ernsten Felsen und düsteren Tannen erscheinen, in denen sich doch die Himmelsbläue spiegelt. Und er ist so gütig; wie hat er alle meine Wünsche zu Rathe gezogen! Sogar die ganze Einrichtung in der Stadt, wohin wir nun doch ziehen, da er das Abgeordnetenmandat angenommen hat, ließ er genau nach meinen Zeichnungen anfertigen. Er ist nicht feurig und enthusiastisch wie ein – Liebender, aber wäre mir denn das auch recht? Es würde mich beengen, mich erkälten, mich zurückstoßen. Wir haben ja erst so wenig mit einander verkehrt. Daß er mir aber gut ist, das glaube ich, und ich will ihn achten und verehren und sein treues Weib sein, ja mehr als das – muß ich es doch morgen selbst an dem Altare geloben – ich will mir Mühe geben, ihn allmählich auch lieben zu lernen.

Liebe ich ja doch schon sein Kind wie das meine! Wie könnte ich aber auch nicht? Wie süß ist das kleine Ding, wie froh aufjauchzend hat es die Aermchen mir entgegengestreckt, als er es zu uns herüberbrachte für einen Tag! Gewiß sagt auch schon diesem winzigen Geschöpfe eine natürliche Ahnung, wie tief ich es in mein Herz geschlossen habe.

Morgen, morgen, lieb' Gretchen, ist dein Mütterlein bei dir, und dann bleiben wir beisammen, nicht nur für einen Tag, sondern für immer und immer.

Ja, ich hoffe es, wir werden glücklich sein.“ –

Darnach aber begann der neue Abschnitt. Er enthielt nur eine einzige, in großen, weit kräftigeren Schriftzügen hingeworfene Zeile:

Sie lautete:

„Märchenbuch, klapp zu! Träume sind nicht für's kahle Leben.“ –

(Fortsetzung folgt.)




Gefängnißwesen und Strafvollzug im deutschen Reich.
Von Karl Fulda, Landgerichtsrath.[1]

Mit der am 1. October vorigen Jahres in's Leben getretenen Organisation der deutschen Gerichte ist eine Reihe reformatorischer und organisatorischer Arbeiten von höchster Bedeutung auf dem Gebiete der Justizgesetzgebung und Justizverwaltung abgeschlossen worden. Noch aber gilt es, die letzte Arbeit zu vollenden; noch fehlt der Schlußstein an dem denkwürdigen Bau – die einheitliche Regelung des Strafvollzugs. Beschlossen hat sie der deutsche Reichstag auf Antrag des Abgeordneten Dr. Tellkampf in der Sitzung vom 29. Januar 1875. Justizminister Leonhardt hat darauf hin den Geheimrath Dr. Starke nach Belgien entsandt, um das dortige Gefängnißwesen an Ort und Stelle zu studiren, und hat alsdann einen Gesetzentwurf ausarbeiten lassen, der bereits dem Bundesrath in Berlin zur Begutachtung unterbreitet wurde. Da die Schwierigkeiten in formeller wie in materieller Beziehung groß sind, auch die durch Umgestaltung der Strafanstalten sich ergebenden enormen Kosten schwere Bedenken erregt haben, so wird wohl noch einige Zeit darüber hingehen, ehe der Entwurf an den Reichstag gelangen und zum Gesetz erhoben werden kann.

In diesem entscheidenden Zeitpunkte erscheint es bei der

  1. Der Verfasser hat sich seit einer langen Reihe von Jahren mit dem eingehenden Studium der Gefängnißverbesserung beschäftigt, stand mit Dr. Julius, Suringar in Amsterdam, Prof. Tellkampf, Dr. Wichern u. A. in freundschaftlichen Beziehungen und hat die Strafanstalten in Amsterdam und in anderen holländischen Städten, sowie diejenigen Belgiens, Frankreichs, namentlich in Paris, und eines großen Theiles von Deutschland wiederholt besucht und geprüft.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_124.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)