Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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Ein Preßproceß der „Gartenlaube“. In einer Zeit, in welcher der Geheimmittelschwindel zu einer immer bedrohlicher um sich greifenden socialen Gefahr geworden ist, darf keine Gelegenheit unbenutzt bleiben, welche zur Aufdeckung der Quellen dieses modernen Uebels beitragen kann. Die „Gartenlaube“, welche seit Jahren einen erbitterten Kampf gegen die Medicinalpfuscherei kämpft, hat heute einen neuen Sieg über diesen schon so oft niedergeworfenen Feind zu registriren, und der Fall ist so bezeichnend für die Sache, daß wir uns nicht enthalten können, ihn hiermit zur Kenntniß unserer Leser zu bringen.
In dem „Kleinen Briefkasten“ unserer Schlußnummer von 1878 findet sich folgende Notiz:
„A. G. in L. Sie möchten wissen, ob der 'gesetzliche Schutz der Erfindung', welchen das von uns in Nr. 38 erwähnte Flugblatt über die Winter'schen Gichtketten nennt, sich auf ein dem 'Erfinder' ertheiltes Patent bezieht und ob das Zeugniß des Herrn Dr. Heß, der sich 'gerichtlich vereideter Chemiker und wissenschaftlicher Untersucher und Sachverständiger für medicinische, pharmaceutische und Gesundheitspräparate aller Art' unterzeichnet, worauf das L. S. hindeute, ein amtliches sei, etwa vom kaiserlichen Gesundheitsamt ausgestellt? – Der gesetzliche Schutz bezieht sich nur auf die Fabrikationsmarke; es fehlte auch noch, daß solche Dinge bei uns patentirt würden! Das Zeugniß des Dr. Heß ist, wie alle derartigen Zeugnisse, ein reines Privatgutachten; der Aussteller gehört mit den Kollegen (folgen die Namen, darunter Medicinalrath Joh. Müller) zu jenen Persönlichkeiten, die anscheinend die günstige Begutachtung von Geheimmitteln als Geschäft betreiben. Man begegnet ihren stets günstigen Zeugnissen so allgemein bei diesen Mitteln, daß es längst als größte Empfehlung für eine neue Waare dient, wenigstens nicht von diesen Herren empfohlen zu werden.“
Wegen dieser Redactions-Correspondenz stellten die darin genannten Dr. Joh. Müller und Dr. Heß Strafantrag gegen den verantwortlichen Redacteur der „Gartenlaube“, welcher sich im Verlaufe des gegen ihn eingeleiteten Verfahrens bereit erklärte, den Beweis der Wahrheit des in jener Notiz Behaupteten anzutreten, nach Beibringung dieses Beweises erfolgte durch das ehemalige königliche Gerichtsamt I in Leipzig die Freisprechung des Angeklagten.
Durch diese Entscheidung des Gerichts in ihrem Eifer durchaus nicht abgekühlt, legten Dr. Müller und Dr. Heß Einspruch gegen das Urtheil erster Instanz ein, und die Klage kam bei der inzwischen in Thätigkeit getretenen dritten Strafkammer des Leipziger Landgerichts zur zweitinstanzlichen öffentlichen Verhandlung.
Der Gerichtshof fand sich nicht veranlaßt, eine Abänderung des Instanzbescheides auszusprechen, sondern bestätigte denselben und legte den Anklägern die durch ihr Rechtsmittel veranlaßten Kosten auf, sodaß die „Gartenlaube“ auch aus dieser zweiten Instanz und somit aus dem ganzen Handel contra Müller und Heß mit Ehren hervorging.
Wesentlich unterstützt wurde sie indessen hierin durch einen von dem Ortsgesundheitsrath in Karlsruhe im October vorigen Jahres in Scene gesetzten Vorgang, in welchen unsere Ankläger verwickelt waren. Die uns für die weitesten Kreise wichtig erscheinende Mittheilung dieses Karlsruher Vorganges ist die eigentliche Veranlassung, daß wir an dieser Stelle überhaupt auf unsern Preßproceß zu sprechen kommen.
Die Karlsruher Angelegenheit verhält sich aber wie folgt:
Der Ortsgesundheitsrath der badischen Hauptstadt wies in einer öffentlichen Bekanntmachung darauf hin, daß es sich bei Darbietung der durch Dr. Müller und Dr. Heß (und einen uns hier nicht angehenden Dritten) empfohlenen Heilmittel nur um betrügliche Ausbeutung des Publicums handle. Dieser Anschuldigung gegenüber erhob Dr. Müller bei dem Karlsruher Amtsgericht eine Beleidigungsklage gegen den Vorsitzenden des Ortsgesundheitsamts, während Dr. Heß (und mit ihm der dritte Angeschuldigte) den ihm angethanen Schimpf ruhig auf sich sitzen ließ.
„Wenn nun auch,“ heißt es in einer autographirten Mittheilung des genannten Gesundheitsraths, „Material genug vorlag, die Anklage in ihrer Nichtigkeit zurückzuweisen, so schien es doch zweckmäßig, ein kleines Beispiel zu geben, auf welche Weise die besagten wissenschaftlichen Gutachten zu Stande kommen und welcher Werth ihnen beizulegen ist.
Zu diesem Zwecke wurde durch eine der guten Sache geneigte Mittelsperson, die wir Maier nennen wollen, folgender Brief an den ehrenwerthen Medicinalrath abgesendet:
Ich habe ein Hausmittel fabricirt, welches aus ganz unschuldigen Stoffen zusammengesetzt ist und leicht auf den Stuhlgang wirkt, daher bei Congestionen, Verschleimung, Magenkatarrh, Asthma, besonders bei Hämorrhoiden und dergleichen gute Dienste thut. – Das Mittel besteht aus Aepfelwein, in welchem Honig mit etlichen Pfefferminztäfelchen aufgelöst ist und wozu ein paar Tropfen Melissengeist gesetzt sind.
Ich beabsichtige dieses Mittel in den Handel zu bringen und zu diesem Zwecke folgendes Inserat zu veröffentlichen:
Dieses Mittel, täglich 3 Eßlöffel voll genommen, heilt binnen kurzer Zeit auch eingewurzelte Uebel, welche in trägen Functionen des Unterleibs begründet sind, namentlich Hämorrhoiden, Kopfweh, Schwindel, Hypochondrie, Ohrensausen, Melancholie etc.
Zu haben zum Preis von 3 Mark pro Flasche bei pp.
Es wäre mir nun sehr erwünscht, ein Zeugniß zu Gunsten dieses Mittels von Ihnen zu erhalten, welches ich anständig zu honoriren bereit bin, u. z. glaube ich, ein entsprechendes Ansuchen an Sie um so ungescheuter in vertraulicher Weise richten zu dürfen, als ich weiß, daß Sie schon viele Geheimmittel empfohlen haben. – Es würde mir genügen, wenn die Unschädlichkeit des Mittels und dessen allgemeine Nützlichkeit bei Zuständen der angedeuteten Art von Ihnen bescheinigt würde.
Ich bitte Sie nun um gefl. möglichst umgehende Mittheilung, welches Honorar ich einzusenden habe und ob es nöthig ist, daß ich das Mittel beifüge, oder ob Ihnen obige Angaben, für deren Richtigkeit ich garantire, genügen.
Darauf kam folgende Antwort:
Euer Wohlgeboren
erwidere ich auf Ihr geehrtes Schreiben ganz ergebenst, daß ich bereit bin, Ihnen ein wissenschaftliches Zeugniß über Ihr Mittel auszustellen, und haben Sie wohl die Güte, mir eine Probe davon zu übersenden, da ja das Porto nur einige Groschen macht, obgleich ich überzeugt bin, daß die angegebenen Bestandtheile sich darin befinden werden.
Das Honorar würde 20 Mark betragen.
Nach Anleitung des Herrn Ortsgesundheitsrathes, Medicinalraths Dr. Homburger, wurde nun ein Saft durch die Doell'sche Apotheke in Karlsruhe präparirt, der aus 225 Gramm Traubenwein, 50 Gramm Honig, 2 Gramm Pfefferminzzucker und 20 Tropfen Melissengeist zusammengesetzt ist, und dem Herrn Medicinalrath Müller unter Beifügung von 20 Mark und zarter Andeutung weiteren Honorars durch die nämliche Mittelsperson übersendet.
Diese reellen Silberlinge und die Hoffnung auf weitere regten auch, wie nicht anders zu erwarten, die wissenschaftlichen Kräfte des Herrn Dr. Müller zu einer Begutachtung an, welche der erwähnten Mischung zur höchsten Ehre gereicht. Sie lautet:
Herr Schlechter hat mich beauftragt, ein wissenschaftliches Gutachten über den von ihm dargestellten Heilsaft abzugeben.
Nachdem ich diesem Auftrag nachgekommen und eine genaue physikalisch-chemische und medicinische Prüfung vorgenommen, habe ich die Ueberzeugung gewonnen, daß dieser Heilsaft durchaus keine dem menschlichen Organismus schädlichen Bestandtheile enthält, vielmehr sehr heilsame und dem Körper zuträgliche. Derselbe ist geeignet, bei den verschiedenen Magen- und Unterleibsleiden, gesunkener Verdauungskraft, Mangel an Appetit, Trägheit und Schwäche des Darmcanals, Magenkrampf, überhaupt gegen alle durch Störungen des Verdauungsprocesses entstehenden Uebel auf's Vorteilhafteste einzugreifen und den regelwidrigen Lebensproceß zum normalen Zustande zurückzuführen. Ganz besonders ist dieser Saft auch als ein schleimlösendes, die Lungen- und Bronchialschleimhaut kräftigendes Mittel bei chronischen Leiden der Respirationsorgane, verschlepptem Katarrh, anzuwenden und wird auch allen Hypochondristen mit habituellen Obstructionen, Hämorrhoidalleiden, ein höchst schätzbares Mittel sein, weil es nicht schwächt, sondern stärkt.
Mit dem Wunsche, daß dieser ausgezeichnete Heilsaft diejenige Anerkennung finden möge, welche er nach seinem Werthe verdient, hat dieses Zeugniß der Wahrheit gemäß ausgestellt
Berlin, im October 1879. (Siegel.)
Dabei war der nachfolgende Brief angeschlossen:
Sehr geehrter Herr!
Hierbei sende ich Ihnen das gewünschte Attest und bin gerne bereit, für die Verbreitung Ihrer Erfindung zu wirken, wenn Sie etwa hier bei einem renommirten Kaufmann eine Niederlage halten.
Auch kann ich Ihnen noch einige Atteste von anderen Aerzten verschaffen, wenn Sie solche wünschen.
Da Sie geneigt sind, mich noch mit einem Geldbetrage zu beglücken, so würden Sie mich sehr verpflichten, wenn Sie mir umgehend noch 20 Mark senden könnten; ich bin gern bereit, weiter schriftlich und mündlich für Ihre Angelegenheit zu arbeiten.
Es liegt auf der Hand, daß diese famose Karlsruher Affaire, die sich für unsere Zwecke gerade zur rechten Zeit zutrug, uns den Sieg leicht machte. Unerwähnt darf hier indessen nicht bleiben, daß es neben jenem thatkräftigen und klugen Vorgehen des Karlsruher Ortsgesundheitsrathes und dem Geschick unseres juristischen Vertreters besonders das gegen die Ankläger gerichtete Zeugniß des Herrn Dr. med. Heintze in Leipzig, Redacteurs des „Aerztlichen Vereinsblattes für Deutschland“, war, was den für uns günstigen Ausgang des Processes herbeiführte. Der Genannte faßte sein Zeugniß in dem Ausspruch zusammen, daß er in der Tagespresse häufig die Namen des Dr. Müller und des Dr. Heß unter Gutachten gefunden habe, in denen werthlose und unbrauchbare Mittel gegen Krankheiten in wahrheitswidriger Weise empfohlen worden seien. Wir hoffen, daß obige Mittheilung dazu beitragen wird, der leider noch immer zahlreiche Gemeinde der Geheimmittel-Gläubigen die Augen darüber zu öffnen, was sie von den durch die Zeitungsreclame gestützten sogenannten wissenschaftlichen Begutachtungen neu auftauchender Medicamente zu halten habe.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_119.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)