Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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gerichtete Agitation sinnlos und verbrecherisch. Oder aber die Theorie ist falsch, dann fehlt den Vorkämpfern des Zukunftsstaates jedes ernstere, wissenschaftliche Ziel, und die gewaltsamen Umsturzpläne endigen günstigen Falles in einem rohen Pöbelaufruhr, der zwar niemals siegen könnte, aber immer vandalische Verwüstungen anrichten würde.
Mit dem Scheitern der Bewegung von 1848 scheiterte auch der „Bund der Communisten“. Er hatte eine an sich vielleicht beträchtliche, aber im Verhältnisse zu den ungeheueren Grenzen seiner Aufgabe doch nur winzige Ausdehnung erreicht. Aber mit ihm scheiterte nicht der Gedanke, der ihn beseelte. Die zähe Geduld sturm- und wetterfester Revolutionäre, wie Engels und Marx sind, hielt sich unerschütterlich an dem Plane der Gründung eines die fortgeschrittensten Länder und Völker umfassenden Arbeiterbundes, der den internationalen Charakter der socialistischen Bewegung den Arbeitenden selbst wie den Besitzenden und Regierenden sozusagen leiblich vorführen sollte, „dem Proletariate zur Ermuthigung und Stärkung, seinen Feinden zum Schrecken“.
Erst nach anderthalb Jahrzehnten, mit dem Wiederaufleben der Arbeiterbewegung im Anfange der sechsziger Jahre, fand dieser Wunsch die langersehnte Erfüllung. Französische Arbeiter waren vom Kaiser Napoleon zur Londoner Weltausstellung von 1862 gesandt worden, um sich zu unterrichten; sie verbrüderten sich vielfach mit ihren englischen Cameraden, und diese Verbindung hörte auch dann nicht auf, als die Franzosen in ihre Heimath zurückgekehrt waren. Sie gewann vielmehr neue Nahrung durch den polnischen Aufstand, dem sich bekanntlich alle revolutionären Sympathien in beiden Völkern lebhaft zuwandten. Fort und fort gingen proletarische Gesandtschaften von hüben und drüben über den Canal. Zum Empfange einer solchen Deputation französischer Arbeiter wurde am 28. September 1864 eine große Versammlung von Arbeitern aller Nationen nach St. Martin’s Hall in London berufen und auf diesem Meeting lebte der „Bund der Communisten“ wieder auf als „Internationale Arbeiterassociation.“
Engels und Marx hatten von Anfang an ihre Hände in diesen Dingen gehabt; sie gewannen fast augenblicklich die oberste Leitung des neuen Bundes. Ein Versuch italienischer Arbeiter, Mazzini zu seinem Oberhaupte zu küren, scheiterte daran, daß dieser berühmte Agitator alles Andere eher, als ein Socialist war. Marx entwarf Programm und Statuten der Internationalen nach demselben Schema, das er bei dem Communistenbunde angewandt hatte. Das Programm beschränkte sich auf die grundlegenden Sätze des revolutionären Communismus; es verkündete das Sondereigenthum als die Quelle aller geistigen, politischen, socialen Leiden und erklärte die Befreiung der arbeitenden Classen als nur auf internationalem Wege durchführbar und möglich. Die Statuten gaben dem Bunde naturgemäß nur eine lose Organisation; jährlich sollte ein Congreß stattfinden, während der übrigen Zeit ein aus Mitgliedern verschiedener Nationen zusammengesetzter Generalrath als leitender Mittelpunkt der in den einzelnen Ländern und Städten verstreuten Zweige des Bundes dienen.
Zunächst schlug diese oberste Behörde ihren Sitz in London auf. Thatsächlich ist sie niemals etwas anderes gewesen, als ein Deckmantel für die Alleinherrschaft von Marx, der ihr allerdings nur unter dem bescheidenen Titel eines correspondirenden Secretärs für Deutschland angehörte.
Aus seiner Feder floß auch die berufene „Inauguraladresse“, in welcher der Bund aller Welt sein Dasein und seine Pläne kundgab. Ihr großer Knalleffect war eine angebliche Aeußerung Gladstone’s, wonach derselbe, das schnelle Wachsthum der englischen Einkommensteuer erwähnend, gesagt haben sollte: „Diese berauschende Vermehrung von Reichthum und Macht ist ganz und gar auf die besitzenden Classen beschränkt“. In Wirklichkeit hatte Gladstone das gerade Gegentheil gesagt, nämlich ausgeführt, daß er mit großer Besorgniß auf das berauschende Wachsthum des nationalen Vermögens blicken würde, wenn dasselbe sich auf die besitzenden Classen beschränkte und wenn nicht zugleich der Arbeiter eine derartige Vermehrung seiner Mittel zum Leben erhalten hätte, daß dieselbe beinahe für beispiellos in der Geschichte jeglichen Landes und jeglichen Zeitalters gehalten werde könne. Mit dieser literarischen Fälschung begann die agitatorische Wirksamkeit der „Internationalen“.
Lenz war es, der zuerst sich vollständig wiederfand.
„Grüß Gott!“ sagte er, „das trifft sich aber gut, daß wir zwei justament da zusammen kommen.“
„Ja, es trifft sich recht schön,“ war Nannei's halblaute Erwiderung.
„Es ist mir auch recht lieb, daß ich Enk (Euch) so finde, Fräulein Nannei oder wie ich Enk jetzt etwa tituliren muß.“
„Sag' halt: Nannei, wie Du alleweil gesagt hast!“
„Wenn Ihr das erlaubt, Fräulein Nannei,“ begann er wieder, „ist es mir schon recht. Es thät' mich recht hart ankommen, das Ihrzen, und wird mir ohnehin schwer genug, das zu sagen, was ich sagen möchte. Ich möcht' Enk halt Glück wünschen.“
„So? Kommt Dich das hart an?“ erwiderte sie rasch. „Dann kannst Du es gut sein lassen; ich bin nicht versessen darauf.“
„Ihr müßt's nicht so nehmen,“ entgegnete er, indem er den Hut in den Händen drehte und gegen seine sonstige Art wie verwirrt dastand. „Ich weiß diemalen nicht, was ich denke, geschweige denn, was ich rede. Der Glückwunsch kommt mich freilich nicht hart an, aber das Andere, was noch dabei ist.“
„Was wäre denn das?“ fragte Nannei, deren Herz sich bewegte, als sie die Befangenheit und Weichheit des sonst so trotzigen Burschen gewahrte.
„Daß ich gegen Dich, will sagen gegen Enk so keck und übermüthig gewesen bin,“ fuhr er stockend fort, „und daß ich Enk selbigmal den Buschen abgenommen habe, und daß ich Enk bitten möcht', Du solltest mir's nicht nachtragen und nicht harb sein. Ich hab's hart genug büßen müssen – ich glaub', es ist eine Strafe Gottes gewesen, was über mich gekommen ist.“
„Du brauchst mich nicht um Verzeihung zu bitten, Lenz,“ entgegnete Nannei gütig, „Du hast mir nichts angethan; ich weiß ja, daß es nicht so bös gemeint war.“
„Ist's wahr, Nannei?“ erwiderte er freudig. „Ist's wirklich wahr, Fräulein Nannei? Verzeihst mir's wirklich? Nachher wird mir gleich leicht um's Herz; nachher fällt mir das Fortgehen vom Kogelhof doch nicht gar so schwer. Gieb mir die Hand drauf, daß Du mir nichts nachtragst!“
„Da hast Du alle zwei!“ sagte sie und streckte ihm die Hände entgegen, die er eifrig ergriff. „Geh' halt in Gottes Namen, Lenz!“ fuhr sie fort. „Sei rechtschaffen, dann wird unser Herrgott auch schon ein Einsehen haben und Alles noch recht machen mit Dir.“
Lenz nickte stumm; reden konnte er nicht; er stand wie angewurzelt und ließ auch die Hände nicht los, die in den seinigen so warm und traulich lagen. Auch Nannei dachte nicht daran, sie zurückzuziehen – es lag etwas Unausgesprochenes zwischen ihnen, aber sie fanden die Laute nicht dazu.
Wagengerassel scheuchte die Beiden aus einander. Der Landrichter war angekommen, und die beginnende Inventur rief Lenz in dessen Nähe.
Das langwierige Geschäft nahm mehrere Stunden in Anspruch. Es war keine Kleinigkeit, bis alle Wohnräume des Hauses, alle Scheuen und Ställe durchgegangen, bis sämmtliche Einrichtungsgegenstände, Betten und Kästen mit Inhalt, Pferde und Kühe mit Schiff und Geschirr aufgeschrieben, geschätzt und
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_113.jpg&oldid=- (Version vom 18.2.2021)