Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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Es war eine sehr vornehme Versammlung, welche sich am 9. October 1879 zu Berlin in den Räumen des Herrenhauses zusammenfand – die erste ordentliche Generalsynode der altpreußischen Landeskirche. Unter den 194 Mitgliedern befanden sich Geistliche vom Landpastor bis zum Generalsuperintendenten, Adelige vom Landedelmann bis zum Grafen, Geheimräthe, Professoren, Beamte. Der unabhängige Bürgerstand jedoch war so gut wie nicht vertreten. Das erklärt sich durch die eigenthümliche Zusammensetzung der Synode: dieselbe geht, gemäß der soviel umstrittenen, durch Gesetz vom 20. Januar 1876 bestätigten neuen Kirchenverfassung für die evangelische Landeskirche Preußens, nicht aus directen Wahlen seitens der Gemeinden hervor, sondern beruht auf einem sogenannten Filtrirsystem: die Gemeindekirchenräthe wählen die Abgeordneten zu den Kreissynoden, diese deputiren zu den Provinzialsynoden, die letzteren zur Generalsynode. Dazu kommen 30 vom König zu ernennende Mitglieder, 6 theologische Professoren, 6 Kirchenrechtslehrer und 11 Generalsuperintendenten.
Schon als die Liste der Gewählten und Ernannten in den Zeitungen erschien, war man weit und breit in Deutschland auf ein besonderes Schauspiel gefaßt, und mit ungemeiner Spannung richteten sich die Blicke auf dieses rein kirchliche Parlament. Wußte man doch im Voraus, daß in der Mehrzahl seiner Mitglieder vorwiegend nur die streitbarste Orthodoxie vertreten, daß sie also selbst der gemäßigten liberalen Ansicht entschieden feindselig, der denkbar schroffste Ausdruck der jetzt auf politischem und kirchlichem Gebiete vor sich gehenden Rückschrittsbewegung sei. Das war jedenfalls interessant, wenn es auch unerfreulich und besorgnißerregend war. In der That gestalteten sich die Dinge in der Versammlung von vornherein so, wie jeder Kundige es sich gedacht hatte. Die stärkste Fraction war die der sogenannten „Positiv-Unirten“ (76) unter Führung des genügend bekannten Oberhofpredigers Kögel; an Zahl einander fast gleich waren die Partei der „Confessionellen“ (52) unter Leitung des Berliner Superintendenten a. D. Tauscher, und die von dem Hallenser Professor Beyschlag und dem Königsberger Schulrath Schrader geführte „Evangelische Vereinigung“ oder Mittelpartei (56). Verschwindend klein erschien das Häuflein der Liberalen, welche, 9 an der Zahl, gleiche Berechtigung aller auf dem Boden der evangelischen Kirche stehenden Glaubensrichtungen und Festhalten an der gegebenen Kirchenverfassung, sowie Fortentwickelung derselben im Sinne des Gemeindeprincips, das heißt einer ausgiebigen Betheiligung des Gemeindewillens und der Gemeindethätigkeit an den kirchlichen Angelegenheiten, als Programm aufstellten.
Durch einige Beschlüsse, welche die Synode gefaßt, hat sie sich allerdings einen Anspruch auf Dank erworben. Dahin gehört die nun endlich erfolgte würdigere Gestaltung der Emeritirungs- und Pensionsverhältnisse der Geistlichen. Aber auch eine anders geartete Versammlung würde sich dieser dringenden Pflicht sicher nicht entzogen haben. In allen Punkten dagegen, wo es auf Principien ankam, hat die Synode Entscheidungen kundgegeben und Maßnahmen beschlossen, die in weiten Kreisen des Volks, und durchaus nicht blos in ungläubigen, trotz aller geringen Erwartungen dennoch äußerstes Erstaunen und wahrhaften Unwillen erregten. Wenn ein Theologe von der mildgläubigen Richtung eines Beyschlag eine Aufzählung der wichtigsten Beschlüsse der Synode mit den Worten schließt. „Das Alles sind Thaten, die weder zum Segen der Kirche noch zum Frieden in ihr dienen können; dieselben müssen vielmehr den Widerstand aller freiergesinnten Kreise hervorrufen und einen Umschlag in den kirchlichen Verhältnissen vorbereiten helfen, von dem wir nur wünschen wollen, daß er nicht allzu schroff ausfalle,“ so muß wohl auf dem Gebiete kirchlicher Zurückschraubung Starkes geleistet worden sein, und das ist auch richtig; es ist Starkes geleistet worden, ja, das Stärkste, das überhaupt erwartet werden konnte.
Man hätte glauben sollen, eine erste Generalsynode würde es vor allen Dingen sich haben angelegen sein lassen, im Geiste der neuen Kirchenordnung die Rechte und Pflichten der Gemeinden weiter zu entwickeln. Im Gegentheil – die herrschenden Parteien boten Alles auf, um die den Einzelgemeinden soeben erst eingeräumten Befugnisse zu schmälern und womöglich illusorisch zu machen. Gerade diese Rechte sind ja hauptsächlich den Orthodoxen ein Dorn im Auge. Beschränkt wurde also zunächst das den Gemeinden königlichen Patronats verliehene Pfarrwahlrecht. Der brandenburgische Consistorialpräsident Hegel gab sich in jedem Worte als erbitterten Feind dieses Gemeinderechtes zu erkennen, wußte nicht genug von den bei Gemeindewahlen vorkommenden Verkehrtheiten und Skandalen zu erzählen und sprach offen aus, daß überhaupt nicht liberale Gemeinden, sondern nur orthodoxe Consistorien im Stande seien, geeignete Geistliche zu wählen. Es hätte nicht viel gefehlt, so hätte man den Consistorien ein unbegrenztes Recht der Nichtbestätigung übertragen.
Angenommen wurden schließlich folgende Bestimmungen: Bewerbungen um ein kirchliches Amt dürfen künftig nicht mehr bei dem Gemeindekirchenrathe, sondern müssen bei dem Consistorium angebracht werden. Die Vorbereitungen zur Wahl hat der Gemeindekirchenrath unter Leitung des Superintendenten zu treffen. Hat die erste und die zweite Wahl die Genehmigung der Kirchenbehörde nicht erhalten, so kann die Stelle von dem Consistorium ohne weitere Concurrenz einer Gemeindewahl besetzt werden. Die letztgenannte Bestimmung war augenscheinlich an die Adresse der Berliner Jacobi-Gemeinde gerichtet, deren Kirchenrath drei Mal so tapfer und unbeirrt den Kampf für die von ihm erwählten freisinnigen Geistlichen geführt hat.[1]
Eine weise Festsetzung der neuen Kirchenordnung verpflichtet den Geistlichen, die Fälle, in welchen er ein Gemeindemitglied von der Abendmahlsfeier zurückzuweisen für nothwendig hält, dem Gemeindekirchenrath vorzulegen. Stimmt dieser zu, so ist die Zurückweisung auszusprechen, gegen welche dem Betroffenen der Recurs an die Kreissynode offen bleibt. Erklärt sich der Gemeindekirchenrath gegen die Zurückweisung, so wird dieser Beschluß zwar sofort wirksam, aber der Geistliche ist befugt, wenn er sich bei demselben nicht beruhigen will, die Sache zur Entscheidung an die Kreissynode zu bringen. Diese Bestimmung war herrschsüchtigen Pastoren längst gewaltig zuwider. Auf den Antrag des Herrn von Kleist-Retzow beschloß die Synode mit Zweidrittelmajorität, daß es fortan dem Geistlichen allein zustehen solle, ein Gemeindemitglied von der Theilnahme am Abendmahl auszuschließen. Ebenso wurde ein Disciplinargesetz angenommen, in welchem unter den Strafen für Verletzung kirchlicher Pflichten auch die Ausschließung vom Abendmahl figurirt.
Die Pfarrwahlangelegenheit der Berliner Jacobi-Kirche bot den Heißspornen eine zu günstige Gelegenheit, einen Druck auf die kirchlichen Oberbehörden auszuüben, als daß sie dieselbe nicht nach allen Seiten hin hätten ausnützen sollen. Ohne daß ein Name genannt worden wäre, wußte Jeder, daß es sich um den Fall des damals bereits erwählten, aber noch nicht bestätigten Prediger Werner handle, als ein Pastor aus der Provinz Sachsen allen Ernstes verlangte, es solle die Anschuldigung gegen einen Geistlichen wegen Irrlehre nicht allein durch Handlungen in unmittelbarer Ausübung des Amtes, sondern auch durch außeramtliche Erklärungen oder Schriften begründet werden können. Umsonst warnten besonnene Redner vor diesem Attentat auf die wissenschaftliche Freiheit evangelischer Geistlicher; umsonst rief ein Berliner Consistorialrath den Gegnern zu: „Wir sind da auf
- ↑ Nachdem der sehr zahlreichen Jacobi-Gemeinde die von ihr vollzogenen Wahlen zunächst des Prediger Hoßbach und sodann des Domprediger Schramm in Bremen nicht bestätigt worden waren, entschied sie sich in ihrer dritten Wahl für den Prediger Werner in Guben. Sofort begann auch gegen diesen ausgezeichneten Mann die heftig betriebene Agitation der orthodoxen Rädelsführer und das übliche Manöver des Protestes mit einer verschwindenden Minorität von Unterschriften (531 Männer und 590 Frauen von mehr als 30,000 Mitgliedern). Aber auch gegen Werner konnte nichts vorgebracht werden, als eine Bezugnahme auf herausgerissene Stellen aus früher außeramtlich von ihm veröffentlichten wissenschaftlichen Schriften. Auf diesen Einwand ist jedoch dieses Mal die Mehrheit des brandenburgischen Consistoriums nicht eingegangen; es hat die Wahl bestätigt. Ein weiter unten mitgetheilter Beschluß der Synode wurde also in diesem Falle nicht berücksichtigt. Als ein Symptom aber der augenblicklich in den orthodoxen Kreisen sehr hochgeschwollenen Stimmung kann es dienen, daß sie nunmehr beim Oberkirchenrath Hülfe gegen das ihnen so nahestehende Consistorium suchen und von der obern Instanz peremtorisch die Vernichtung des Bestätigungsbeschlusses verlangen.D. Red.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_096.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)