Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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wenn ihnen an dem neuen Familiengliede etwas gelegen sei. Natürlich hatte sich der Pechler eifrigst dagegen verwahrt; ihm war die für Nannei erlangte Genugthuung noch immer nicht hinreichend: er sah sie schon im Geiste in der vierspännigen Kutsche sitzen, mit dem bordirten Bedienten auf dem Bock und dem gemalten Wappen auf dem Kutschenschlage – er sah auf dem Straßenrand die Bauern, von denen sie verhöhnt worden war, wie sie dastanden, mit abgezogenen Hüten, die boshaften Gesichter vom Schmutze der Räder bespritzt. Er hatte nicht geruht, bis sie ihm endlich gestattete, an ihrer Stelle zum Baron Steinerling von Stein zu gehen, ihm die ganze Geschichte, wenn er sie noch nicht erfahren haben sollte, zu erzählen, ihm die gefundenen Beweisstücke zu zeigen und von ihm zu hören, wie er die Sache aufnehme und was er zu thun gesonnen sei. Diese Antwort sollte dann über Nannei's Zukunft entscheiden; wenigstens versprach sie dem Alten, vor seiner Rückkehr die Heimath nicht zu verlassen und überhaupt keinen entscheidenden Schritt zu thun.
Der Tag der Erbschaftsverhandlung auf dem Kogelhofe schien dazu der geeignetste; dort wollte Nannei ihn erwarten, dahin sollte er mit den Nachrichten kommen, wenn er nicht, wie er sich einbildete, gleich mit dem Baron angefahren käme.
Was Nannei am allermeisten beunruhigte, war, daß aller Wahrscheinlichkeit nach nicht vermieden werden konnte, Lenz zu begegnen. Ihm konnte ein solches Zusammentreffen unmöglich erwünscht sein, weil das Schicksal zur gleichen Zeit, in der es sie emporgehoben, ihn niedergeworfen – ihr selber schlug das Herz stark bei dem Gedanken, und sie wußte nicht, ob sie nach dem Geschehenen ihm gegenüber auf ihrem Groll beharren oder sich so benehmen solle, als ob zwischen ihnen gar nichts Besonderes vorgefallen sei. Es erschien ihr schließlich als das Klügste, sich so viel wie möglich zurückzuziehen und eine Begegnung ganz zu vermeiden. Hoffentlich ließ der Pechler nicht gar zu lange auf sich warten; dann hielt sie ja ohnehin nichts mehr an dem Orte fest, den sie für immer verlassen sollte und den noch einmal wieder zusehen sie doch mit geheimer Freude erfüllte.
Sie machte sich ein Vergnügen daraus, so weit es ohne aufzufallen möglich war, das ganze Haus in allen Räumen zu durchwandern und sich dort der bei fröhlicher Arbeit verlebten Stunden und Jahre zu erinnern. Es war wohl natürlich, wenn sie auch dem Stalle einen Besuch abstattete und aus diesem auf die Tenne trat, die jetzt mit weitgeöffnetem Thore die Balkenwände und Heulager in vollster Schmucklosigkeit zeigte, und doch von ihrer Erinnerung noch mit all den Kränzen des Festes behangen, das für sie einen so unseligen Ausgang gehabt hatte.
Nachdenklich stand sie einen Augenblick an dem Platze still, an welchem Lenz so keck gegen sie das Wort geführt hatte. Sie lebte den ganzen Vorfall in der Erinnerung noch einmal durch, und zwar so lebhaft, daß sie zuletzt glaubte, Lenz wirklich vor sich zu sehen. Allmählich nahm das Gedankenbild immer mehr Gestalt und Wirklichkeit an – wie aus einem Halbschlafe erwachend, fuhr sie erschreckt zusammen: denn Lenz stand leibhaftig vor ihr.
Vermutlich hatten ihn ähnliche Abschiedsgedanken dahin geführt, oder er suchte die Zeit bis zur Ankunft der Gerichtspersonen sich zu vertreiben und gleichfalls den Gaffern aus dem Wege zu gehen.
Auch Lenz gewahrte Nannei sofort, und wie sie, machte er eine halbe Wendung zur Flucht; aber sie blieben beide und standen sich eine Weile gegenüber, ehe ihnen die beklommenen Atemzüge Luft und Rede gestatteten.
Die geographische Forschung ist heute bereits in ein Stadium getreten, welches Reisenden wie Stanley es bald schwierig machen dürfte, ein bisher unbetretenes Gebiet zu finden, auf dem sich durch kühnes Vordringen allein noch Lorbeeren pflücken lassen. Zwar giebt es noch unzählige geographische Fragen, welche der Lösung harren, allein weitausgedehnte unerforschte Gebiete sind, außer in Asien und Centralafrika, nicht mehr vorhanden, und bald wird auch der Schleier, der das Herz des „schwarzen Continents“ noch verhüllt, gelüftet sein, denn Reisen und Forschen ist jetzt das Losungswort einer großen Schaar muthiger, wissenschaftlich gebildeter Männer. In unserer Zeit, in welcher eine Reise um die Welt für Jedermann, wenn er nur das nöthige Geld dazu hat, eine sehr einfache Sache ist, in der Vertreter von Völkern der entferntesten Erdtheile in unserer Mitte nur noch wenig Aufsehen erregen, in welcher außerdem durch Vorträge und populäre Zeitschriften aller Art, durch Museen und Privatsammlungen die Kenntniß von deren Gebräuchen und Sitten in die weitesten Kreise getragen wird – in einer solchen Zeit muß ein Forschungsreisender etwas ganz Außergewöhnliches leisten, wenn die allgemeine Aufmerksamkeit auf seine Person gelenkt werden, wenn sein Name in Aller Mund sein soll.
Professor Nordenskjöld hat als wissenschaftlicher Führer des schwedischen Expeditionsschiffes „Vega“ eine solche Leistung vollbracht. Ihm ist es gelungen, ein Unternehmen verhältnißmäßig rasch und ohne jeden Unfall glücklich zu vollenden, dessen Ausführung drei Jahrhunderte mit einem Aufgebot von großen Mühen und Kosten sowie mit Aufopferung einer reichlichen Zahl von Menschenleben vergeblich angestrebt, und welches noch vor wenigen Jahren Akademiker und hervorragende Geographen als ein unausführbares, unmögliches Beginnen bezeichnet haben. Er hat zum ersten Mal bei seiner Umseglung Asiens und Europas das sibirische Eismeer in seiner ganzen Erstreckung durchfahren, und die ganze civilisirte Welt feiert soeben die der Heimath zustrebenden Helden in gebührender Weise.
Freilich hat der Mann, dessen wohlgelungenes Portrait diesen Artikel begleitet, eine zwanzigjährige Vorbereitung, ein eifriges und eingehendes Studium der Polarregionen und die ganze Kraft seines eisernen Charakters, den weder vorübergehende Mißerfolge noch dadurch hervorgerufene Angriffe irre machen konnten, nöthig gehabt, um das große Werk auszuführen.
Adolf Erik Nordenskjöld ist am 18. November 1832 zu Helsingfors in Finnland geboren. Nachdem er in seiner Vaterstadt studirt, mußte er wegen einer bei der Promotionsfeier gehaltenen Tischrede, in welcher er dem Wunsche nach Wiedervereinigung seines engeren Vaterlandes mit Schweden lebhaften Ausdruck verliehen hatte, seine Heimath verlassen, um der ihm von Seiten der russischen Machthaber drohenden Verfolgung zu entgehen. Er wandte sich nach Stockholm, wo der junge Forscher, alsbald zum Professor der Mineralogie und zum Custos des mineralogischen Museums ernannt wurde; einem in späteren Jahren von seiner Vaterstadt erhaltenen Rufe, dort als Lehrer an der Universität zu wirken, konnte er, weil ihm die russische Regierung die Bestätigung versagte, nicht Folge leisten. Inzwischen hatte Nordenskjöld schon 1858 begonnen, sich an der Untersuchung der Polargegenden zu betheiligen. In diesem Jahre sowie 1861, 1864 und 1868 war er in Spitzbergen; 1870 forschte er in Westgrönland. 1872 wurde er Leiter der großen schwedischen Expedition nach Spitzbergen, welche er, vermittelst speciell zu diesem Zwecke mitgenommener Rennthiere, von dort aus weiter nach dem Nordpol zu führen hoffte. Allein das Unternehmen gelang nicht, und er mußte, ohne gegen Norden bedeutend vorgedrungen zu sein, nach einer Ueberwinterung zurückkehren.
Durch diesen Mißerfolg und durch die mannigfach herbe Beurtheilung, die seine Bestrebungen in Schweden fanden, keineswegs entmuthigt, wandte Nordenskjöld jetzt seine Thätigkeit einer anderen Seite der Polarforschung zu, aus der für ihn und die Mitwelt weitaus greifbarere und für das praktische Leben nutzbarere Resultate erstehen sollten.
Die Sucht nach Erwerb hat immer fördernd auf den Gang der geographischen Entdeckungen eingewirkt. So wurde bald, nachdem Magelhaens den Stillen Ocean zum ersten Mal durchkreuzt und damit erwiesen hatte, daß Columbus nicht, wie dieser selbst bis an sein Lebensende geglaubt, die Ostküste Asiens, sondern eine neue Welt entdeckt hatte, verschiedentlich versucht, das Wunderland China mit seinen Schätzen auf kürzerem Wege von Europa
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_092.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)