Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
|
Von Herman v. Schmid.
Lenz war über diese Wendung, über die ihm so kalt entgegentretende maßlose Kühnheit so ergriffen, daß er sich wie gelähmt vorkam und nicht gleich wußte, wie er an dem frechen Gaste sein Hausrecht zu üben vermöge.
„Und wenn Du wissen willst, was ich Deinem Vater gesagt hab: das kannst Du jeden Augenblick erfahren,“ setzte der Krämer mit höhnischem Auflachen hinzu. „Jetzt braucht’s kein Geheimniß mehr. Du hast doch gehört, was ich Deinem Vater vor seinem End’ für einen Antrag gemacht hab’? Damit Du aber siehst, wie gut ich’s mit Dir mein’, sag’ ich’s noch ’mal auch zu Dir: Nimm meine Tochter, heirath’ meine Philomena, und Alles soll gut, Alles vergeben und vergessen sein, und wir sind die besten Freund’.“
Lenz antwortete nicht; er kehrte ihm verächtlich den Rücken und riß die Stubenthür auf.
„Hinaus!“ rief er, losbrechend. „Da hat der Zimmermann ein Loch gelassen. Hinaus, wenn ich mich nicht vergreifen soll an Euch …!“
„Das ist recht, daß Du die Thür aufmachst,“ sagte der Krämer. „Es handelt sich nur um die Frage, wer hinausspaziert. Wer meinst Du denn eigentlich, daß Du bist? Du glaubst wohl, jetzt, weil der Alte seinen letzten Schnaufer gethan hat, Du bist der Erbe und der Herr aus dem Kogelhof? – Du bist der gar Niemand! Nichts als ein Knecht, ein Bettelbub’, den ich jeden Augenblick aus dem Haus’ jagen kann.“
Der Krämer hatte immer lauter geschrieen sodaß die ohnehin in der Nähe befindlichen Bewohner und Genossen des Hauses herbeigeeilt waren und nun durch die offene Thür neugierige Zeugen des traurigen Auftrittes wurden, der sich an der kaum kalt gewordenen Leiche ihres alten Herrn abzuspielen begann.
„Kommt’s nur Alle her!“ fuhr der Krämer fort. „Ihr müßt’s Alle doch einmal erfahren. Der Lenz ist wohl der Sohn vom alten Kogelhofer, aber der ist mit seiner Mutter nicht verheirathet gewesen, wie der Bub’ zur Welt gekommen ist, und die Mutter ist gestorben, ehe er sie hat heirathen können. Er ist also ein lediges Kind und hat nicht mehr Recht auf den Hof, als ein Spatz auf dem Schwanz davontragen kann! Alles mit einander gehört den nächsten Freunden, und der nächste Gefreundte bin ich.“
Ein Gemurmel ging durch die Menge, die sich immer vergrößerte. Mit Sturmesgeschwindigkeit hatte sich die Kunde von dem plötzlichen Tode des Kogelhofers in den nächsten Orten und Höfen verbreitet und aus denselben und von den Feldern weg die Leute herbeigerufen, um sich von dem Unglaublichen zu überzeugen und noch Unglaublicheres zu vernehmen.
Auch der Vorsteher war darunter und Viele von denen, die noch gestern dem Feste beigewohnt hatten und nun den Ort der Freude über Nacht in einen Ort der Trübsal und der Verwirrung verkehrt sahen.
Obwohl noch Niemand etwas Anderes wußte, als die einseitige Behauptung des Krämers, die offenbar zu seinen eigenen Gunsten gesprochen war, so waren doch die Meisten nur zu sehr geneigt, seinen Worten Glauben zu schenken. Das Ungewöhnliche wird von der Menge immer am liebsten geglaubt, zumal wenn es einem Reichen oder Mächtigen zum Nachtheil gereicht, dem man es wohl gönnt, daß es auch ihm nicht erspart bleibe, die Bitterkeiten des Lebens zu kosten. Gar mancher unter den Anwesenden fühlte sich von Schadenfreude gekitzelt, daß auf dem Kogelhof auch einmal das Unglück eingekehrt war; andere erkannten darin eine Bestätigung des alten Spruches, daß Hochmuth vor dem Fall komme, und auch an solchen fehlte es nicht, die dem übermüthigen Lenz eine tüchtige Lehre vollauf gönnten.
Ein Gerichtsdiener traf ein, im Auftrage des Landrichters, der in der Nachbarschaft ein Geschäft besorgte und von dem plötzlichen Todesfall gehört hatte. Er brachte einen Befehl desselben, die Leiche bis zu seiner Ankunft unberührt liegen zu lassen.
In Lenzens Natur mußte etwas vom Wesen seines Vaters liegen: das Blut drängte sich ihm fortwährend wie betäubend gegen den Kopf; sein Gemüthszustaud spottete vollends aller Beschreibung. Er wußte nicht, was er dem Krämer erwidern sollte; die Beschuldigung war auf ihn hereingestürzt, wie ein vom Dach auf den arglos Vorübergehenden herabfallender Stein, und der einzige Mund, der Klarheit zu schaffen vermocht hätte, war geschlossen auf immer. Lange Zeit saß er brütend, während es ihm im Kopfe sauste und brauste, als ob er sich unter einem Wasserfall befinde; wie willenlos ließ er sich endlich von Philomena aus der Stube geleiten, um sich in der frischen Luft zu erholen. Er hörte nicht Alles, was um ihn her gesprochen wurde, aber was er hörte, wäre zu anderer Zeit hinreichend gewesen, daß er sich auf die Spötter und Tadler gestürzt und sie mit seinen Fäusten zurecht gewiesen hätte.
Es litt ihn indessen nicht lange im Freien, aber bis zuVerschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_073.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)