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Seite:Die Gartenlaube (1880) 034.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


das ungesprochene Wort verstanden zu haben, denn das sonst so liebliche Gesicht nahm plötzlich einen kalten und fremden Ausdruck an; sie wünschte mir „Gute Nacht“, ohne aufzuschauen, und verließ das Zimmer. Allein gelassen, fing ich an, mir die bittersten Vorwürfe zu machen, lehnte mich aber dabei in die weichen Kissen zurück, suchte mein Gewissen zu beschwichtigen und schlief endlich sanft ein.

Zu derselben Zeit, als das Klosterglöcklein die frommen Schwestern zur Frühmesse rief, tönten von draußen Hornsignale und Trommelwirbel, ja sogar das Knattern von Gewehrfeuer. Der Posten vor dem Gewehr klingelte heftig an der Thür und eine Ordonnanz brachte mir den Befehl, die Besetzung des Klosters einigen Compagnien eines andern Regiments zu überlassen und mich selbst mit meinen Mannschaften zu den drei übrigen Compagnien des Bataillons heranzuziehen, die mit ihren Tirailleurs einen Gartenzaun unmittelbar an der Chaussee besetzt hatten. Die Compagnien, welche zu meiner Ablösung bestimmt waren, marschirten auch bereits auf den Klosterhof. Ich rief meine Mannschaft unter die Gewehre und gab die Commandos zum Abmarsch. An der Klosterpforte wandte ich noch einmal die Blicke zurück. Aus einem der unteren Fenster des Klosters fiel ein heller Schein. Ich sah die frommen Schwestern dort im Gebetsaale knieen; unter ihnen erkannte ich ganz deutlich Schwester Charitas, das sanfte, liebe Gesicht jetzt noch durch den Ausdruck der Andacht verklärt, der darüber ausgegossen lag. Ob sie vielleicht auch die Irrgläubigen in ihr Gebet mit einschloß? –

Bald gewannen andere Dinge um mich her für mich eine größere Wichtigkeit, als das Klosterleben mit seinen Bewohnerinnen. Noch dauerte das Schießen bei den Vorposten – wenn auch weniger lebhaft als bei Tagesanbruch – fort. Die Ursache desselben war leicht zu erklären. Baiern und Oesterreicher hatten ihren gewohnten Morgenbesuch wiederholt, waren aber diesmal in Folge des erwähnten Ultimatums des Generals Grafen von der Groeben beim Ueberschreiten der Brücke von Bronnzell mit Feuer empfangen worden, das sie auch ihrerseits erwiderten. Zur Zeit, als ich mit meiner Compagnie zu den drei anderen des Bataillons stieß, gingen unsere am meisten vorgeschobenen Vorpostenabtheilungen soeben durch unsere Avantgardenstellung zurück. Wir waren also jetzt die Nächsten am sogenannten „Feinde“ und erwarteten mit klopfendem Herzen den weiteren Angriff in der Voraussetzung, daß das bisher Geschehene nur die Einleitung zu einem ernsten Gefechte, vielleicht zu einer großen Schlacht gewesen sei. Um diese Zeit sah ich auch den ersten – und Gott sei Dank den einzigen – Verwundeten des Tages. Es war ein Schimmel, der mit gesenktem Haupte von einem Trompeter am Zügel auf der Chaussee zurückgeführt wurde. Die blutigen Spuren auf der Straße zeigten, daß er nicht ohne Blutvergießen das Feld geräumt hatte. Hätte ich geahnt, welche Bedeutung dieser Schimmel von Bronnzell dereinst in der Weltgeschichte gewinnen würde, ich hätte ihn mir doch noch näher angesehen; für jetzt begnügte ich mich, ihm einen fast neidischen Blick nachzuschicken. Denn soeben schienen die Dinge wieder eine ernstere Wendung zu nehmen. Die Köpfe der uns gegenüber ausgeschwärmten österreichischen Jäger tauchten hinter ihren Deckungen hervor. Eine Batterie rasselte an uns vorüber und nahm Aufstellung auf dem Hügel bei dem Klostergebäude. Im nächsten Augenblicke konnte vielleicht schon eine Granate in das Haus einschlagen, das mir über Nacht gastliches Obdach gewährt hatte, und die frommen Schwestern aus ihrer friedlichen Weltabgeschiedenheit vertreiben. Ein Courier jagte auf der Chaussee vorüber, mitten durch unsere Tirailleurlinie hindurch.

„Halt, halt!“ wurde er von verschiedenen Seiten angerufen.

„Depesche aus Berlin an Seine Excellenz den Grafen von der Groeben!“ rief er im Gefühle seiner Wichtigkeit, ohne auf den Zuruf zu achten, und hielt einen dick gesiegelten Brief in der Rechten empor.

Wer doch gewußt hätte, was in diesem Briefe stand! Wer wenigstens bei der Uebergabe zugegen gewesen wäre, um aus der Miene des Empfängers zu schließen, ob er Gutes brachte oder Unheil verkündete!

Wir Officiere durften natürlich unsere Plätze nicht verlassen, aber da stand unter uns unser Bataillonsarzt, nicht weniger wißbegierig als wir; er war nicht an den Platz gebunden und hatte überhaupt nichts zu thun. Der Doctor stieg also zu Pferde, und so wenig er sonst ein Freund scharfer Gangarten war, so zuckelte er doch in möglichst beschleunigtem Tempo hinter dem Courierpferde drein.

„Das hat nichts Gutes zu bedeuten,“ sagte er, als er nach einer halben Stunde zurückkehrte. „Der Graf hat die Depesche zuerst in die Tasche gesteckt und gar nicht gelesen. Als er sie dann hervorzog und las, machte er ein so langes Gesicht“ … dabei verlängerte der Doctor sein eigenes Gesicht kautschukartig, sodaß wir Umstehenden hell auflachen mußten. Hätten wir den Inhalt der Depesche gekannt, wir würden nicht gelacht, sondern ebenfalls lange Gesichter gemacht und eingesehen haben, daß dies die entsprechendste Illustrirung der Depesche wäre.

Bald darauf ritt der Obercommandirende mit dem Stabe an uns vorüber nach der Stadt zurück.

„Der General reitet nach der Stadt; dann ist die Schlacht zu Ende,“ so combinirten wir; dennoch blieben unsere Tirailleurs am Gartenzaun aufgelöst. Bürger aus Fulda kamen heraus und brachten uns die auf Veranstaltung des Obercommandos von ihren Frauen für uns gekochte Lieferung. Das gespannte Gewehr in der einen, den Kochlöffel in der anderen Hand, so gingen unsere Mannschaften zum Angriff auf die Mahlzeit, die ihrem kräftigen Appetit auch nicht lange Widerstand leistete. Ich warf einen sehnsüchtigen Blick nach dem Kloster, wo Schwester Charitas jetzt vielleicht einem Andern eine Stärkung darreichte; indessen sorgte mein Bursche, der meine Lieferung in einer Küche der Vorstadt, wie er mir sagte „unter Anleitung einer tüchtigen Köchin“, zubereitet hatte, dafür, daß auch mein Hunger gestillt ward.

Nach dem Essen ist der Mensch erfahrungsmäßig gemüthlicher und daher auch weniger blutdürstig, als vorher. Wir waren ganz zufrieden, als der Befehl kam, unsere seit der frühen Morgenstunde ausgeschwärmten Tirailleurs einzuziehen und in die Bivouacs einzurücken. Der Inhalt der oben erwähnten Depesche an den Obercommandirenden war aus dem, was nun folgte, leicht zu errathen. In der Nacht wurde der Befehl ausgegeben, daß mit Tagesanbruch die Truppen die Gewehre entladen und, ohne Spiel zu rühren, durch Fulda zurückmarschiren sollten, um zunächst die preußische Etappenstraße in Kurhessen bei Hersfeld zu besetzen. Dem ersten Schritte rückwärts folgten andere, eine anschauliche Illustrirung zu dem um diese Zeit in der preußischen Kammer gefallenen geflügelten Worte: „Der Starke weicht muthig zurück.“

Es kam eine trübe Zeit, in welcher wir lernten, daß es für den Soldaten noch eine schwerere Aufgabe giebt, als im Sturme der Schlacht das Leben in die Schanze zu schlagen oder auf leuchtenden Siegesbahnen vorwärts zu stürmen. Viel ist in dieser Zeit gefehlt und geirrt worden nach rechts und links, im Süden wie im Norden, aber wir haben aus unsern Irrthümern gelernt und unser wahres Ziel nicht aus dem Auge verloren. So bildet denn auch diese Zeit nur ein Stadium in der Entwickelungsgeschichte unseres Volkes zur nationalen Einheit. Wohl uns, daß wir jetzt – ein volles Menschenalter später – von dem erreichten Ziele leichten Herzens auf die durchmessene Bahn zurückblicken können!




König Friedrich Wilhelm der Erste und die Akademie der Wissenschaften in Berlin.
Von O. Mohnike.
(Schluß.)


Durch den Tod von Gundling's hatte die Akademie der Wissenschaften ihren Präsidenten verloren, und dem Könige lag ob, einen neuen zu ernennen. Friedrich Wilhelm aber konnte und wollte sich diese Gelegenheit nicht nehmen lassen, seine Geringschätzung für die Akademie und ihre Bestrebungen zum Ausdruck zu bringen.

Kurz vorher hatte nämlich ein Graf von Stein zu Morgenstern, der in ähnlicher Weise, wie nach ihm Swedenborg und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_034.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)