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Seite:Die Gartenlaube (1880) 031.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


leistungsfähigen Besitzern des Elendsbezirks mannigfach nicht gethan wird, was zunächst von ihnen zu einer kräftigen Bekämpfung des haarsträubenden und himmelschreienden Jammers gethan werden müßte.[1]




Wie ich den Schimmel von Bronnzell kennen lernte.
Von Fedor von Köppen.


Zwei und ein halbes Jahr trug ich die Epauletten, ohne den Dienst in einer Friedensgarnison aus Erfahrung zu kennen. Die meisten Regimenter, welche der Sturm des Jahres 1848 aus ihren Friedensgarnisonen aufgestört hatte, waren zu ihrem Alltagsdienstleben zurückgekehrt, wir aber standen noch auf dem Kriegsfuße in dem friedlichsten aller deutschen Länder, in Mecklenburg, wo wir gewissermaßen eine beobachtende Stellung einnahmen zu dem Kampfe, der zwischen Schleswig-Holsteinern und Dänen soeben von Neuem ausgebrochen war. Trotz unseres mobilen Zustandes hatten sich indessen auch bei uns die alten Friedensgewohnheiten wieder eingeschlichen. In unseren Cantonnementsstädten wurde exercirt, Parademarsch geübt und Instructionsstunde gehalten wie im Frieden. Der Packgaul, welcher eigentlich die Bestimmung hatte, der marschirenden Compagnie die nöthigsten Effecten – die Bücher des Feldwebels, das Handwerkszeug für die Flickarbeiter der Compagnie, einige Krankendecken für Mannschaften, die Mäntel und die Feldmenage der Officiere – auf seinem Rücken nachzutragen, hatte jetzt den edleren, wenn auch nicht ganz reglementsmäßigen Beruf erhalten, den Officieren als Reitpferd zu dienen, und da ich längere Zeit hindurch der einzige Officier der Compagnie war, so benutzte ich diese Gelegenheit zu Ausritten in die Nachbarschaft und zu Besuchen bei den gastfreien Gutsherren der Umgegend, besonders da, wo liebenswürdige Töchter die Reize des Hauses erhöhten. Es war wieder Herbst geworden; ein Heimwehzug ging durch die ganze Natur, und auch in unseren Herzen regte sich neben den kriegerischen Gelüsten das leise Sehnen nach der lieben Heimath, von der wir nun schon so lange entfernt waren.

Als ich an einem der letzten Octobertage 1850 von einem Spazierritte auf dem Packgaul in unser stilles Cantonnementsstädtchen Rehna zurückkehrte, fand ich dieses in einer ungewöhnlichen Aufregung. Die Straßen waren belebter als sonst, die Quartiere des Feldwebels und des Capitaine d’armes von Soldaten umlagert. Der Bursche kam mir im Eilschritt entgegen mit der Meldung: „Herr Lieutenant, in einer Stunde wird ausmarschirt; ich habe unsere Sachen bereits gepackt.“

Näheres war nicht zu erfahren; denn auch die Marschordre nannte nur das nächste Ziel des Marsches, nämlich die Eisenbahnstation Hagenow. Auch wurden wir darauf hingewiesen, uns mit Mundbedarf für eine längere Eisenbahnfahrt zu versehen.

Wir hatten beinahe sieben Meilen bis Hagenow zu marschiren. Der Mond ging auf, als wir abzogen, und der Tag brach an, als wir in Hagenow ankamen und die auf dem dortigen Bahnhofe bereit stehenden Wagen eines Extrazuges bestiegen. Bei dem raschen Wechsel unserer Umgebungen wußten wohl die wenigsten von unseren Mannschaften, wo sie waren, als wir in der Abendstunde auf dem Hamburger Bahnhof in Berlin einfuhren und uns beim Schein der Gaslaternen in Reih und Glied zum Einmarsch rangirten.

Unserer Compagnie ward die Ehre zu Theil, bei dem Chef unseres Regiments, dem Prinzen von Preußen, die Fahne abzubringen. Als wir vor dem Palais aufmarschirt standen, trat der Prinz heraus und ging die Front der Compagnie herunter, jeden Mann scharf musternd, als wollte er ihm ansehen, wie ihm die sieben Meilen Marsch und die Eisenbahnfahrt bekommen wären. Nachträglich erfuhren wir, daß der Prinz der „Siebenmeilen-Compagnie“ ein ansehnliches Geschenk aus seiner Schatulle gewährt hatte.

In der Frühe des andern Morgens standen wir wieder auf dem Anhalter Bahnhofe zur Weiterfahrt bereit. „Nach Thüringen“, sagte man, ginge die Fahrt, was aber der Grund zu dieser mit so auffallender Hast betriebenen Reise war, darüber zerbrachen wir uns vergeblich die Köpfe. Wir hatten zwar auch in Mecklenburg Zeitungen zu Gesicht bekommen und von der zwischen Preußen und Oesterreich herrschenden Spannung gelesen, aber wir betrachteten den Notenwechsel zwischen der preußischen und österreichischen Regierung oder vielmehr zwischen den Ministerien Brandenburg-Manteuffel und Fürst Schwarzenberg für nichts Anderes, als für einen gegenseitigen Austausch von Höflichkeiten in der damaligen Sprache der Diplomatie.

Ein ganz anderes Gewicht hatte für uns die Ansprache, welche der Prinz von Preußen auf dem Bahnhofe beim Abschied an die Officiere richtete. „Es gilt zwar einen Kampf gegen deutsche Brüder,“ sagte er unter Anderem, „aber das ist gleich, wo es die Ehre Preußens gilt.“

Also doch einen Kampf gegen deutsche Brüder! – Es war die Zeit des hessischen Verfassungsstreites, welchen der große Staatsmann unserer Zeit als einen „Sturm auf dem Glase Wasser“ bezeichnete. Der Kurfürst hatte sich und seinen Minister Hassenpflug unter den Schutz Oesterreichs und der diesem befreundeten Staaten – Baiern, Württemberg etc. – gestellt. Preußen aber, das noch immer an der Chimäre der „Union“ einer Anzahl deutscher Staaten unter seiner Führung festhielt, wollte eine Intervention Oesterreichs in Kurhessen nicht dulden und nahm die verfassungstreue Bevölkerung unter seinen Schutz. Während der Einmarsch eines österreichisch-baierischen Corps in Kurhessen von Süden her täglich erwartet wurde, zog Preußen ein Corps in den thüringischen Ländern zusammen, um jenem den Weg nach Kassel zu verlegen. So belebend nun auch die Worte des Prinzen, welche auf einen nahe bevorstehenden Krieg hindeuteten, auf uns wirkten, so schien uns doch mancher Widerspruch damit nicht gelöst. Es däuchte uns wunderbar, daß Preußen, welches die Kaiserkrone soeben verschmäht hatte, um einen Conflict mit Oesterreich und den mit ihm verbündeten deutschen Regierungen zu vermeiden, jetzt um der Union willen zum Schutze der hessischen Verfassung das Schwert ziehen sollte. Und wenn wirklich ein ernster Krieg bevorstand, warum zögerte der König, an den Heerschild zu schlagen und die gesammte preußische Armee unter die Waffen zu rufen, wie dies sonst in Preußen Brauch und Sitte war? so fragten wir. Glücklicher Weise hatten wir uns über das Warum nicht die Köpfe zu zerbrechen, sondern uns nur an die Thatsachen zu halten und auszuführen, was befohlen ward. Thatsache aber war, daß wir mittelst Extrazuges über Erfurt nach Eisenach fuhren und von dort sogleich den Fußmarsch, an der beschneiten, alten Lutherwarte vorüber, nach den thüringischen Walddörfern an der hessischen Grenze antraten. Hier sollten wir einstweilen Cantonnements beziehen und uns bereit halten, auf die Nachricht von dem erfolgten Einmarsche der Oesterreicher sofort von der andern Seite gleichfalls in Hessen einzurücken. Auf den Vorhöhen des Rhöngebirgs waren Fanale aufgepflanzt, die uns durch ihr Leuchten bei Nachtzeit oder durch ihren Qualm bei Tage sogleich in Kenntniß setzen sollten, wenn die Oesterreicher und Baiern die Grenze überschritten.

Ich hatte nur wenige Tage in dem Schulhause eines thüringischen Dorfes, das bei seiner Abgelegenheit von der großen Straße wohl weder von Geschäftsreisenden noch von Touristen jemals besucht wird, zugebracht; da sah ich eines Nachts einen hellen

  1. Wir geben diese Beobachtungen und Bemerkungen eines schlesischen Augenzeugen, ohne damit die Erörterung der furchtbaren Calamität irgend für erschöpft und das Urtheil darüber für abgeschlossen zu halten. Die bis jetzt veröffentlichten Berichte widersprechen noch mannigfach einander in Betreff der thatsächlichen Angaben. Der preußische Finanzminister hat in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 19. December vier Kreise: Ratibor, Kosel, Rybnik und Pleß als die einzigen bezeichnet, in denen ein wirklich allgemeiner Nothstand herrsche, wogegen er in den Kreisen Lublinitz und Gleiwitz nur ein vereinzelter sei. Die obigen Mittheilungen unseres Berichterstatters schildern aber gerade das Elend des Lublinitzer Bezirks als ein großes und bedrohliches und auch anderweitige Privatberichte neuesten Datums bestätigen dies, indem sie zugleich auf die „Schönfärberei“ der officiösen Blätter hinweisen, namentlich den Gesundheitszustand der Bevölkerung für besser auszugeben, als er sei. Andererseits lauten wieder in Betreff der Hüttendistricte manche Nachrichten weit weniger beruhigend und hoffnungsvoll, als die vorstehenden Angaben.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_031.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)