Verschiedene: Die Gartenlaube (1880) | |
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No. 1. | 1880. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.
Nachdruck verboten.
Uebersetzung vorbehalten. |
Erzählung aus dem oberbairischen Gebirg.
Von Herman v. Schmid.
Der Einödhof zum Kogelbauern, der irgendwo in den oberbaierischen Bergen liegt, führt seinen Namen nicht umsonst.
Unmittelbar hinter dem Hause, das sich rückseits an eine breite, steilabfallende Felswand lehnte, als wenn es von derselben Schutz und Sicherheit erwartete, thürmte das Gestein sich zu einem hohen Gipfel empor, der im Munde des Volkes durch eine eigenthümliche Umbildung des Wortes Kegel als Kogel bezeichnet wurde. Das Haus selbst mit seinem doppelten, breiten Laubengang an dem obern, mit der hohen, fest geschlagenen Gräd[WS 1] um das untere Stockwerk lag auf einem grünen Grashange, als wäre es – nach einem Lieblingsausdrucke des Volkes – in eine Krippe[WS 2] hineingestellt. Ueber das kurze, duftige Gras erhoben sich einige schöne Bäume, besonders ein paar stattliche alte Linden, wie sie nach alter Sitte wohl bei keinem einzelnen Bauernhofe fehlen, und um den Anger herum, wie eine Einfassung, standen große hochgewachsene Kirschbäume, deren kleine Früchte sich eben hochroth zu färben begannen. Unter ihnen duckten sich niedrige Zwetschgensträucher; ihr Wuchs und die moosbedeckte Rinde ließ erkennen, daß ihr Standpunkt doch wohl zu hoch und kühl gelegen war, wenn auch der Kogel gleich einem riesigen Schirm die kältesten Windstriche abhalten mochte. Die Umgrenzung des Hofes nach der einen Seite wurde von einem Wäldchen gebildet, dessen alten hochstämmigen Fichten man es ansah, daß sie zu den Lieblingen des Besitzers gehörten und als solche in jeder Weise geschont wurden; nach der anderen Seite senkte sich der Abhang rasch einer beträchtlichen Tiefe zu, über deren von allerlei Sträuchern eingefaßten Rand hinweg sich eine weite Aussicht auf ein unten liegendes schmales Bergthälchen öffnete. Zwischen den Tannen desselben blitzte der blaue Spiegel eines kleinen Sees herauf; gegenüber bauten sich waldige Bergzüge über einander empor wie Stufen zu dem kahlen, langgestreckten grauen Felsengrate, der, die ganze Gegend beherrschend, sich wie ein behelmtes Riesenhaupt ansah; wohl eine geringere Einbildungskraft als die des sagenfreudigen Volkes hätte hingereicht, in den Linien desselben etwas wie die Züge eines menschlichen Angesichts, eines zur Hut für die ganze Gegend bestellten Wächters, zu erkennen, und so war es wohl zu erklären, wenn das Volk ihn den Wachterkopf nannte.
Der Kogelhof hieß also mit Recht eine Einöde; waren doch die zerstreuten Ansiedelungen anderer Bergbewohner stundenweit von ihm entfernt, und wenn die Insassen des Hofes Sonntags zu Hochamt und Predigt in die Pfarrkirche wanderten, mußte Einer schon ein gewandter Steiger sein, sollte er den Weg in anderthalb Stunden zurücklegen.
Mit der Oede und Einsamkeit war dem ländlichen Wohnplatze auch das Gepräge der Ruhe und Stille aufgedrückt. An gewöhnlichen Tagen war in und um denselben kein anderer Laut hörbar, als das Läuten der Kühe, die mit ihren dumpfen und doch wohlklingenden Schellen und Glocken auf den Abhängen weiden gingen, als der Ruf des Haushahnes, der sein weibliches Gefolge zusammenkrähte, der Schrei eines Geiers, der spähend über der Halde hing, oder der Ruf eines Raben, der bei eintretender Dämmerung seinem Waldneste zuflog. Mitunter klang wohl auch Jauchzen und Jodeln aus menschlicher Kehle über die Gegend hin, daß diese aufzuhorchen schien, wie verwundert über die Stimme, die ihr plötzlich geworden.
An einem Tage des beginnenden Herbstes, als bereits die Dolden der Vogelbeeren mit den Hagebutten an den Rosenwildlingen wetteiferten, sich lebhafter zu röthen, als die kälteren Nächte schon die Schlehen und die Beeren des Wachholders tiefer blau überhauchten, war der Ort äußerlich wohl derselbe, aber die Stille wie die Einsamkeit schien aus ihm gewichen zu sein. Von Zeit zu Zeit, vom Widerhall an den Bergen hin und her geschleudert, rollte der Knall von Schüssen durch die herbstlich klare Luft und verkündete, daß im Gehege der Berge die Jagdlust ihren Einzug gehalten und sich aufgemacht habe, den Berghirsch in den Wäldern aufzusuchen und der Gemse bis an ihre Felszinnen nachzuklettern. Wer aus dem Fichtenwäldchen trat, konnte schon von Weitem auch im Kogelhofe und dessen Umgebung eine ganz ungewöhnliche Bewegung bemerken; die Bewohner liefen eilfertig hin und wieder, als hätten sie einen besonderen Anlaß, die gewohnten ruhigen Geschäfte und Arbeiten des Tages bei Seite zu legen. Dazu ertönte manchmal vom Hofe her etwas wie fröhliches Lachen und Gesang, der sich aber nicht blos nebenher um die Arbeit rankte wie der Epheu um den Stamm, der nicht blos Schmuck oder flüchtige Verzierung war, sondern eine Hauptsache und eine eigene Thätigkeit für sich bildete.
An der Rückseite des Hauses führte über eine Quermauer ein Hochweg nach der Scheune, nicht eben von besonderer Breite; denn der Ertrag der wenigen Haberfelder, welche in der hohen
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_001.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2017)