Verschiedene: Die Gartenlaube (1879) | |
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„Nicht mehr sprechen?“ fragte Josephine erschrocken und gewann, ihn scharf anblickend, nun erst das Bewußtsein davon, wie sehr er sich verändert hatte.
Pranten, der ihre Bestürzung in den Mienen las, nickte wieder und sagte: „Es geht zu Ende. Für mich giebt es nicht die trügerischen Hoffnungen gewöhnlicher Schwindsüchtler; ich bin Arzt – nur absichtlich könnte ich mich täuschen. Vor der Nacht ist’s wohl vollbracht. Das reimt sich sogar. Und wohl mir: der meinte es nicht gut, der mein Ziel weiter steckte. Aber nicht daran wollen wir denken; ich habe Dir noch viel zu sagen, Dich so Vieles zu fragen.“ Er hielt erschöpft inne; seine Finger strichen zitternd über die Decke hin. „So hast Du mir auch vergeben,“ fuhr er fort, „daß ich in dem Garten –“
„Nicht ich habe zu vergeben,“ unterbrach sie ihn erschüttert. „Du, nur Du! Und könnte mein Herz jetzt offen vor Dir liegen, Du müßtest nachsichtig mit ihm sein: es hat unsäglich um Dich gelitten. Nicht jetzt erst; was bedeuten Tage? So lang ich von Dir bin, so lange fehlte mir jedes Glück. Die Anderen sprachen mir wohl zu und verstanden Alles zu wenden; ich wußte auch nicht, wie ich Dir helfen sollte, da es stets nur das Eine gewesen, was Du fordertest, und ich mich trotz heißesten Verlangens da nicht hinfand – aber Frieden fand ich ebenso wenig. Felix, gieb ihn mir wieder! Du allein kannst es, Niemand, Niemand sonst.“
„Fasse Dich, Josephine!“ bat er. „Ich will Dir ja geben, Alles, was Dir Bedürfen scheint, und noch viel mehr. Das gebietet mir ja schon das Herz, das Dir immer nur Dank schuldet für jene unvergeßlich holde Zeit, in der es leben durfte. Die Tage, da es begann, könnte ich Dir herzählen, die Tage des Glückes – auch das Ende: ich habe in nichts Anderem gelebt, all’ die Zeit her. Sie werden Dir in Cleebronn sagen, ich wäre gleich dem Vater geworden, ein Trinker – Josephine! Glaube ihnen nicht! Nur wenn ich fühlte, wie der Wahnsinn die kranke Brust heraufkroch, dann mußte ich trinken. Das betäubte; zuletzt freilich gab es eine Gewohnheit. Aber daran sterben, wie es mit dem Vater ging – das ist nicht mein Fall. Von je lag etwas Schwächliches, so eine Art Giftkeim, in mir; der ist ausgeartet – in die Zehrung, sagen sie in Cleebronn. – Ich sterbe ganz natürlich; zeuge für mich. Ah! Oder laß sie auch hecheln und klatschen – nach Herzens Gefallen! Wenn man erst seine Bretter und Brettchen so nahe weiß – Du glaubst nicht, welche Ruhe das giebt, welche vornehme Ruhe.“
„Mein armer, theurer Freund!“
„Dein Freund! Hätte ich mir daran genügen lassen! Ich konnte es nur nicht, wie Du das Andere nicht konntest. So klar liegt jetzt Alles zurück – der ganze schwüle Weg. Wir sind aber nicht schuldig. Etwas über uns hat es so gewollt. Eine traurige Macht! So manches Gute lag wohl in mir, hätte noch Vielen zum Heile werden können – es sollte nicht sein. Unserem guten Alten wurde es recht schwer, mich fortzujagen.“ Pranten lächelte vor sich hin; dann fuhr er in demselben allmählich leiser gewordenen Tone fort: „Doch ich selbst mußte ihm neulich Recht geben; zu heillos wurde die Unordnung, und für die Klinik paßte ich schon gar nicht mehr. Sprichst Du ihn einmal, so danke auch ihm noch! Ueberlange hat er mich zu halten gesucht. Die Krankheit, meine Krankheit – es ging eben nicht.“
Er schwieg. Josephine vermochte nur mühsam ihre Fassung zu bewahren; mit zärtlicher Hast strich sie ihm das Haar aus der Stirn.
„Wie mein Vater zu thun pflegte, wenn ich krank lag,“ sagte er und zog ihre Hand an die Lippen. „Schon als Kind war ich viel krank, und es saß nur die Magd bei mir; aber mein Vater trat stets an’s Bett, bevor er ausging. – Nun ich Dich so vor mir sehe, jeden, auch jeden der geliebten Züge wiederfinde, nun ist es wie etwas Undenkbares, daß ich mich neulich so vergessen, Dir so weh thun konnte.“
„O, laß das! Ich weiß es nicht mehr.“
„Aber ich weiß es und erinnere mich wohl, woran es lag. Daß ein Anderer bei Dir war, glaubte ich damals nicht ertragen zu können; was bedeutet das heute noch? Wer war der Mann? Ist er Dir lieb? Viel lieber als ich?“
„Es ist ein Baron Reichenau, ein Verwandter von Adelheid. Nahe, wie Du es meinst, steht er mir nicht und wird es niemals –“
„O, nicht so! Verschwöre nichts, was vielleicht einmal schwer fiele zu halten! Du hast einmal solch zartes Gewissen: wie Du Dich mir gegenüber schuldig fühlst, wo Du so ganz schuldlos bist, könntest Du dereinst auch zögern, Deinem Herzen sein Leben zu gönnen, weil ein Todter dazwischen stände. Das soll, das darf nicht sein. Ich habe es immer für bare Teufelei, für unsern einzigen Geisterspuk angesehen, wenn solch Menschenwurm den Egoismus so weit treibt, selbst im Grabe noch das Schicksal von Lebenden sein zu wollen. Du bist viel zu hold und gut, als daß Du an solchem elenden Gesellen, wie ich es bin, zu Grunde gehen dürftest. Ich bitte Dich sogar herzlich, vergiß mich bald – mir wird ja so wohl sein. Du hast schon zu lange getrauert – nun in’s volle, herrliche Leben! Es kann unsäglich beglücken; traue mir darin! Auch denke immer, je glücklicher Du Dich fühlst, je seliger fühlt sich der todte Freund. Dein Glaube verheißt ja Unsterblichkeit! Ich bin nicht mehr eifersüchtig: das liegt so in der Art – im Leben schwach, im Tode stark.“
„Felix, laß von den Gedanken! Du rufst den Tod. Wir bringen Dich zu uns; ich will Dich pflegen; noch bist Du nicht so kraftlos. Deine Hand zittert nicht mehr; die Wangen haben sich geröthet.“
„Das ist ein böses Roth. Doch was ist da böse? Gedankenlos bis zuletzt! Ach!“
Er fuhr mit der Hand nach der Brust, indem er schwer und kurz aufathmete. Josephine faltete die Hände und blickte besorgt auf den mit geschlossenen Augen Daliegenden. Jetzt sah auch sie, daß sich über seine Züge schon etwas gebreitet hatte, was kaum mehr weichen konnte; vielleicht war sogar der Tod nahe. Angstvoll blickte sie umher, dachte schon Hülfe herbeizurufen – da schlug Pranten die Augen auf. Er versuchte zu lächeln und sagte, indem er sich auf die Seite stützte: „Tritt einmal an’s Fenster! Drüben links die hohen Bäume, siehst Du sie?“
„Eine Allee?
„Eine Kastanienallee; da ist unser Kirchhof.“
Josephine eilte an Pranten’s Lager zurück, und rief seine Hand unter Thränen an sich drückend: „Sei nicht so grausam!“
„Das bin ich nicht,“ erwiderte dieser, während seine Blicke starr am Fenster hafteten. „Da es der Zufall neulich so fügte, daß ich an dem Kirchhof entlang ging, warum hätte ich nicht eintreten sollen und mir die Stelle ansehen, die bald die meine sein wird? Zuletzt bezieht Jeder sein eigen Haus, wer auch nie eines besessen hat, pflegte unsere Marthe zu sagen. Auf die Nummer, welche daran ist, besinne ich mich nicht mehr, die Stelle ist aber leicht zu finden und so heimlich und in Frieden. Ich möchte nun nirgend anders hin; man muß sie im Voraus lieb haben. Die Kastanienallee links hinunter, nur ein Stückchen – da liegen die frischen Gräber alle bei einander; die beiden letzten sind recht öde; keine Blume, kein Zweig, nur das schwarze Täfelchen mit den Nummern! – Die armen Teufel, die darin schlummern, mögen keinen Verwandten zurückgelassen haben oder starben in der Fremde. Ich sterbe in der Fremde und lasse Niemand zurück.“
Josephine drückte seine Hand fester, indem sie ihm flehend in die Augen sah; er lehnte sich zurück und strich sanft über ihren Scheitel.
„Ich habe Unrecht: lasse ich doch Dich zurück, und Du wirst meiner freundlich gedenken, mir auch einmal eine Blüthe bringen. Jene Gräber hatten etwas Trauriges. Nur ein großer Busch Mondblumen steht ihnen zu Häupten. Ich mußte weinen, als ich sie sah; schon als Knabe liebte ich diese Blumen und ging immer, wenn sie blühten, mit dem einzigen Freunde, den ich gehabt, bis weit hinaus vor Cleebronn, wo sie an einem Berghang standen. Oft pflückten wir sie im Mondenschein und hatten dann wunderliches Hoffen in der Brust. Ob es ihn trog, ich weiß es nicht – Aber Du wirst meines Sprechens müde sein; ich hatte nur so lange mit Niemandem geplaudert und gerade zuletzt – willst Du gehen?“
„Nein, Felix! Es zerreißt mir nur das Herz, Dich von dem Allen mit dieser entsetzlichen Gewißheit sprechen zu hören.“
„Du bist meine starke Josephine. Und sage Dir immer, daß ich sehr müde war und gern geschieden bin, unsäglich gern, seit Du mich angehört, mir vergeben hast, was an Fehl- und Mißverstehen in mir gewesen ist. Aber hörst Du?“ er richtete sich auf, „da schleift es auf dem Gange her; sie schleppen etwas – wohl das Bett für den Andern, der noch hierher soll. Oder –
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 732. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_732.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)