Verschiedene: Die Gartenlaube (1879) | |
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wie ich; warum also hängen Sie über Ihre Worte noch Fetzen, die für alle Anderen recht und gut sind, aber für uns nicht? Wenigstens ich stelle Sie so hoch, daß ich, wonach Sie auch frügen, nach treuestem Wissen und Denken Antwort geben müßte. Nicht wahr, ein Verlorener, ein – – Trunkenbold ist mein Vater vor Ihnen geheißen worden, unser Haus – – ah! Ich peinige Sie, und doch müssen Sie da erst in Allem klar sehen, ehe ich wagen darf, von mir selbst zu sprechen.“
„Ihre Eltern sind ja todt.“
„O, ich danke Ihnen für den Trost, den Sie mir mit dem Worte geben wollten! Ich will mich auch kurz fassen. Meine Eltern paßten nicht zu einander; in Nichts. Mein Vater war in seiner Jugend ein schöner, dabei so recht von Herzen fröhlicher Mann; ‚unser Glückskind’ – nannte ihn die Familie; meine Mutter hat stets etwas Finsteres, Abgeschlossenes gehabt und war so häßlich wie ich. Aber sie besaß Vermögen, wurde von einer Art von Leidenschaft für meinen Vater ergriffen; kurz und gut, sie errang ihn sich, wohl nur, weil er von grenzenloser Herzensgüte war. Kaum verheirathet, soll denn auch bereits das gegenseitige Mißverstehen begonnen haben; meine Mutter quälte sich und den Vater mit völlig ungegründeter Eifersucht. Meine Geburt half in Nichts, da ich die Mutter nicht zu fesseln vermochte; ich glaube, sie hat mich vom ersten Blicke an gehaßt, gehaßt um meiner Häßlichkeit willen, die ich doch allein von ihr geerbt; so wunderlich sind Menschenherzen, Fräulein Josephine! Ich habe sie oft Tage lang nicht gesehen, nie, in Wahrheit nie ein freundlich Wort von ihr gehört, und sie starb erst, als ich dreizehn Jahre alt war. Dreizehn Jahre alt zu werden neben einer Mutter und doch ohne Mutterliebe, selbst nicht einmal mit einfacher Gerechtigkeit behandelt, das hätte schlecht machen können, wäre mir nicht etwas vom warmen Herzen des Vaters vererbt worden, hätte der nicht versucht, mir zu sein, was meine Mutter mir nicht war. Wenigstens in jener Zeit, wo er noch nicht – trank – es muß gesagt werden. Ja, im Glase suchte er endlich Frieden und fand ihn. Das ist die Geschichte meiner Eltern. Als sie todt waren – mein Vater starb drei Jahre nach der Mutter im Stadtlazareth – auf Stroh, nahm mich die einzige Schwester des Vaters, welche Josephine wie Sie hieß, auf; sie ließ mich später von ihrem kümmerlichen Wittwengehalte, da alles Vermögen der Eltern aufgebraucht war, studiren. So bin ich erwachsen, aus solchem Erdreich hatte ich meine Nahrung zu saugen – nicht wahr, ein halbes Wunder, daß noch ward, was geworden ist? Viel ist das freilich immer nicht, unbedingt nicht so viel, daß ich mit einer Art von Berechtigung nach Der verlangen dürfte, welche dennoch in meinen Gedanken war von dem Augenblicke an, wo ich sie gesehen, und zu der ich wie zu nie Erreichbarem emporblicke, seit das Liebe, Holde ihres Wesens sich in all seinem Reize vor mir aufgethan.“
Er verstummte und sah mit heißer Inbrunst auf Josephine, deren Antlitz sich in raschem Wechsel in Röthe tauchte und wieder erblaßte. Sie hatte ihm bewegt zugehört; das tiefe Mitleid, welches sie vom Beginne seiner Schilderung an empfunden, war nach und nach gleichsam in ein Dürsten übergegangen, an ihm gut zu machen und ihm die verlorene Jugend mit an ihrem Glück durch innigste Theilnahme zu ersetzen. Und diese Theilnahme hatte sich endlich so offen in ihren Zügen ausgedrückt, daß Pranten, davon hingerissen, die Wendung gewagt, mit welcher die Schilderung seines Vaterhauses schloß.
Nun die Worte gefallen, vermochten aber weder sie noch er augenblicklich darüber hinwegzukommen. Die Pause wurde länger, immer drückender – da sprang Pranten plötzlich auf und rief: „So ist es mir denn wieder beschieden! Damals wollte, konnte es mein Knabenherz nicht fassen, daß es seiner Mutter Liebe nicht erringen sollte; es bettelte bis zu ihrem Tode – umsonst! Heute bin ich ein erwachsener Bettler; sonst ist nichts anders. Dasselbe Umsonst!“
Josephine, die sich gleichfalls erhoben, fand kein Wort des Erwiderns, nur ihre Hände streckten sich wie von selbst ihm entgegen, als müßten sie ihn beschwören, inne zu halten. Und Pranten’s Herz begriff im Augenblick, was diese Bewegung Alles gestand; mit einem Jubelruf die Hände ergreifend, bedeckte er sie mit Küssen. Sie litt es still; erst nach einer Weile, als irgendwo Stimmengewirr laut wurde und sie danach lauschen wollte, mußte sie den Kopf von Pranten’s Brust erheben. Dieser aber drückte ihn wieder leise zurück und flüsterte:
„Es ist über uns; wir sind noch allein, allein, mein Lieb. Habe ich Dir denn schon gesagt, daß Du mein Lieb bist? Das Süßeste auf dem Erdenrund! Laß mich wieder Deine lieben Augen küssen – ich meine, das müßte sehend machen. Unser großer Meister rührte die Augen an – und Blinde sahen; sollte Liebe, unendliche Liebe nicht dasselbe können?“ Er strich sanft über ihre Lider. „Sieh auf! Siehst Du mich?“
„O lästere nicht!“ bat Josephine zusammenschauernd.
Pranten ergriff ihre Hände wieder: „Du hast Recht; vergieb es der Liebe! Sie weiß ja nicht, was sie für Dich thun möchte, wie sie Dich tragen und wahren soll, was für Dich erdenken! Alles glaubt sie zu können, Alles. Und sie wird Dir ist der That das Köstliche schenken dürfen – traue mir: Du wirst wieder sehen. Ob auch heute nicht, oder morgen, kommen muß der Augenblick; o, der Tag, die Stunde – wäre sie erst da! Eine große Kraft fühle ich nun in mir. Das Schwerste will ich so ruhig wagen, wie bei jedem Fremden. Neulich dachte ich schon darüber nach, und damals wußte ich nicht, ob ich es vermögen würde, ob mich nicht Zagen überfallen möchte oder gar Zittern – nun, da Du mein bist, da ich weiß, daß ich gleichsam für mich selbst handle – sind wir doch fortan Eins! – nun wird die Hand sicher wie immer sein. Und meine Hand ist eine glückliche, Josephine. Aber Du hörst mich nicht?“
„Alles hörte ich, Alles! Ich war ganz bei Dir. Ich mußte nur darüber nachdenken, ob Deine Stimme immer so wundersam geklungen, so tief und mächtig wie Glockenton?“
„Nein, so hat sie nie geklungen; die Liebe treibt ihre holde Magie. Da sie mich Dir nicht verschönern kann, wie Du mir jetzt von Augenblick zu Augenblick noch immer lichter, immer reizender erscheinst, so that sie es meiner Stimme an, daß sie Dir bis in’s Herz sänke, Du sie nie und nimmer vergessen könntest.“
„O, nie und nimmer!“
„Du schwörst es mir?“ bat Pranten in eigenthümlich ernstem Tone.
„Bedarf es dessen?“
Ein Lächeln, so schalkhaft und doch so ehrlich und voll Treuherzigkeit, glitt über ihre Züge, daß Pranten stürmisch ausrief:
„Nein, es bedarf dessen nicht! Kaum weiß ich noch, wie ich darum bitten konnte; es war ein Gedanke, wie er so kommt.“
„Ein Gedanke des Mißtrauens!“ sagte Josephine mit leisem Vorwurf.
„Nicht des Mißtrauens,“ erwiderte er rasch, „ich mußte denken – es flog mir etwas durch den Kopf.“
„Was?“
„Willst Du es wissen?“
Durch die Frage klang es hindurch, als sollte sie warnen, dennoch antwortete Josephine fest:
„Ja.“
„Nun, ich sorgte einen Moment lang um die Zukunft, jene Zeit, wo Du – sehen wirst.“
„Du kränkst mich.“
„Ach Josephine, vermögt ihr Glücklichen es denn zu ahnen, wie dem zu Muthe ist, dem ein ganzer Born von Schönheitssinn und Schönheitsbedürfniß im Herzen sprudelt, den es bei jedem Schönen wie im Gefühl der Zugehörigkeit überkommt, und dem doch heute wie. morgen das Fortblicken oder gar halbe Erschrecken der Begegnenden sagt, er trage eine – Fratze mit sich herum.“
„Felix!“
„O, wie das klingt! Die Fratze kann es aber nicht überklingen, sie bleibt. Das zweifelhafteste Mittelgut muß ich schon beneiden; sieht man auch gleichgültig drüber hin, so doch nicht fort.“
„Du übertreibst.“
„Wollte Gott!“
„Gewiß, Du übertreibst. Dein Schönheitsgefühl ist so groß, daß vielleicht einzig Du selbst daran kein Genügen hast, was Dir der Schöpfer gegeben. Das läßt Dich krankhaft auf Andere achten und tausend sicherlich zufällige Bewegungen auf Dich beziehen. Weiter ist es Nichts.“
„Du Einzige!“
„Kommt denn – überhaupt beim Mann – das Aeußere in Betracht?“
„Josephine! Wirst Du immer so denken? Versprichst Du mir, auch dereinst, wenn Du sehen wirst, nur auf meine Stimme zu hören und ein Bischen Häßlichkeit mit in den Kauf zu nehmen?“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 698. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_698.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)