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Seite:Die Gartenlaube (1879) 697.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


No. 42. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.


Felix.
Novelle von Karl Theodor Schultz.
(Fortsetzung.)


6.

Josephine war über ihr Gefühl Pranten gegenüber nicht zu derselben Klarheit durchgedrungen, wie er über seine innere Beziehung zu ihr. Seine anfängliche Traurigkeit, später das Gewaltsame in seinem Benehmen hatten sie mehr erschreckt und verschüchtert, als daß ihre Gedanken gern dabei verweilen mochten. Wenigstens anfangs fühlte sie so. Je mehr sie indessen nachsann und je gefälliger ihr die Phantasie jede einzelne der eben erlebten kleinen Scenen vorzauberte, natürlich mehr in Tönen als in Bildern, um so ruhiger und glücklicher wurde sie.

So verging wohl Beiden die kurze Zeit bis zum nächsten Zusammenkommen in allerlei weichen Träumereien, in Vorausdenken und – Herbeisehnen. Dennoch erschrak Josephine sichtlich, als Pranten’s Tritte auf dem Flure ertönten, und als er eintrat, erwiderte sie seinen Gruß noch um vieles befangener, als jener gegeben wurde.

Die Cousine, welche bereits seit mehreren Tagen sehr übler Laune war, da noch immer kein endgültiger Beschluß über Reisen oder Bleiben gefaßt worden, war nur mit ihrer Stimmung beschäftigt. Sie kümmerte sich daher kaum einen Augenblick um das junge Paar und ging, nachdem das Vorlesen begonnen, mit der bequemen Entschuldigung einer nöthigen häuslichen Arbeit in ihre Zimmer hinüber. Das war schon öfter vorgekommen; Josephine hatte wohl ein Wort des Scherzes dafür gehabt, sonst war aber deshalb nie eine Störung eingetreten: Pranten hatte ruhig fortgelesen, bis Frau Adelheid zur Kaffeestunde wieder erschienen war.

Heute jedoch wollte es mit der Ruhe nicht gehen, und als Pranten beim Lesen an eine Stelle kam, wo sich die Liebe eines Mannes im freiwilligen Verzicht auf ihre heiligsten Rechte gleichsam verklärte, da bebte und zitterte es so wundersam in seinem Herzen, daß er in schmerzlichster Erregtheit ausrief:

„Ja, rechte Liebe kann wirklich Alles! Wenigstens wir Männer – was könnten wir nicht opfern, was nicht hinwerfen – wie Ueberlästiges! Jeder Ton sie, die Eine, jeder Gedanke ihr Wohl, kein Herzschlag, der nicht ihrem Glück schlüge! Und verdienen sie das um uns, diese Ideale? Vermögen sie ganz zu fassen, was sie aus uns machen können? Würden sie solch Höchstes überhaupt wollen? Dünkt nicht beinahe allen Mädchen der Mann der beste, welcher mit ihnen forttändelt oder sich mindestes jedes eigenen Wollens begiebt? Wie denken Sie über uns, Fräulein Josephine? Oder haben Sie auch über uns noch nicht gedacht?“

„Viel jedenfalls nicht,“ erwiderte sie zögernd. „Was hätte mich auch darauf bringen sollen?“

Es lag in dem Ausdruck, mit dem sie die Worte gesprochen, in ihrem Senken des Hauptes etwas so Rührendes, so lieblich Hülfloses, daß Pranten im Begriff stand, ihr in einem Hinströmen Alles zu sagen, was er für sie fühlte, wie er gegen eine Welt sie schützen und halten wollte. Doch er hatte plötzlich das Empfinden, das unabweisbare, bei ihrer Ueberzartheit dürfe sie nicht erschreckt werden; mild müßte er mit ihr sein, so mild es seine Leidenschaftlichkeit vermöchte. So bezwang er sich gewaltsam.

„Machen sich nicht die Mädchen früh genug ihr Ideale vom Manne zurecht?“ fragte er nach tiefem Aufathmen mit einer Art von Lächeln. „Ich glaube, wenn man sie ihre Puppen selbst wählen ließe, sie wählten sich lauter Männlein, und zwar gleich von der Race, die ihnen später mit Bewußtsein liebenswerth erscheinen müßte – braun oder blond, oder ‚wie Gottes Wege’ – dunkel. Man könnte da viel Erfahrungen machen, und wer weiß, ob es uns Männern nicht im Allgemeinen besser erginge, wenn jede ein halbes Dutzend Puppenmänner zerpflückt oder todt geküßt hätte, bevor sich ihr ein lebendes Exemplar anvertraute!“

„Sie haben ja eine ganz böse Ansicht von uns! Ich meine doch, ein richtiger Mann müßte sich in allen Verhältnissen seine Stellung wahren können.“

„Ein Mann in Ihrem Sinne wohl!“ antwortete er mit weichem Tone. „Aber selbst ein so einfaches Gebilde, wie es ein richtiger Mann zu sein scheint, vermag die Natur nur selten hervorzubringen. Ja, ja! Es ist so, ob es uns auch sonderbar vorkommt. Wie aus Ironie, oder vielleicht absichtlich, um für ein einziges vollendetes Geschöpf tausendfaches Pfuschwerk als Relief zu haben, bildet sie bei sonst ganz hübschen Exemplaren von Männern allzuoft irgend eine Eigenschaft überstark aus und schädigt damit die ganze übrige Summe guter Eigenschaften, vielleicht bis zur Ungenießbarkeit. So übergutmüthigt sie wohl die Gutmüthigkeit und erhitzt edle Kraft bis zur Rohheit; einem Dritten und Vierten giebt sie zu guterletzt einen Schlag mit der Narrenpritsche, und irgend eine tolle Leidenschaft muß ihm im Hirne spuken. Ich kann da von einem besonderen Falle sprechen, Fräulein Josephine, der mir nahe, sogar herzensnahe liegt. Was haben Sie über meinen Vater, meine Eltern gehört? Ihre Frau Pathe wird die Armen nicht geschont haben.“

„Ich entsinne mich nichts Genaueren,“ versetzte sie gepreßt.

„Ständen wir uns wirklich noch so fremd gegenüber,“ fragte er vorwurfsvoll, „daß nicht einmal Wahrheit zwischen uns sein dürfte? Wahrheit geht nackt: in jener Nacktheit der Antike, der erhabenen, für jedes reine Auge reinen. Sie wissen das so gut

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 697. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_697.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)