Verschiedene: Die Gartenlaube (1879) | |
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Er fuhr herum, und ein diabolisch triumphirendes Lächeln schlüpfte um seinen Mund. „Ei, da bist Du ja, Therese!... Wie – ich meinte vor wenigen Stunden wirklich, es sei ein Auseinandergehen für’s ganze Leben; so tragisch war Deine zurückweisende Geste. – Und nun hast Du doch den Weg auf das Klostergut zurückgefunden?“
„Ja, einen seltsamen,“ bestätigte sie in fast geisterhaftem Ton, während der Arzt das Zimmer verließ, um sein Recept fortzuschicken.
Der Rath schwieg betroffen und fast verwirrt durch den verachtungsvollen Drohblick, der ihm aus den dunklen Augen entgegenfunkelte. Aber er hatte ja nicht die leiseste Ahnung von dem, was geschehen war, und so kam ihm plötzlich die Gewißheit, daß die Schwester nicht reumüthig, wie er im ersten Augenblick triumphirend gemeint hatte, sondern nur in der Absicht zurückgekehrt sei, das Ihrige zu holen und einzufordern. Eine stille Wuth kochte in ihm.
„Seltsam allerdings,“ wiederholte er spöttisch ihren eigenen Ausspruch. „Es fragt sich dabei nur, ob er auch mir convenirt, ob ich Dir nach einem solchen Fortgehen das Wiederkommen sans gêne in meinem Hause gestatten will. Und darauf hin sage ich Dir: Mit nichten, meine Therese! Wir haben nichts miteinander zu schaffen, und zu dem Giebelzimmer steht Dir der Weg nicht mehr offen – hier ist der Schlüssel!“ Er schlug gegen die Brusttasche seines Rockes. „Willst Du mehr wissen, so wende Dich an das Gericht. Dort werde ich Dir schon antworten.“
Das Blut wallte in ihr nach dem Gehirn und raubte ihr den letzten Rest von Besonnenheit.
„Ach so, Du willst mich als Bettlerin vom Klostergut jagen?“ rief sie mit heiserer Stimme. „Du glaubst, ich krieche aus Angst um mein rechtmäßiges Hab und Gut zu Kreuze, während ich doch nur hier stehe, um Dich zu fragen, wie der letzte Brief meines Sohnes an seine unglückliche Mutter in Deine Hände gekommen ist?“
Er wurde kreideweiß, lachte aber doch sofort hart und gezwungen auf.
„Ein Brief des Landstreichers? Wie möchte ich mir damit die Finger beschmutzen!“
Die Majorin biß die Zähne zusammen, um nicht aufzuschreien vor Empörung und wahnsinnigem Mutterschmerz. „Dann soll ich wohl denken,“ murmelte sie und trat ihm näher, „Du habest das Kästchen an Dich genommen um seines Silberwerthes willen?“
Er prallte zurück, als öffne sich die Erde zu seinen Füßen.
Mit gehobenem Arm zeigte sie auf die klaffende Fuge in der Holzwand, fast wider Willen folgten seine Augen der Richtung, und ein jäher Schrecken durchfuhr ihn.
„Dort ist Veit gestürzt – er ist Dir auf Deinem Schleichweg nachgegangen bis in das Zimmer des fremden Hauses,“ sagte sie mit gedämpften aber harter, unerbittlicher Stimme. „Dort hast Du einst gestanden und dem alten Freiherrn sein Geheimniß schurkisch abgelauscht; den Weg der Schmach bin ich vorhin von dort herübergegangen, und mit mir Adam’s Tochter. Das Mädchen jubelt, und nicht um alle Reichthümer der Welt wird sie den Mund verschließen – sie schweigt nicht. Morgen wird man an allen Straßenecken der Stadt Feuerjo! schreien über den Scandal auf dem Klostergute, über den Spion, den ehrlosen Schleicher, der die Nachbarhäuser unsicher macht –“
„Schweige – oder ich erwürge Dich mit diesen meinen Händen!“ raunte er und schüttelte seine geballten Hände dicht vor dem Gesicht der Schwester. „Glaubst Du, ich gehe solch einem Spatzenschrecken, wie ihn der Weiberklatsch da drüben zurechtgemacht hat, aus dem Wege? Meinst wohl gar, ich solle mein Bündel schnüren und mit meinem Jungen eines solchen hirnlosen Gewäsches wegen Haus und Hof verlassen, damit Du Dich mit Deiner Brut hineinsetzen kannst? Das Schlupfloch kenne ich“ – er deutete nach der Fuge – „aber wer will mir beweisen, daß ich je darin gewesen bin?“
Er stieß ein wildes, halbunterdrücktes Hohngelächter aus und sprang mit einem Satz die Gallerietreppe hinauf. Es war das Werk einer Secunde, daß er die neue Wandschrankthür zurückschlug, mit einem Arm in die Tiefe griff und geräuschlos den festen Schluß der Holzwand bewerkstelligte.
Wie ein listiges Raubthier stand er da mit den geschmeidigen Bewegungen seiner immer noch elastischen Gestalt, ungebeugt, sichtlich entschlossen, der Wucht der auf ihn einstürmenden Ereignisse mit an seiner wilden Energie, seiner juristischen Meisterschaft die Stirn zu bieten.
Sorgfältig schloß er die Schrankthür zu und wollte eben den Schlüssel herausziehen; aber er blieb plötzlich wie erstarrt in dieser Stellung stehen und wandte nur den Kopf mit dem Ausdruck eines jähen Entsetzens nach dem Sopha, auf dem Veit’s Körper wieder von den Krämpfen gepackt und grauenhaft, fast schraubenförmig verdreht und emporgehoben wurde; dabei entrang sich anhaltendes, schrilles Pfeifen der gepreßten kleinen Kehle.
Unwillkürlich fuhr der Rath mit den Händen nach dem Kopfe.
„Um Gottes willen, was ist das, Doctor?“ rief er dem Arzt entgegen, der eben wieder in das Zimmer trat.
Der Doctor zog die Schultern empor, und zu dem Kranken tretend, versetzte er gedrückt:
„Ich sagte Ihnen ja schon von der beängstigend raschen Aufeinanderfolge der Anfälle.“
Wie ein Wahnwitziger eilte der Rath die Stufen herab.
„Sie wollen mir doch nicht weismachen, daß Gefahr vorhanden sei?“ stotterte er ton- und athemlos.
Der Arzt schwieg.
„Mann, foltern Sie mich nicht! Muß – muß mein Veit sterben?“ stöhnte er und schüttelte den Arm des Mannes.
„Meine Hoffnung ist eine ganz geringe.“
„Lüge! Wahnwitz! Sie sind ein Stümper – Sie haben keine Ahnung von einer Diagnose. Da sollen und müssen mir Andere her.“
Er stürzte hinaus, und nach wenigen Secunden liefen die Mägde und einige inzwischen aus dem kleinen Thal zurückgekehrten Taglöhner nach allen Richtungen hin, um die Aerzte, deren sie habhaft werden konnten, herbeizuholen. – –
Einige Stunden später lag ein völlig gebrochener Mann zu Füßen des Lagers, auf welchem ein junges Leben in rapider Schnelligkeit seiner Auflösung entgegenging – mit dem letzten Pulsschlag dieses jungen Herzens wurde er selbst in das Nichts hineingerissen. Was war er ohne das eine Ziel, dem er in fieberhafter Anstrengung, über Ehre und Gewissen hinweg, unausgesetzt Goldklumpen zugewälzt? Er hatte für seinen Abgott nach jener Höhe gestrebt, an deren Fuß sich das „Menschengesindel“ zusammendrängt und ehrfürchtigen Blickes hinaufschaut zu dem Capital, das von einem blendenden Nimbus umfunkelt wird, mag es auch mit dem boshaftesten Menschenantlitz in die Welt hineinblicken, mag sein Träger an Geist, Fleisch und Bein die kümmerlichste Jammergestalt sein.
Nun hatte er sich mit halberschöpfter Körperkraft und verlorener Seele hinaufgearbeitet; nun stand er droben und sah – in ein Grab, und in den Staub und Moder hinein konnte er seine Schätze nicht werfen. Wohin damit?
Er hatte die Hälfte dessen, was er zusammengescharrt, den Aerzten geboten für ihre rettende Hülfe; er hatte gerast und sich mit den Fäusten die Brust zerschlagen und in wahnsinniger Verzweiflung Gott angerufen und ihn zugleich verlästert und seine Allmacht und Barmherzigkeit mit dem beißendsten Hohn in Frage gestellt – und inzwischen waren die Krämpfe des Knaben in immer kürzeren Intervallen mit grauenhafter Consequenz wiedergekehrt; nicht ein einziges Mal mehr hatte ihn der kluge Blick, der sein Stolz gewesen, bewußt gesucht. Das Denken war längst erloschen, während der Körper noch rang und kämpfte – dieser Körper, den er einst wie ein Königskind in jauchzendem Glücksgefühl aus den Händen der Hebamme entgegengenommen, den er in Daunen, unter grünseidenem Baldachin gebettet.
Angesichts dieses entsetzlichen Endes stieg der Anfang, stiegen jene Tage, da Veit geboren wurde, in grausamer Deutlichkeit vor ihm auf. Er sah sein Weib sterben – sie hatte ihre Schuldigkeit gethan und konnte die Welt getrost verlassen, hatte er damals hartherzig gemeint und keinerlei Schmerz empfunden. Er sah die wahrhaft fürstlichen Zurüstungen zu dem Taufschmaus im ehemaligen Refectorium der Mönche, sah „die stolze Gevatterschaft in Sammet und Seide“ glückwünschend unter den Myrthen- und Orangenbäumen stehen – aber er hörte auch das nervenerschütternde Krachen, mit welchem die uralte Orgel am Tage nach Veit’s Geburt in sich zusammengebrochen war.
Und er vergrub das Gesicht tiefer in die Decke, welche den zuckenden Körper seines Kindes verhüllte. Er wollte nicht mehr
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 596. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_596.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)