Verschiedene: Die Gartenlaube (1879) | |
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„Gartenlaube“ 1877, S. 280) eine große Anzahl unter einander austauschender Beobachtungsstationen in’s Leben rief. Indem Humboldt’s Ansehen das Ausland zur Nachahmung veranlaßte, wurde so von Deutschland aus der Grund zu der Neugestaltung der Meteorologie gelegt, die sich bald in dem am 4. April dieses Jahres verstorbenen Professor Dove zu Berlin dermaßen centralisirte, daß er mit Recht als der Schöpfer dieser nunmehr Früchte tragenden Wissenschaft betrachtet wird.
Dove war nämlich 1848 zum Director des zwei Jahre vorher begründeten königlichen meteorologischen Institutes zu Berlin berufen worden, welches mit dem statistischen Bureau in unmittelbarer Verbindung stand, einer Verbindung, die, so sonderbar sie auf den ersten Blick erscheinen mag, von segensreichstem Erfolge war. Dove wurde dadurch nämlich veranlaßt, die Meteorologie nach der sichersten und geeignetsten Methode aufzubauen die es für diese Wissenschaft geben kann, nach der vergleichend-geographisch-statistischen Methode, und seine umfassenden Combinationen der Beobachtungsreihen aus allen Zonen legten das Fundament einer Wissenschaft, die wir mit Stolz eine deutsche nennen dürfen.
Nach dieser vergleichend-statistischen Methode lernte man zunächst die Vertheilung der Wärme über die Erde kennen, welche auf den Karten durch Curven gleicher Monats- oder Jahreswärme (Isothermen) dargestellt wird und auf deren Verlauf das ideale Wetter beruhen würde, wenn die Wirklichkeit dem Ideal jemals gliche. Auch den beständigeren Unregelmäßigkeiten wurde übrigens von Dove durch Einführung seiner Isanomalen (Linien gleicher Abweichungen vom Mittel) für die einzelnen Zeiten Rechnung getragen, und die geistreiche Art, wie er regelmäßige Abweichungen (z. B. die Rückfälle der Kälte im Mai) und ganz unregelmäßige (harte Winter und heiße Sommer) zu erklären wußte, sichern ihm in dieser Wissenschaft, trotz aller Neuerungen, für immer einen ersten Platz.
Freilich interessirt uns mehr, als die von ihm begründete Kenntniß des idealen Wetters, das reale, wie es sich rücksichtslos über Gerechte und Ungerechte ergießt. Wir kennen als die Hauptursache unseres Witterungswechsels den Kampf der Passatwinde, der im Winter in Südeuropa tobt und gegen den Frühling in unsere Breiten fortschreitet, wir wissen, daß diese Winde dem Dove’schen Drehungsgesetze folgen und mit wenigen Ausnahmen stets in der Richtung der Uhrzeiger „herumgehen“, aber wir wissen die Hauptsache nicht, wann und wie lange wir in dem Bette des Einen oder des Andern oder auf dem Begegnungsplatze beider auszuharren haben.
Dennoch sind die Winde zuerst der Gegenstand einer geregelten Voraussage geworden, sobald man nur durch die Ausdehnung des Telegraphennetzes über den größten Theil der Erde die Möglichkeit gewonnen hatte, ihnen in jeder Richtung den Vorsprung abzugewinnen. Schon im Jahre 1842 machte Kreil in Prag einen darauf bezüglichen Vorschlag, und durch Redfield und Loomis wurde 1846 bis 1847 der Gedanke telegraphischer Sturmwarnungen in Nordamerika angeregt und bald zum großen Nutzen der Schifffahrt ausgeführt, sofern sich dort die Stürme fast regelmäßig von Südwesten her nordostwärts über das Land bis zur atlantischen Küste bewegen.
In Europa, dem Ursprungslande des Gedankens, gab erst der berühmte Sturm, welcher am 14. November 1854 das Lager der Alliirten bei Balaklava verwüstete und auf dem Schwarzen Meere mehrere Kriegsschiffe vernichtete, den Anlaß, die Frage telegraphischer Sturmwarnungen näher in’s Auge zu fassen. Jener Sturm hatte nämlich ganz Europa von Westen nach Osten durchzogen und war bereits am 10. und 11. November über Spanien und Frankreich dahingegangen, sodaß man sich sagen mußte, es wäre bei vollständiger Verbindung sehr leicht möglich gewesen, der Flotte wie der Armee eine rechtzeitige Warnung auf telegraphischem Wege zugehen zu lassen. Der damalige französische Kriegsminister Marschall Vaillant beauftragte den berühmten 1877 verstorbenen Director der Pariser Sternwarte Leverrier, die Frage untersuchen zu lassen, und das Ergebniß einer von Liais gelieferten Arbeit war einerseits die Erkenntniß, daß ein Wellenthal mit sehr vermindertem Luftdruck, ein starkes Minimum, wie wir jetzt sagen würden, über Europa hingegangen war, und daß es nützlich erscheine, in Paris fortlaufende Witterungsberichte aus möglichst vielen europäischen Stationen zu erhalten, um „von Fall zu Fall“ wenigstens gegen Stürme auf der Hut sein zu können. In diesen Arbeiten haben wir auch den Anfang der modernen Witterungs-Prognose überhaupt zu suchen.
Mit ähnlichen Organisationen, wie eine solche bald darauf in Paris geschaffen wurde, ging man nun auch in andern Ländern vor; seit 1860 bereits erließ die Centralstelle von Utrecht, die unter der Leitung des verdienten Meteorologen Buys-Ballot steht, auf Grund ihrer inländischen Berichte regelmäßige Sturmwarnungen für die Küstenstationen, und im Jahre darauf (1861) wurde dieser Sicherheitsdienst für Küste und Häfen in England durch den Admiral Fitzroy, mit dem einst Darwin seine Weltreise gemacht hatte, in ein heute an den meisten Seeküsten eingeführtes System gebracht. Auf den Küstenstationen, welche von einer Centralstelle aus die telegraphischen Sturmberichte erhalten, befindet sich ein Mast, an welchem ein oder zwei kegelförmige Körper respective Laternen (die aus der Ferne als Dreiecke erscheinen), je nachdem sie einzeln oder zu zweien und mit der Spitze nach oben oder nach unten aufgezogen werden, genau die Richtung signalisirter Stürme anzeigen, die an der Küste zu erwarten sind, wobei noch eine cylindrische Laterne, die aus der Ferne nach allen Richtungen als Quadrat erscheint, hinzugefügt wird, wenn der zu gewärtigende Sturm sehr stark ist. Die deutschen Küstenstationen erhalten ihre für Schifferei und Fischerei ungemein segensreichen Sturmwarnungen von der seit 1874 in den Besitz des deutschen Reiches übergegangenen Hamburger Seewarte, einem der bestversehenen und bestgeleiteten derartigen Institute der Welt, nachdem Hannover schon 1864 und Preußen 1868 solche Warnungen für ihre Küsten eingeführt hatten. Nordamerika folgte 1865 und Italien 1869 diesen Beispielen. Was die Sicherheit dieser Sturmwarnungen betrifft, so ist sie bereits auf mehr als 80 Procent gestiegen.
Seit der Herstellung des transatlantischen Kabels haben auch die Wirbelstürme, die uns meist von Nordamerika zugehen, einen Theil ihres Schreckens verloren, da unsere Westküsten nunmehr meist mehrere Tage im Voraus erfahren, wann sie diese unliebsamen Gäste zu erwarten haben. Es ist merkwürdig, daß gerade eine der unberechenbarsten Störungen im Luftkreise, die aus weiter Ferne kometengleich bis in unsere Kreise vordringt, durch diese Behandlung von Fall zu Fall völlig ihres überraschenden Charakters entkleidet werden konnte.
Der Schöpfer der modernen Meteorologie, Professor Dove in Berlin, erkannte bereits im Jahre 1821, daß die gefürchteten Cyclone oder Hurricane, die namentlich in den westindischen und chinesischen Meeren mit verheerender Gewalt toben, Wirbelstürme von einem oft ungemein großen Drehungsdurchmesser sind, und der englische Forscher Piddington, der Amerikaner Redfield und andere Meteorologen haben sich durch die nähere Erforschung der Gesetze dieser verheerenden Naturerscheinung um das Wohl der Menschheit, wie um die Wissenschaft sehr verdient gemacht. In der Mitte dieser Wirbel herrscht in einer Ausdehnung von oft drei bis sieben Meilen Windstille, und ein außerordentlich niedriger Barometerstand, der anderthalb bis gegen drei Zoll unter den früheren gegangen ist, zeigt an, daß hier eine gewaltige Luftverdünnung stattfindet. Rings um diese unheimliche Stille tobt ein Wirbelsturm, in welchem die Schiffer auf einem Durchmesser von oft 100 geographischen Meilen alle Segel einziehen müssen, während die äußersten Grenzen der ringförmigen Luftbewegung bis zu 250 geographische Meilen aus einander liegen können. Uebrigens ist die Bewegung der Luft streng genommen keine kreisförmige, sondern die Luft nähert sich in Spirallinien dem Centrum, wird daselbst nach oben gerissen und tritt dort in Form sehr zersetzter Wolken wieder aus dem erweiterten Wirbel heraus.
Auf den Antillen, wo diese Stürme besonders verheerend auftreten, beginnt der Vorgang in der Regel mit einem Ostwinde, der schnell zu einem Orkane mit furchtbaren Güssen und elektrischen Entladungen anschwillt, darauf folgt, indem sich das Centrum über den Ort fortbewegt, eine Ruhepause, worauf der entsetzlichste Weststurm einsetzt, und einige Stunden später lächelt die Sonne auf eine Stätte der Verwüstung hinab, welche aussieht, als ob ein Feuer über das Land gegangen wäre und Ortschaften und Wälder weggefressen hätte. Von der Wildheit dieser Naturerscheinung haben wir Europäer glücklicher Weise keine Ahnung, aber es mag erwähnt werden, daß solche Stürme Vierundzwanzigpfünder wie leichtes Spielwerk umhergeschleudert
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 536. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_536.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)