Verschiedene: Die Gartenlaube (1879) | |
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der dem General Pichegru 1794 auf Grund seiner Spinnenstudien einen harten Winter vorausgesagt haben soll, nicht; jede Schwalbe aus der großen Schaar derer, die noch keinen Sommer machen, jeder verfrühte Storch, dem das Klappern vor Frost näher ist als das vor Vergnügen, beweisen uns ja, daß Irren nicht ausschließlich menschlich, sondern auch schwälbisch und störchisch ist – trösten wir uns also über den Mangel an Unfehlbarkeit mit diesen vielgenannten Wetterverständigen!
Als im Jahre 1870 Frankreich dem deutschen Volke unerwartet einen blutigen Kampf aufzwang, da wurden auch in Flandern die Stimmen sympathischer Dichter laut.
Von solchen Blüthen, welche dieser Zweig des germanischen Sprachstammes getrieben hat, hoffe ich dem deutschen Volk bald einen Strauß darbieten zu können. Bis jetzt ist, einige Proben abgerechnet, welche ich vor Jahresfrist in der Augsburger „Allgemeinen Zeitung“ mittheilte, von dieser Poesie, die uns so nahe angeht, nichts in deutscher Uebersetzung veröffentlicht worden. Genauer auf den reichhaltigen Stoff hier einzugehen, erlaubt der Raum nicht. Dagegen soll im Folgenden die Lebensskizze eines leider früh heimgegangenen Mannes gezeichnet werden, der, auch auf anderen Gebieten bedeutend, als Dichter der größte Freund des deutschen Volkes unter den Belgiern genannt zu werden verdient.
Im Jahre 1871 erschien in London eine pseudonyme Dichtung in französischer Sprache unter dem Titel „L’Année sanglante par Paul Jane“, welche ganz geeignet war, in unserem Vaterlande gerechtes Aufsehen zu erregen. Selbst die besten unserer einheimischen Dichter hätten die zweifellose Gerechtigkeit unserer Sache nicht wärmer vertheidigen, die ungeahnte Größe unserer Waffenthaten nicht begeisterter verherrlichen können, als es in dieser französisch geschriebenen Dichtung geschah, und der irregeleiteten Nation jenseits des Rheins ist wohl nie in ihrer eigenen Sprache mit so schneidiger Rhetorik das Unrecht ihres frevelhaften Friedensbruches vorgehalten worden, wie in der „Année sanglante“. Wer mochte der Verfasser sein? Welcher Nation mochte der Dichter angehören, der Deutschlands Erfolge so begeistert feierte, während die gesammte ausländische Presse sich nur zögernd zu einer frostigen Anerkennung unleugbarer Thatsachen entschließen konnte?
Ich übersetzte einige Strophen der trefflichen Dichtung und sandte sie an den Verleger mit der Bitte, sie dem Verfasser zu übermitteln. Bald darauf erhielt ich einen liebenswürdigen Brief, in welchem sich Adolphe van Soust de Borckenfeldt, der Chef der Abtheilung für die schönen Künste im Ministerium des Innern zu Brüssel, als der Verfasser bekannte und mich aufmunterte, fortzufahren und durch eine poetische Uebersetzung sein Werk dem deutschen Volke, für welches dasselbe geschrieben sei, zugänglich zu machen. Bald konnte dasselbe unter dem Titel „Das blutige Jahr“, und zwar dem Kaiser Wilhelm gewidmet, hinauswandern.
Als ich später auf einer Studienreise durch Belgien die eigenthümlichen Parteiverhältnisse dieses Landes, die doppelte Uebermacht der französisch-wallonischen und der clericalen Fraction, gegen welche die deutsch-freundliche Partei Borckenfeldt’s, die Männer der „vlamischen Bewegung“, dennoch mit stetigem Erfolge ankämpfen, näher kennen lernte, da wurde mir erst klar, wie nur hier ein solches Werk hatte entstehen können. Und wenn ich den Dichter schon vorher durch den lebhaften Briefwechsel, der sich unter uns entspann, noch mehr aber durch den anregenden persönlichen Verkehr als Gast in seinem Hause, schätzen und verehren gelernt hatte, so konnte seine politische Richtung, die Festigkeit und Treue, mit der er trotz seiner französischen Erziehung seiner germanischen Abstammung sich bewußt blieb, nicht verfehlen, mir die höchste Achtung einzuflößen. Wie oft hat er es mir bitter geklagt, daß der höhere Unterricht in Belgien so durchaus französisch ist, daß gerade die besseren Stände durch die Schule von Jugend auf ihrer vlamischen Nationalität entfremdet werden!
Es war daher ein Glück, daß die vlamische Partei an Adolphe van Soust einen Mann besaß, der, seiner tiefsten Ueberzeugung nach vlamisch gesinnt, ein echtes Dichteringenium war und wahre germanische Gemüthstiefe besaß, der aber auch zugleich die französische Sprache beherrschte und in ihr zu schreiben wußte wie ein tüchtiger nationalfranzösischer Dichter. Den ihrer Nationalität entfremdeten Söhnen Flanderns, die, von dem bestechenden Schimmer französischer Eleganz geblendet, ihre Erstgeburt um ein Nichts hingegeben haben und denen mit dem treuherzigen niederdeutschen Worte nicht mehr beizukommen ist, mußte wohl ein Licht aufgehen, wenn sie die „Année sanglante“ und die „Renovation flamande“ Borckenfeldt’s lasen, Dichtungen, in denen sich eine glühende Vaterlandsliebe und eine wahrhaft poetische Begeisterung für das ehrwürdige germanische Volksthum ausspricht. Aber auch auf der andern Seite konnte man diese Dichtungen nicht einfach ignoriren, wie man sich stets bemüht hatte, es mit der vlamischen Literatur zu tun. Bei den ganz natürlichen Sympathien der Wallonen für Frankreich mußte eine Sprache, wie sie Borckenfeldt führt, einen tiefen Eindruck machen. Es gehörte echter Mannesmuth dazu, nach dem Kriegsrufe von 1870, der wie ein Blitz aus heiterem Himmel über die zur Ernte reifen Gefilde hinfuhr, von Belgien aus dem deutschen Volke zuzurufen:
„Nun auf, du Volk aus Deutschlands Gauen,
Nun nimm die Sichel von der Wand!
Die Sonne konnt’ in deinen Auen
Die Saat noch reifen deiner Hand;
So mähe schnell die goldnen Aehren!
Nicht lange darf die Ernte währen,
Urplötzlich bricht ein Wetter ein –“
Und indem der Dichter den Chauvinismus der französischen Nation, die ihr „eisernes Gebiß durch einen leichten Sieg in das goldene Scepter der Hegemonie zu verwandeln hofft“, die nationale Begeisterung des deutschen Volkes gegenüberstellt, ruft er dem französischen Volke zu:
„Gleich wie die wilde Gluth der Esse
Flammt deine Kriegslust hoch empor;
Es schlägt der Klang der Marseillaise
Bis an der fernsten Städte Thor;
Ganz andre Heldenlieder schallen
Durch Deutschlands weite Buchenhallen,
Das Echo weckend ferner Zeit;
An seiner Flüsse Borden regen
Sich Märtyrer, erstehen Degen
Zu jeder Heldenthat bereit.“
Schön und wuchtig, wie nur irgend ein deutscher Dichter, spricht der Belgier, anknüpfend an die Barbarossa-Sage, die alte Verheißung von der Wiedererrichtung des Reiches mit den Worten aus:
„Vom deutschen Aar verscheucht, entweichen
Die Raben von des Berges Eichen,
Der Auferstehungstag bricht an.
Vereint wirst du empor dich raffen,
Unüberwindlich Volk in Waffen;
Zum Licht empor geht deine Bahn.“
Der unaufhaltsame Vorstoß der deutschen Heere wird in glänzenden, großartigen Bildern geschildert. Dem Wetterstrahl gleich, der den harten Felsen zu Staub zermalmt, der Windsbraut gleich, die unwiderstehlich in verhängnißvollem Sturz die tobende Lawine fortreißt – ein Strom, von hundert Bruderströmen genährt, dringt das Volksheer über die Fluren des unglückseligen Frankreich vor:
„Nichts hindert seinen Lauf, von dem der Boden bebt;
Die alte Kühnheit ist den Söhnen Teut’s erwacht;
Den Raum durchmessen sie mit schwindelnd schnellem Fuß;
Nicht Hügel, Wälder, Sümpfe, Höh’n, kein Bergespaß,
Nicht Schlucht noch Abgrund, nicht der reißend tiefe Strom,
Nichts hält sie auf....“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_455.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)