Verschiedene: Die Gartenlaube (1878) | |
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ähnlich dem im thierischen Magen enthaltenen Pepsin, sehr energisch lösend auf stickstoffhaltige Stoffe einwirkt. Es unterscheidet sich aber von dem thierischen Verdauungsstoffe, außer durch sein Verhalten gegen einzelne Chemikalien dadurch, daß es ohne Zusatz von freier Säure – die indessen möglicher Weise in geringer Menge im frischen Milchsafte enthalten sein mag –, ferner selbst bei höheren Temperaturen (60 bis 65° C.) und dann in viel kürzerer Zeit wirkt. Gleich dem Pepsin bewirken unwägbare Theilchen des Milchsaftes das Gerinnen verhältnißmäßig großer Mengen Milch ohne Sauerwerden.
Ganz ähnliche Ergebnisse hatte früher Dr. C. Roy auch mit eingetrocknetem Milchsafte des Melonenbaumes, den er geschickt bekam, erzielt: gehacktes Fleisch wurde fast vollständig verflüssigt, und zwar in der Wärme schneller, in der Kälte etwas langsamer. Unter dem Mikroskope erschienen dann die Fibern des Fleisches völlig von einander gelöst und der Brei wimmelte von Vibrionen (?). Da der eingetrocknete Saft dieselbe auflösende Wirkung auch auf Eiweiß und Knorpelgewebe ausübte, so meinte Dr. Roy, man würde diesen eingedickten Pflanzensaft als ein Beförderungsmittel träger Verdauung und als Hülfsmittel der Kochkunst auch im Abendlande nützlich verwenden können, und empfahl dessen Gewinnung und Herstellung als Handelsproduct im Großen.
In der That wäre das eine schöne Sache; es würde besonders von den älteren Familienmitgliedern mit Entzücken begrüßt werden, wenn man kein hartes Fleisch mehr zu essen brauchte und das Wildpret, ohne es hängen zu lassen, bis es halb verdorben ist, sogleich genießen könnte. Magenleidende würden glücklich sein, statt des Pepsins, dessen Bereitung und Ursprung immer unangenehm bleibt, einen Pflanzenstoff zu erhalten, dem keine die empfindlicheren Mägen zu gewaltsamen Bewegungen zwingende Nebengedanken ankleben. Die Kranken könnten vielleicht ohne Furcht vor Bandwürmern gehacktes Rindfleisch essen, welches mit diesem Safte vorher vermischt würde; denn sollte das Fleisch Eingeweidewürmer enthalten, so werden sie wahrscheinlich mit verdaut, da der Melonenbaumsaft Alles auflöst, was Fleisch und Eiweißstoff enthält. Natürlich müßten die Aerzte noch vorher feststellen, ob der Saft auch wirklich an sich und nach jeder Richtung unschädlich ist und keine unangenehmen Nebenwirkungen hat.
Ueberhaupt bleiben dem Naturforscher noch manche Räthsel am Melonenbaum zu lösen. Zunächst muß man, wenn schon das Einschlagen des Fleisches in die Blätter oder gar das Aufhängen des Wildprets in der Blattkrone bewunderungswürdige Resultate erzielt, fragen, ob denn dieses Ferment am Ende gar flüchtig ist, was ein bis jetzt unerhörter Fall wäre. Eine andere nicht weniger fesselnde Frage wäre, wozu denn der Pflanze dieser in allen grünen Theilen enthaltene Verdauungsstoff nützt, ob er ihr vielleicht auch wie den Thieren zur weiteren Verarbeitung aufgenommener Nahrungstheile dient? In dem Artikel über die fleischfressenden Pflanzen („Gartenlaube“ 1875, Seite 169) wurde bereits erwähnt, daß die von den Blättern derselben ausgesonderten Flüssigkeiten einen solchen pepsinartigen Stoff enthalten, der die nahrhaften Theile der gefangenen Insecten auflöst. Diese damals noch halb und halb als Vermuthung ausgesprochene Thatsache ist seitdem von den berühmten Chemikern von Gorup-Besanez und H. Will durch den Versuch bestätigt worden, und der Erstgenannte hat außerdem beobachtet, daß auch in den keimenden Pflanzensamen ähnliche Fermente auftreten, welche den Eiweißstoff derselben in lösliche Verbindungen, sogenannte Peptone, überführen. Das Auffallende beim Melonenbaum ist also nur das fortdauernde und massenhafte Auftreten dieser Verdauungsfermente. Sollte derselbe demnach eine andere Ernährungsweise als die Mehrzahl der Pflanzen aufweisen? Man wird beinahe auf solche Vermuthungen gebracht, wenn man die Eigenthümlichkeiten einer andern Art des Melonenbaumes (Carica digitata), die auf der Landenge von Panama zu Hause ist, betrachtet. Moleschott hat schon darauf aufmerksam gemacht, daß die Gerüche der Pflanzen den Auswurfstoffen der Thiere zu vergleichen seien. Jener mittelamerikanische Melonenbaum sondert nun, besonders wenn er blüht, Gerüche ab, die auf’s Täuschendste denen der vollendeten thierischen Verdauung und Ausscheidung gleichen, sodaß man in seiner Nähe leicht Uebelkeiten empfindet und ihm überall aus dem Wege geht. Diese Nebenbemerkung soll uns aber nicht den Appetit an dem Safte seines Verwandten im Voraus verderben, denn erstens haben jene Ausdünstungen wahrscheinlich nur den Zweck, gewisse die Befruchtung vermittelnde Insecten anzulocken, zweitens besitzt der in Aussicht genommene Wohlthäter alter und kranker Personen solche Ausdünstungen nicht, und drittens, wenn er sie besäße, würde es auch nicht schaden. Die oben erwähnte Durio-Frucht duftet – wenn man diesen zarten Ausdruck hier anwenden darf – ähnlich und gilt doch als das köstlichste Obst Indiens.
Fünfzig Jahre haben sich am 19. November dieses Jahres erfüllt, seit Franz Schubert, der große Meister des deutschen Liedes, sein Haupt geneigt zum ewigen Schlummer und sich seine sangreichen Lippen geschlossen. Vor der Zeit, in der Blüthe der Manneskraft, noch bevor er sein Tagewerk vollenden durfte, ward ihm sein Ziel gesetzt, zu früh für ihn selbst, den die Sonne des Glücks noch nie mit ungebrochenem Glanze beschienen, zu früh auch für die Welt, die ihn verlor, noch bevor sie wußte, was sie in ihm besessen. Keins der Güter, die das Schicksal seinen Lieblingen in den Schoos wirft, weder Geld, noch Ruhm, noch Liebesglück, ward ihm zu Theil. Der Beifall der Menge und die Gunst der Großen dieser Erde dankten ihm nicht für seine Wundergaben. Arm und unbeachtet ging er, der Tönereiche, dahin durch das Leben; nur sich selbst zur Lust sang er, weil er nicht anders konnte, bis der Tod ihm, dem Unermüdlichen, Schweigen gebot. In Wahrheit, den Vorwurf, der uns aus mehr als einem Grabe unsrer künstlerischen Größen entgegenklingt: daß unser Volk erst den Todten die verspätete Schuld der Dankbarkeit und Anerkennung zu entrichten pflegt, die es den Lebenden kargend vorenthielt, wir empfinden ihn in seiner ganzen Schwere an Franz Schubert’s Gruft. Heute freilich, wo sein Name in Aller Herzen, seine Lieder in Aller Munde leben, wo wir stolzen Blickes auf sein reiches Vermächtniß schauen als auf einen uns längst gesicherten unveräußerlichen Besitz, bedenken wir kaum, daß jedes einzelne der fünfzig Jahre, die seit des Meisters frühem Tod verflossen, daran mitwirken mußte, uns den Werth dieses Besitzes in’s Bewußtsein zu bringen, ja diesen Besitz selbst erst zum großen Theil an’s Licht zu fördern. Jahr um Jahr erwachen seinem Genius neue Freunde und Verehrer; Jahr um Jahr hebt man neue Schätze aus seinem Nachlaß. Und dennoch ist bis auf diesen Tag die große Erbschaft noch nicht ganz gehoben. Noch immer harrt ein Theil seiner Werke der Veröffentlichung, und kommenden Tagen erst bleibt ein vollständiger Ueberblick über die Gesammtthätigkeit dieses fruchtbarsten Künstlers vorbehalten.
„Wenn Fruchtbarkeit,“ sagt Robert Schumann, „ein Hauptmerkmal des Genies ist, so ist Schubert eines der größten.“ Aber nicht allein die Menge, viel mehr noch die Bedeutung seiner Gaben haben ihm den Platz neben den besten und größten unsrer Tondichter erworben, den man dem Todten wenigstens willig einräumt. Einer der ersten Meister der nachclassischen Periode, einer der vornehmsten Vertreter der romantischen Richtung, die, wie auf dem Gebiete der Schwesterkünste, Poesie und Malerei, so auch auf dem der Musik Leben gewann und im Gegensatz zum Classicismus in das Vorwalten des Inhalts über die Form, in den Triumph des Geistes über das Gesetz ihr Wesen setzt, trägt Schubert nichtsdestoweniger gar Manches vom Classiker an sich. Die lautere Naivetät seines Schaffens, die krystallhelle Klarheit seiner Gebilde, ihre Leichtigkeit und Freiheit von allem Erdendrucke gemahnen an die heitere Ruhe classischer Gestaltungsweise und lassen es nicht vergessen, daß seine Jugend mit dem goldnen Zeitalter der Tonkunst zusammenfiel. Seinem innersten Wesen nach freilich ist er echter Romantiker. Die Welt tief inniger, in sich geläuterter Empfindung ist es, in der seine Sangesweise heimisch ist. Die ganze Scala der Gefühle, vom Lächeln der Freude bis zum Ausbruch der Verzweiflung, beherrscht
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 794. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_794.jpg&oldid=- (Version vom 30.9.2016)