Verschiedene: Die Gartenlaube (1878) | |
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die Antwort, noch ehe seine Lippen sie aussprachen. Sie lag wieder in seinen Armen und hörte das Geständniß seiner Liebe, wie einst vor Jahren. Damals freilich kannte sie noch nicht die stürmische, alles überfluthende Seligkeit, die sie einst in Arno’s Armen bis zur Sonnenhöhe des Daseins emporzutragen schien und ihr in wenigen kurzen Stunden das Glück eines ganzen Lebens gab, um sie dann auch den ganzen Schmerz des Lebens auskosten zu lassen – aber es strömte doch wieder warm und hell wie Sonnenschein durch ihre Seele. Gabriele hätte ja kein Weib sein müssen, wenn sie nicht freudig aufgeathmet hätte bei dem Gedanken, so treu und fest geliebt zu sein, und es ist ja auch ein Glück, Anderen das Glück zu geben.
Draußen lag die Landschaft im Sonnenglanze; der weite schimmernde See, die reichumkränzten Ufer und das blaue Gebirg in der Ferne – und vor den Beiden, die jetzt den Bund für das Leben schlossen, lag auch dieses Leben so weit und offen da, mit seinen reichen Hoffnungen, seiner lichten Zukunft, mit einer langen Reihe froher, glücklicher Tage. Es war ringsum Alles so klar, so sonnig und hell, und doch umwehte es die junge Braut wie Geisterhauch, wie das leise Grüßen einer Mondnacht und das ferne Rieseln eines Quells, und einen Moment lang verschwand all das goldene Sonnenlicht vor ihren Augen, verdunkelt von einer Thräne. Gabriele fühlte es ja, daß sie dem Leben und der Liebe zurückgegeben war, aber – um hohen Preis.
Nürnberger Markttypen. (siehe Abbildung, S. 605.) In unserer Nr. 33 führten wir den Leser in das Nürnberger „Bratwurstglöckle“, jene eigenartigste unter den Restaurationen der alten deutschen Kunststadt. Heute sei uns ein Blick auf das Marktleben Nürnbergs gestattet. Das stramme Zunftwesen unserer alten Städte begnügte sich nicht mit einer strengen Absonderung der verschiedenen Handwerke; auch dem Bauer, welcher mit seinen Erzeugnissen zu Markte fuhr, war je nach Art seiner Producte ein besonderer Stand angewiesen, und so hatte denn auch Nürnberg seinen speziellen Roß-, Sau-, Korn-, Heu-, Milch-, Salz-, Fisch-, Obstmarkt etc., Benennungen, welche, wenn auch ein überloyaler baierischer Patriotismus sie durch andere Namen zu verdrängen versucht, doch noch bis auf den heutigen Tag im Munde des echten Nürnbergers gebräuchlich sind. Das eigentliche Marktleben selbst hat sich übrigens schon seit langen Jahren größtentheils auf dem sogenannten großen „Herrenmarkt“ entfaltet. Hier trifft man vorzugsweise reichhaltig die charakteristischen Typen der Marktbevölkerung, welche unser Zeichner dem Beschauer in treuer Wiedergabe vorstellt.
Im Mittelpunkte der Gruppe ist es vor Allem der Oberpfälzer Bauer, welcher, mit einer Obstbäuerin aus dem Vorlande der Fränkischen Schweiz in lebhaftem Handel begriffen, unsere Aufmerksamkeit fesselt. Der Tuchrock und die großen silbernen Knöpfe der kurzen Weste – zumeist noch aus Münzen des vorigen Jahrhunderts bestehend – deuten auf den wohlhabenden Grundbesitzer. Das Gesicht der gemüthlichen Obstbäuerin ist von einem schwarzseidenen, an beiden Seiten der Schläfe zusammengerafften Kopftuche eingerahmt, eine Tracht, die wir dem Grundcharakter nach in vielen Gegenden Baierns wiederfinden.
Aus der dicken Bäuerin links unter dem an der Mütze kenntlichen Marktofficianten ersehen wir, daß Oberfranken trotz seines obigen hagern Vertreters doch seine Leute noch zu nähren weiß. Hier sind es nicht die in viele wulstige Falten gelegten Röcke, wie bei der links unten mit einem Boten sich unterhaltenden Gemüsehändlerin aus dem sogenannten Knoblauchslande, welche den Umfang der Gestalt bis in’s Unendliche erweitern – hier haben wir unbestreitbar vielmehr die Wirkung nahrhafter Mehlspeisen, von denen besonders Schwemmklöße mit Peterle (Petersilie) landesüblich, sowie eines ausgiebigen Biergenusses vor uns. Aus der merkwürdigen Haube der unteren Bäuerinnen ersehen wir das oft Bemerkte, daß Volkstrachten weniger dem Bedürfniß, als einem bäuerischen Nachäffen vornehmer Moden früherer Jahrhunderte entsprungen sind. Die spitze Zuckerhutmütze mit ihren lang herabfallenden Bändern ist lediglich eine rohe Kopie der burgundischen Haube, wie sie zu Zeiten Maria’s von Burgund, der Gemahlin Max des Ersten, unter den vornehmen Ständen üblich war. (Vergl. „Teuerdank’s Brautfahrt“, Jahrgang 1877, S. 694.)
Annähernd ähnlich, wenn auch mit einem Kopftuche überbunden, präsentirt sich uns die Bäuerin rechts neben dem Maurer, welcher, den Glimmstengel zwischen den Zähnen, höchst beschaulich des Einuhrschlagens von der nahen Frauenkirche harrt. Die wohlgenährte Figur rechts unten beweist, daß selbst das Sammeln der Haderlumpen des Lebens Nothdurft zur Genüge gewährt. Neben ihr dampft ein Bäuerlein wohlgemuth den eigengebauten Tabak. Daß es Aepfel und nicht, um gut Nürnbergisch zu reden, Potaken (Kartoffeln) sind, welche das Handelsobject nicht nur der alten, sondern auch der jüngeren bequem zuwartenden Bäuerin bilden, zeigt der still vergnügt in den geschenkten Apfel hineinbeißende junge Oberpfälzer an. Obst gehört nun eigentlich auf den nahegelegenen Obstmarkt, wo das weltberühmte „Gänsemännchen“ von seinem Brunnen beschaulich auf all die herrlichen Früchte blickt, welche namentlich zur Herbstzeit in Säcken und Körben den weiten Platz füllen. Die noch übrigen Gestalten im Hintergrunde unseres Bildes, vom ritterlich bärtigen Bier-Verständigen bis zum absegelnden Jungfräulein, bedürfen keiner Erklärung.
Treue Cameradschaft. In Nr. 49, Jahrgang 1870, brachten wir unter „Blätter und Blüten“ ein „Erinnerungsblatt für die Opfer von Laon“. Unsere Leser werden sich noch der Katastrophe vom 9. September 1870 erinnern, der eine größere Anzahl deutscher Soldaten zum Opfer fiel. Unter Anknüpfung an das eben erwähnte Erinnerungsblatt heute Folgendes:
Der in der Provinz Sachsen bestehende „Provinzialverein ehemaliger Jäger und Schützen“ pflegt alljährlich am Jahrestage der Katastrophe von Laon das gemeinschaftliche Grab seiner bei der Explosion des Pulvermagazins gefallenen Cameraden – fünf Oberjäger und siebenunddreißig Jäger der ersten Compagnie des Magdeburgischen Jägerbataillons Nr. 4 – welche auf dem Friedhofe zu Laon ihre letzte Ruhestätte gefunden haben mit Blumen und Kränzen schmücken zu lassen. So auch im vorigen Jahre, wo der Maire von Laon die Bekränzung gütigst übernommen hatte. Als nun obiger Verein am 7. Juli dieses Jahres in Naumburg an der Saale sein fünftes Stiftungsfest feierte, ging an denselben nachstehender Brief ein, der uns auf unsern Wunsch durch die Güte des Herrn Vorsitzenden zum Abdruck überlassen worden:
Im Jahre 1877 bereiste ich geschäftlich mehrere Provinzen Frankreichs, und so kam ich am 9. September, einem Sonntage, also am Jahrestage der Sprengung der Citadelle durch die Franzosen (1870) nach Laon. Nur einige wenige Gebäude ließen noch von der Katastrophe etwas erblicken, und indem ich langsam durch die Straßen der Stadt schlenderte, fuhr es mir durch den Sinn: Du mußt das Grab der hier gefallenen Jäger besuchen. Gewiß steht dasselbe heute kahl und verlassen da, und nicht eine Hand hat es zu seinem heutigen Jahrestage schmücken können. Ich will es im Namen vieler Anderer thun. Gedacht, gethan! Nachdem ich mir für meinen Zweck einen Kranz besorgt, machte ich mich auf den Weg und erreichte nach einigem Befragen die Ruhestätten.
Verehrte Herren des ‚Provinzialvereins der Jäger und Schützen‘, Sie werden wissen, was ich sagen will. Ich fand das Grab mitten im Feindeslande reich mit Blumen und Kränzen geschmückt, ja so geschmückt, daß Blumen und Blätter dicht neben einander lagen und Kränze die am Kreuze geschriebenen Worte bedeckten. Bald erfuhr ich, daß Ihr Verein es ist, welcher alljährlich für Bekränzung dieses Grabes Sorge trägt. Ich legte meinen Kranz auf die Blumen und Blätter, und dem Drange meines Herzens folgend, welches durch die cameradschaftliche Liebe tief gerührt war, faltete ich unwillkürlich die Hände. Verehrte Herren, es war mir, als ob mir alle die kleinen Blumen freundlich zunickten, als ob sie mir alle herzlichsten Dank der Todten an Sie auftragen wollten, und als ich nach einem einstündigen Aufenthalte dem Grabe mein leises ‚Lebewohl‘ zurief, war es mir wieder, als ob mit tausend Stimmen mir nachgeflüstert würde: ‚Grüß, grüß unsere Kameraden daheim!‘ Indem ich dieser heiligen Pflicht, dem Drange meines Herzens hiermit Folge leiste, spreche ich Ihnen, schon aus Anerkennung dessen, was Sie an diesem Grabe thun, meine höchste Achtung aus und schließe mit dem Wunsche: möge Ihr Verein blühen, wachsen und erstarken! L. W.“
Ehre einer so thatbereiten cameradschaftlichen Pietät!
Schiffbruch vor dem Hafen. (Zu dem Bilde S. 613.) Wo sind sie hin, die so behäbigen, wenn nicht asketisch hageren Gestalten, welche dem Humor des Volkes und des Künstlers so oft als willkommene Angriffspunkte dienen mußten – die Bettelmönche des deutschen Katholicismus? Kaum fünf Jahre sind es her, daß sie noch friedlich in ihren grauen verschwiegenen Mauern saßen wie die Käuzchen, um dieselben nur zu verlassen, wenn es galt, Beute zu machen. Beute an Seelen und Beute an greifbaren Dingen, welche einzusammeln seit des heiligen Franciscus Zeiten das Privileg aller Mitglieder der Bettelorden war. Die Armen mußten ja „terminiren“, das heißt betteln, denn die Armut war eines ihrer Gelübde; und sie haben es redlich gethan, auch als die Orden steinreich wurden denn, wie man klüglich deutete, wenn auch die Orden Vermögen erwarben, die Einzelmönche waren und blieben arm! Da kamen denn wohl so tragikomische Situationen vor, wie unser Bild sie zeichnet: denn selbst ungetrübteste Heiligkeit und zudem die über jeden Zweifel erhabene Geduld eines Maultieres schützen in dieser unvollkommenen Welt nickt davor, daß ein Gurt reißt und ein stürzender Korb das teilweise höchst zerbrechliche Erträgniß einer ergiebigen Bettelreise zu babylonischem Wirrwarr durch einander schüttet. Das Kloster so nahe und der Herr Prior auf dem Ausguck – armer Frater!
Der neue Roman von E. Marlitt. Vielen Anfragen gegenüber fühlen wir die Pflicht, unsern Lesern das folgende Bruchstück eines Briefes mitzutheilen, den die Dichterin der „Goldelse“ so liebenswürdig war, in diesen Tagen an uns zu richten:
„In Bezug auf das Erscheinen meines neuen Romans muß ich vorläufig noch um Geduld bitten. Meine Kränklichkeit verurteilt mich allzu häufig zur unfreiwilligen Rast; von Allem aber hat mich der erschütternde Verlust, den die „Gartenlaube“ um ihre Mitarbeiter im Monat März erlitten, tief gebeugt und meine Schaffenslust für lange unterdrückt… Nunmehr arbeite ich wieder, und ich brauche Ihnen wohl nicht erst zu versichern, daß ich mich mit allem Ernst und allen Kräften bemühe, das dem verewigten Freund gegebene Wort möglichst bald einzulösen – ist es mir doch seit seinem Heimgang doppelt zur Pflicht und Lebensaufgabe geworden, den Platz, den er meiner Feder in seinem Weltblatt angewiesen, durch unbeirrtes Streben und treues Festhalten an seinen Tendenzen und Zielen fort und fort zu behaupten.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 616. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_616.jpg&oldid=- (Version vom 27.10.2019)