Verschiedene: Die Gartenlaube (1878) | |
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Gabriele erbebte; sie zog die Hand zurück.
„Einen Freund, den auch Sie kennen, dem Ihre Jugendliebe galt; sie mußten vor den Flammenblitzen einer mächtigeren Leidenschaft erbleichen, diese Jugendliebe. Für mich bedarf das keiner Erklärung oder Rechtfertigung. Ich weiß am besten, wie mächtig Arno zu fesseln verstand, wo er fesseln wollte. Jetzt ist er todt – und Sie sind frei, Gabriele. Spricht in Ihrer Seele keine Stimme mehr für den Jugendgeliebten?“
„Sie hat nie aufgehört für ihn zu sprechen, selbst da nicht, als man mich von ihm losriß, und doch opferte ich ihn und sein Glück, mußte es opfern, weil eine andere Stimme noch lauter sprach. – Ich kann Arno nicht vergessen.“
„Vergessen?“ wiederholte Brunnow mit schwerer Betonung. „Nein, das können Sie nicht, und so wie ihn können Sie auch keinen Anderen lieben. – Ich glaube es Ihnen.“
„Nein,“ sagte Gabriele fest. „Und eben deshalb kann ich nicht Georg gehören.“
„Muß man denn immer selbst glücklich sein?“ fragte Brunnow düster. „Es ist ja ein Großes, glücklich zu machen. Winterfeld ist bei meinem Sohne. Ein Zufall führte ihn her; er ahnte nichts von Ihrer Nähe, bis ich ihm Nachricht davon gab. Da brach sein Schweigen und seine Zurückhaltung, und ich habe einen Blick gethan in die Tiefe seiner Liebe, die Ihnen noch immer so heiß und voll entgegenströmt wie einst. Er wird nie in anderen Banden Ersatz finden; ich kenne ihn. Er wird einsam durch das Leben gehen, und mitten in all den Erfolgen, die seiner warten, nur die Leere fühlen, welche jene Abschiedsstunde zurückließ. Sie sind noch so jung, Gabriele, Sie haben noch ein ganzes Leben einzusetzen. Setzen Sie es für ihn ein! Er verdient es.“
Sie wandte sich heftig ab. „Nicht weiter, Herr Doctor! Verschonen Sie mich mit diesen Erinnerungen! Wenn Sie in Georg’s Namen sprechen –“
„Er weiß nichts von meinem Hiersein,“ unterbrach sie der Doctor. „Er würde mich im Gegentheil zurückgehalten haben. Glauben Sie nicht, daß Georg Ihnen je wieder freiwillig nahen wird! Er wies den Gedanken daran mit vollster Heftigkeit zurück, und er hat Recht. Sie haben ihn damals gehen heißen – Sie müssen ihn auch wieder zurückrufen.“
Gabriele preßte im heftigsten Kampfe beide Hände gegen die Brust, als müsse sie dort etwas niederzwingen. „Ich kann nicht, kann nicht! – Und Georg wird die Liebe nicht wollen, die ich ihm jetzt noch bieten kann.“
„Er wird es, denn er ist einer von den selbstlosen Charakteren, die stets mehr geben als sie empfangen.“
Gabriele hob das Auge zu dem Sprechenden empor – es stand ein ernster, trauriger Vorwurf darin.
„Und das alles sagen Sie mir? Sie, der Freund Arno’s, wollen einen Andern an seine Stelle setzen?“
„Nein, beim Himmel, das will ich nicht,“ rief Brunnow auflodernd. „Die Stelle bleibt ihm, und die kann ihm kein Winterfeld rauben. Jene edlen idealen Menschen, die so ruhig ihre Bahnen gehen, denen kein Schatten und kein Makel anhaftet, die bewundert man und stellt man hoch. Naturen wie die Arno Raven’s können kein Glück geben; sie bedrohen selbst das Geliebte mit dem Schatten, der auf ihnen liegt, und doch ist es mehr werth, mit ihnen und für sie zu leiden, mit ihnen unterzugehen, als an der Seite jener Anderen glücklich zu sein. Nicht wahr, Gabriele, das haben Sie auch erfahren?“
Die alte Gluth loderte wieder aus der Asche empor. Die gebeugte Gestalt Brunnow’s hatte sich aufgerichtet, als er leidenschaftlich die Worte herausschleuderte, und in seinen Augen flammte einen Moment lang wieder das Feuer der Jugend. Gabriele hatte den Kopf an seine Schulter gelehnt und weinte – weinte, als ob ihr das Herz brechen sollte.
„Und nun lassen Sie mich nicht ohne Antwort gehen,“ sagte der Doctor nach einer Pause. „Ich habe so selten in meinem Leben Glück bringen können; ich möchte es noch einmal thun, ehe ich – gehe, und ich werde bald gehen. Darf ich Georg eine Hoffnung bringen? Wollen Sie ihn wiedersehen?“
„Ich will es versuchen!“ sagte sie leise. – – –
In dem Brunnow’schen Hause ging es am Nachmittage ein wenig wunderlich zu. Zuerst hatte der Doctor in seinem Studirzimmer eine Unterredung unter vier Augen mit seinem Sohne, die jedenfalls auf Max einen ganz überwältigenden Eindruck machte; denn er überfiel seinen Vater mit einer ebenso stürmischen Umarmung, wie einst den Papa Hofrath. Darauf hatte der junge Arzt in seinem Wohnzimmer ein Gespräch, ebenfalls unter vier Augen, mit seiner Frau, von dem Beide etwas erregt zurückkamen. Dann verschwand Frau Agnes und kam vorläufig nicht wieder zum Vorschein, während Max sich seines Freundes bemächtigte, dem er jetzt überhaupt nicht mehr von der Seite ging. Unter anderen Umständen würde Georg wohl errathen haben, daß irgend etwas Ungewöhnliches vorgehe, aber die Nachricht von heute Morgen raubte ihm alle Unbefangenheit, er hatte Mühe, seine Fassung zu behaupten. Leider trug Max dieser „elegische Stimmung“ durchaus keine Rechnung, obgleich er den Grund derselben kannte. Er war im Gegentheil vollständig rücksichtslos, plagte den Freund mit allen möglichen Fragen und Einfällen und schleppte ihn endlich unter allerlei Vorwänden wieder in den Garten.
„Aber was soll ich denn eigentlich in dem Gartenhause?“ fragte Georg beinahe unwillig. „Ich war ja schon heute Morgen dort und habe die Aussicht bewundert.“
„Diesmal sollst Du ein Arrangement meines Papa bewundern,“ erklärte Max. „Ein Arrangement, das er eigens Dir zu Ehren getroffen hat. Papa ist ausnahmsweise praktisch gewesen. Komm nur mit! Du wirst erstaunen.“
Das Gartenhaus, ein kleiner Pavillon, lag dicht am See und bot allerdings eine herrliche Aussicht.
„Es sind ja Damen dort,“ sagte Winterfeld, als sie sich dem Häuschen näherte.
„Ja wohl,“ versetzte Max gleichgültig. „Agnes hat Besuch bekommen. Ah, da ist sie ja.“
Frau Agnes erschien jetzt wirklich und wechselte einen schnellen Blick des Einverständnisses mit ihrem Manne, der in demselben Augenblicke ein ebenso hinterlistiges wie geschicktes Manöver ausführte. Er ließ den arglosen Freund vorantreten, schob ihn dann ohne Weiteres über die Schwelle und schlug die Thür hinter ihm zu. Dann wandte er sich triumphirend zu seiner Frau:
„So, jetzt sitzen sie in der Falle. Und gnade Gott dem Georg, wenn er nicht als Bräutigam wieder zum Vorschein kommt! Nun gilt es aber vor allen Dingen, eine etwaige Störung fern zu halten. Es schickt sich zwar durchaus nicht mehr für einen Ehemann und Vater, bei einer Liebeserklärung Schildwache zu stehen, aber in Anbetracht der ganz besondere Umstände will ich mich noch einmal dazu herablassen. Geh’ in das Haus, Agnes, und sage dem Papa, es wäre ausgezeichnet geglückt!“
Während Frau Agnes der Weisung ihres Gatten nachkam, spielte drinnen im Pavillon eine kurze, aber inhaltreiche Scene.
„Gabriele!“ rief Georg und machte eine Bewegung ihr entgegen zu stürzen, besann sich aber und blieb stehen. „Baroneß Harder!“
„Georg!“ sagte Gabriele mit sanftem Vorwurf.
„Verzeih’ – ich wußte nicht – ahnte nicht. Wie kommst Du hierher?“
Gabriele senkte die Augen ohne zu antworten, aber gerade in diesem Schweigen lag eine Verheißung, und sie wurde verstanden.
„Wie kommst Du hierher?“ wiederholte Winterfeld mit Leidenschaft. „Gabriele, sprich – wußtest Du, daß ich hier sei?“
„Ja,“ war die leise, aber feste Antwort.
Georg stand jetzt neben der Geliebten, aber er hatte noch nicht einmal ihre Hand erfaßt.
„Wie soll ich das deuten?“ fragte er mit forschender Unruhe und aufquellender Zärtlichkeit; „es ist ja nicht unser erstes Wiedersehen seit dem Tage, wo wir uns fremd wurden, aber Deine Augen haben mir stets gesagt, daß wir uns auch fremd bleiben müßten. Darf ich jetzt endlich etwas Anderes darin lesen?“
Er las es in der That in diesen Augen, die sich ihm voll und bittend zuwendeten. „Georg,“ sagte Gabriele innig, „ich habe Dir einst wehe gethan. Du weißt, was uns trennte, was noch Jahre lang zwischen uns lag. Ich vernichtete damals Dein ganzes Lebensglück; Du hattest keine Klage, kein Wort des Vorwurfs für mich und littest doch so schwer darunter. Ich möchte Dir jetzt so gern das Verlorene zurückgeben. Habe ich denn noch die Macht dazu?“
Es hätte dieser Frage nicht bedurft. Die glühende Innigkeit, mit der Georg die Geliebte an sein Herz schloß, gab ihr
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 615. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_615.jpg&oldid=- (Version vom 1.9.2016)