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Seite:Die Gartenlaube (1878) 600.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


war eine blühende junge Frau geworden, die mit der früheren Sanftmuth jetzt eine gewisse Haltung und Würde verewigte. Ein etwa zweijähriger Knabe spielte zu den Füßen der Mutter; er erblickte kaum die beiden Kommenden, als er sich aufrichtete und noch etwas unbeholfen versuchte, dem Vater entgegenzulaufen. Mit einem Sprunge war Max die Stufen hinauf und hob den Kleinen empor.

„Sieh Dir diesen Jungen an!“ rief er, den derben, rothbackigen Buben mit vollem Vaterstolze seinem Freunde entgegenhaltend. Dann wandte er sich seiner Frau zu.

„Mein liebes Kind,“ sagte er, Georg bleibt vorläufig bei uns. „Er muß leider morgen schon wieder abreisen, bis dahin aber ist er unser Gast. Du bist wohl so gut, die nöthigen Anordnungen zu treffen.“

Die junge Frau war in der That allerliebst, als sie dem Freunde ihres Mannes ihre Freude an dem Besuche aussprach. Dann erhob sie sich, um nachzusehen, ob das Gastzimmer in Ordnung sei.

„Ich nehme den Kleinen mit mir,“ bemerkte sie. Er ist es gewohnt, Vormittags eine Stunde zu schlafen. „Du trägst ihn mir wohl nach dem Schlafzimmer hinauf?“

„Ich werde wohl bei Georg bleiben müssen,“ versetzte Max. „Der Junge muß es endlich lernen, die Treppe allein hinauf zu gehen; er ist groß genug.“

„Wie Du willst, lieber Max,“ erklärte Frau Agnes nachgiebig. „Aber Rudolph ist gewöhnt, von Dir getragen zu werden. Er wird weinen, wenn Du ihm nicht den Willen thust.“

„Das hat er von seiner Mutter!“ sagte Max.

Die junge Frau beugte sich mit unendlicher Sanftmuth nieder und nahm den Kleinen auf den Arm. Es war ein kräftiges Kind, aber doch keine allzuschwere Last; die Mutter schien es jedoch nur sehr mühsam zu tragen und an der Thür mußte sie sogar stehen bleiben, um Athem zu schöpfen, wobei sie einen halb vorwurfsvollen Blick zurücksandte. In der nächsten Secunde war Max an ihrer Seite.

„Wie oft habe ich Dir schon gesagt, daß Du Dich nicht so anstrengen sollst!“ sagte er in seinem alten Commandotone. „Gieb das Kind her! Ich werde es hinauftragen.“

Damit nahm er den Knaben von ihrem Arm und trug ihn wirklich nach dem oberen Stockwerke, wo sich die Wohnung des jungen Paares befand. Frau Agnes neigte gehorsam das Haupt und folgte – sie fügte sich jetzt wie immer dem Willen ihres Mannes.

Georg sah den Beiden mit einem gewissen spöttischen Zucken der Lippen nach.

„Nehmen Sie sich ein Beispiel an meinem Sohne,“ sagte der alte Brunnow, „und machen Sie sich für Ihre dereinstige Ehe kein Programm und keine Paragraphen! Die Frau stellt sie doch insgesammt auf den Kopf.“

Die Worte sollten scherzhaft klingen, aber der Blick des Sprechenden weilte dabei forschend mit tiefem Ernste auf dem jungen Manne, der leise den Kopf schüttelte.

„Meine dereinstige Ehe?“ wiederholte er. „Ich werde mich nie vermählen. Sie kennen ja meinen Entschluß.“

„Ja, aber ich habe ihn stets bekämpft. In Ihrem Alter schließt man noch nicht für immer mit dem Glücke ab, und Sie gerade sind am wenigsten für das Alleinstehen geschaffen. Der Ehrgeiz wird nie Ihr ganzes Leben ausfüllen. Sie brauchen die Familienbande.“

Winterfeld antwortete nicht; er stützte sich auf das Gitter der Veranda und sah auf den See hinaus. Der Doctor legte die Hand auf seine Schulter.

„Georg, blutet die alte Wunde noch immer?“

Georg wandte sich um. In dem Blicke, der so düster dem seinigen begegnete, fand er eine verwandte Stimmung.

„Es giebt Wunden, die sich niemals schließen,“ versetzte er. „Ich konnte vielleicht nicht so leidenschaftlich aufflammen wie Andere, was ich aber einmal mit ganzer Seele umfasse, das halte ich auch für immer fest. Ich kann mich nicht davon losreißen, und ich will es auch nicht.“

„Haben Sie Gabriele in der letzten Zeit wiedergesehen?“ fragte Brunnow nach einer Pause.

„Ja, und viel öfter, als für meine Ruhe gut ist. Ich verkehre ja jetzt viel in den Kreisen wo sie lebt, und in der Residenz läßt sich ein unerwartetes Zusammentreffen nicht vermeiden. Oft steht sie mitten in irgend einem glänzenden Gewühl von Gästen vor mir, und wir müssen Beide der Begegnung Stand halten, wenn wir auch fliehen möchten, so weit als möglich. Hätte ich sie nicht wiedergesehen seit dem Tage, wo ich sie verlor, es wäre besser gewesen. Diese fortwährenden Begegnungen wühlen immer wieder von Neuem die Vergangenheit auf und rauben mir Kraft und Selbstbeherrschung. Ich leide furchtbar darunter.“

„Es war also doch nur der Zufall, der Sie herführte? Ich dachte es.“

Winterfeld sah den Doctor erstaunt an. „Sie hören ja, daß ich mich auf einer Dienstreise befinde und Sie und Max überraschen wollte.“

„So hat Ihnen Max noch nicht gesagt, daß die Harder’schen Damen hier sind?“

(Schluß folgt.)



Blätter und Blüthen.

Theodor Döring. Berliner Blätter bringen die Trauerkunde, daß der Altmeister deutscher Schauspielkunst, Theodor Döring, am 17. August in Berlin gestorben ist. Wir haben bereits in zwei illustrirten Artikeln unseres Blattes (Nr. 29, 1863 und Nr. 34, 1874) theils dem genialen Künstler eine eingehende Biographie gewidmet, theils einige Anekdoten mitgetheilt aus dem reichen Schatz, der sich an seine theatralische Laufbahn knüpft, so bleibt uns jetzt nur übrig, der tiefen Trauer Ausdruck zu geben, die uns und das ganze deutsche Volk bei diesem schmerzlichen Verluste durchdringt. Mit seltener Rüstigkeit und ungeschwächtem Humor hatte der Fünfundsiebenzigjährige noch in der letzten Saison seine schöpferische Kraft der Berliner Hofbühne gewidmet. Drei Jahre erst sind verflossen, seitdem das fünfzigjährige Künstlerjubiläum des Verstorbenen in Deutschland, besonders in Berlin und Leipzig festlich begangen wurde (am 25. Januar 1875). Da mußte er in diesem Sommer Heilung eines Magenleidens in Hamburg suchen; aber er kehrte kränker zurück und starb bald darauf in Berlin.

Was das ursprüngliche Talent theatralischer Darstellung betrifft, braucht Döring keinen Vergleich mit den gepriesensten Künstlern zu scheuen. Die Kunst der Nachahmung war ihm angeboren; selbst ohne die Mittel der Schminke und der scenischen Illusionen vermochte er Persönlichkeiten in dem Ausdruck ihres Mienenspieles wie ihres ganzen Wesens mit fast photographischer Treue wiederzugeben; er war ein Meister darin, die Organe und Sprachweisen der Menschen nachzuahmen. In dieser Selbstentäußerung und Verwandlungsfähigkeit liegt aber das Hauptgeheimniß der dramatischen Kunst. Mit einem genialen, oft kaustischen Humor ausgestattet, war Döring wie wenige berufen, die Humoristen des großen britischen Dichters auf der deutschen Bühne einzubürgern; sein unübertrefflicher Falstaff und sein meisterhafter Malvolio bezeichnen die Höhepunkte dessen, was er auf diesem Gebiete geleistet hat. Er zeichnete ferne Gestalten mit solcher Schärfe, daß sie für die Bühne typisch wurden: sein Elias Krumm, sein Commissionsrath Frisch, sein Banquier Müller waren solche unvergeßliche Gebilde des ergötzlichsten Humors, denen gegenüber den andern Künstlern nichts übrig blieb, als die Nachahmung und die Copie; doch auch sein Franz Moor, sein Nathan, sein Shylock und Mephisto waren interessante Charaktere, mit der markigen Energie eines hervorragenden Genius gezeichnet; man mochte hier und dort mit der Auffassung des Künstlers rechten, aber man mußte zugeben, daß seine Schöpfungen aus Einem Guß und jederzeit von tonangebender Bedeutung für die Bühne waren.

Immer mehr lichtet sich die alte Garde des Berliner Hofschauspiels; mit Döring hat dasselbe seine letzte Berühmtheit verloren. Er gehörte noch jener alten Schule an, welche durch geniale Instincte und Eingebungen zu wirken verstand und auch außer der Bühne sich populär zu machen wußte, ihre Kunst nicht wie einen Stern vornehm unter dem Ueberrock verbarg, sondern in allen heiteren Kreisen ihre mimischen und pantomimischen Feuerwerke zum Besten gab. Alles Langweilige, theaterakademisch Zurechtgeschneiderte war diesem noch in hohen Jahren frischen und ursprünglichen Kunstgenie zuwider. Das Berliner Publicum vor Allem wird die Erinnerung an seine hervorragenden Leistungen sowohl, wie an seine joviale, oft sarkastische, stets gutmüthige Persönlichkeit treu bewahren, die deutsche Kunstgeschichte aber ihm einen bleibenden Platz in dem Pantheon gönnen, in welchem die Unsterblichen aus dem Gefolge der Thalia und Melpomene eine Stätte finden.

Indem wir dem ausgezeichneten Künstler und Menschen an seiner Gruft ein wehmütiges Lebewohl nachrufen, verbuchen wir damit den Wunsch, daß das Genie deutscher dramatischer Schauspielkunst nicht mit den Meistern aussterben, sondern sich stets erneuern möge in jüngeren Kräften zur Freude des kommenden Geschlechtes.



Kleiner Briefkasten.

M. M. in R. Wir kennen allerdings in einer norddeutschen Seestadt eine sehr empfehlenswerte Privat-Pension für junge Ausländer, deren Adresse wir Ihnen, wenn Sie es wünschen, gern mittheilen.

Düsseldorf. Ollendorff’sche Methode.

W. v. M. in L. Sie scheinen vergessen zu haben, daß die Herstellung einer „Gartenlauben“-Nummer circa drei Wochen in Anspruch nimmt.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 600. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_600.jpg&oldid=- (Version vom 1.9.2016)