Verschiedene: Die Gartenlaube (1878) | |
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Für Freiheit nährtest Du, für Menschenrechte
Ein unverbrüchlich heiliges Gefühl;
Für alles edel Schöne, mannhaft Echte
Ein Anwalt warst Du Allen, die da litten
Bereit zur Hülfe, ohne Falsch im Rath;
Weichherzig fanden Dich der Armuth Bitten,
Und Keiner bat umsonst, der würdig bat.
Es weht darüber hin der Frühlingswind.
Mir ist’s, als rief ein Gott mir aus den Zweigen:
„Sieh hin, wie sterblich Eure Besten sind!“
Ich weiß, ich weiß – es wälzt auf blut’gem Raine
Und Trost gewährt dem Herzen nur dies Eine:
Es stirbt der Mensch – unsterblich lebt die That.
Unsterblich auch, was Du vollbracht! Wie Sterne
Steht eingeprägt in Deines Volkes Buch
Was Gutes Du gewirkt hast, Zug um Zug.
Horch! aus dem Grabesschmuck mit leichtem Flügel
Schwirrt eine Amsel – Stille sonst und Ruh’ –
Und von dem frischen thaubeperlten Hügel
Im März 1878.
„Undankbarkeit? Habe ich denn ein Recht, Dankbarkeit von jenen Menschen zu verlangen?“ fragte Raven mit ruhiger Bitterkeit. „Zwischen uns hat nie irgend ein Band des Vertrauens existirt. Sie brauchten mich zur Ausführung ihrer Pläne, und ich brauchte sie um emporzusteigen. Es war ein ewiger Kriegszustand, ein ewiges Abwägen der gegenseitigen Kräfte. Ich habe sie oft genug die Macht des gehaßten Empörkömmlings fühlen lassen; jetzt, da die Macht in ihren Händen ist, stürzen sie mich. Ich konnte und durfte nichts Anderes erwarten, aber ich fühle jetzt, daß Rudolph Recht hat. Es ist doch etwas werth, an sich selber und an seine Ideale zu glauben. Wer mit und für seine Ueberzeugung fällt, der kann auch den Fall ertragen. Wer wie ich die besten Kräfte seines Lebens an eine Sache setzte, der er kein Herz entgegenbrachte und die er im Grunde seiner Seele anklagen und verachten mußte, dem bleibt nichts, woran er sich im Sturze halten kann.“
„Und ich?“ sagte Gabriele vorwurfsvoll.
„Ja Du!“ rief der Freiherr mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit aufflammend. „Du bist mir noch allein geblieben. Ohne Dich hätte ich dieses Ende nicht ertragen.“
„Wirst Du es denn überhaupt ertragen?“ fragte das junge Mädchen beklommen. „Ach, Arno, mir ist, als könnte auch ich Dich nicht mit einer Zukunft versöhnen, in der alles fehlt, was Dein eigentliches Leben ausmacht. Du wirst Dich verzehren in der Einsamkeit, auch wenn ich an Deiner Seite bin.“
„Laß das jetzt!“ sagte Raven sanft ablenkend. „Davon sprechen wir später. Ich habe den Schleier von meiner Vergangenheit gezogen; Du solltest sie und mich ganz kennen lernen. Jetzt aber ist es genug mit den düsteren Erinnerungen; sie sollen uns nicht länger diese Stunde trüben.“
Er richtete sich empor mit einem Ausdruck, als wolle er alles Quälende weit hinter sich werfen. Sie war in der That schön, diese Stunde in der mondbeglänzten Einsamkeit des Gartens. Die halbentlaubten Bäume, die blumen- und duftlose Erde, all die traurigen Zeugen des Herbstes schienen ihren längst verlorenen Reiz zurückzugewinnen in dem geisterhaften Lichte, das so mild verschleierte, was ihnen die Herbststürme geraubt hatten, und sie in seinen verklärenden Glanz tauchte.
In träumender Stille lag der Schloßgarten und die weite Landschaft, auf die er den Blick eröffnete. Jetzt leuchtete sie freilich nicht mehr in der goldigen Klarheit des Sommertages; heut ruhte das Thal halb verborgen im duftigen Schimmer der Mondnacht. Vom Fuße des Schloßberges her blinkten die Lichter der Stadt herauf, deren Dächer und Thürme sich hellbeschienen in die Nachtluft emporhoben. Deutlich standen die nächsten Berggipfel da; die zackigen Felshäupter schienen sich von der dunklen Masse Gebirges loszulösen, aber weiterhin wurden die Linien zarter, unbestimmter und die ferneren Höhenzüge verschwanden ganz im bläulich schimmernden Duft. Das bleiche Licht überströmte wie mit unendlichem Frieden all die Wälder, die Höhen und Ortschaften ringsum. Unten im Thale, auf den Wiesen und Feldern regte sich geheimnißvolles Nebelweben, nur hier und da blitzte eine der Windungen des Flusses auf. Hoch oben wölbte sich der Himmel in seiner Sternenpracht, und über dem Allen lag es wie ein zarter, durchsichtiger Schleier, aus Mondesstrahlen und Nebelduft gewoben – es war ein Bild von traumhafter Schönheit und tiefer unaussprechlicher Ruhe.
Auch hier oben schwebte der Nebelduft über dem Rasen, und der Mondesstrahl webte ringsum seine phantastischen Gebilde. Die grauen, moosbewachsenen Gestalten des Nixenbrunnens schienen Leben zu gewinnen in diesen Strahlen; es war, als regten sie sich unter dem feuchten Wasserschleier, der, voll und ganz von dem weißen Lichte getroffen, wie ein funkelnder Silberregen aussprühte und wieder niedersank. In sein Rieseln und Rauschen mischten sich all die Stimmen, die nur in der Sage der Nacht aufwachen, dunkel und räthselhaft wie die Nacht selbst. Der Wind ruhte; die Luft war völlig unbewegt, und doch regte sich oft ein Flüstern und Wehen das wie Geisterhauch vorüberzog und dahinstarb.
Der Abend war so mild und klar, daß man sich in den Frühling zurückträumen konnte, und es war auch ein Frühlingstraum, der jetzt durch die Seele Raven’s zog. Freilich ein später, kurzer Traum, aber für ihn drängte sich darin doch alle Seligkeit zusammen, welche die Erde nur zu geben vermag, und dies Geständniß strömte jetzt heiß und innig über seine Lippen, während er das holde junge Wesen in den Armen hielt, das ihn Liebe und Glück kennen gelehrt hatte. Wer Arno Raven in dieser Stunde sah und hörte, der begriff es, daß er trotz seiner Jahre und seiner strengen Verschlossenheit, trotz all der Schattenseiten seines Charakters doch Sieger bleiben mußte gegen jeden Andern, wo er wirklich liebte. All die lang zurückgehaltene Gluth und Zärtlichkeit flammte wieder in ihm auf, jedes Wort, jeder Blick sprach von einer Leidenschaft, die in solcher Macht und Tiefe in keiner Jünglingsbrust, sondern nur in der Seele des Mannes lodern kann. Das fühlte auch Gabriele, als sie, dicht an ihn geschmiegt, das Haupt an seine Schulter gelehnt, mit glückseligem Lächeln zu ihm empor sah. Die trüben beklemmenden Ahnungen hielten nicht Stand vor dem Zauber, den die Nähe des Geliebten ausübte, und in seine Worte hinein klang wieder das Rieseln des Quells, die einförmig süße Melodie, unter der diese Liebe aufgewacht war. Das „Eden von Glückseligkeit“, das einst in der schimmernden Ferne, weit hinter den blauen Bergen zu liegen schien, war jetzt herangeschwebt und umschloß die Beiden. Es war eine Stunde so vollen, reinen Glückes, wie sie das Leben nur einmal geben kann – sie wog aber auch ein ganzes Leben auf.
Unten in der Stadt verkündeten die Uhren langsam und deutlich die elfte Stunde. Der Freiherr zuckte leise zusammen bei dieser Mahnung, dann erhob er sich rasch, wie mit einem gewaltsamen Entschlusse.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 582. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_582.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)