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Seite:Die Gartenlaube (1878) 561.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


braucht kaum erwähnt zu werden, daß es nicht überall des Schaffens neuer, besonderer Vereine bedarf, daß in sehr vielen Fällen bereits bestehende Vereinigungen verschiedener Art, auch dann, wenn die Mitglieder nicht lediglich Arbeitgeber sind, die Arbeit, um die es sich hier handelt, aufnehmen können, so z. B. Gewerke, Innungen, Handwerker, Fabrikanten- und selbst Bildungsvereine.

Diejenigen, welche über Organisation derartiger Vereine und die einschlägige Literatur Aufklärung wünschen, werden gewiß unschwer in ihrer Nähe Männer finden, welche ihnen mit ihrem Rathe zur Seite stehen. Wo dies nicht der Fall ist, giebt ohne allen Zweifel das Secretariat des „Mittelrheinischen Fabrikantenvereins“ in Mainz gern auf einzelne specialisirte Fragen Auskunft.[1]

Möge dieser Mahnruf an meine Genossen nicht ungehört verhallen! Ich wiederhole nochmals: wir Arbeitgeber haben die moralische Pflicht und es liegt in unserem eigenen Interesse, dafür zu sorgen, daß der sociale Friede wiederkehre und dauernd gesichert bleibe. Sorgen wir dafür, daß diejenigen Mißstände unseres socialen und wirtschaftlichen Lebens, über welche die Arbeiter mit Recht sagen, beseitigt werden, sichern wir uns das Vertrauen der Letzteren und ihre Mitwirkung bei unseren Bestrebungen zu ihrem Wohle, und der Erfolg kann nicht ausbleiben.

F. Kalle.



Um hohen Preis.
Von E. Werner.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten und Uebersetzungsrecht vorbehalten.

„Jetzt bin ich frei!“ sagte der Freiherr eintretend. „Ganz frei, meine Gabriele. Jetzt gehöre ich Dir allein.“

Gabriele sah zu ihm auf. Sein Antlitz war bleicher als sonst, aber es lag eine tiefe, ernste Ruhe darauf.

„Der Oberst hat Dir doch nichts Unangenehmes gebracht?“ fragte sie besorgt.

„Nein, nur etwas Nothwendiges!“ erwiderte Raven mit vollster Gelassenheit, aber zugleich entzog er sich, wie zufällig, dem hellen Lichtkreise der Lampe und trat mit dem jungen Mädchen an das Fester. Die Luft wogte herein, kühl zwar, aber mild wie an einem Frühlingsabende, und draußen lag die Gegend im hellsten Mondlichte.

„Ich habe das Fenster geöffnet,“ sagte Gabriele. „Es war so dumpf im Zimmer, und der Abend ist so schön.“

„Ja, sehr schön!“ wiederholte der Freiherr, in Gedanken verloren hinausblickend, dann wandte er sich plötzlich wieder zu seiner jungen Gefährtin. „Du hast Recht, man fühlt sich heute so beengt und gedrückt in den geschlossenen Räumen. Es drängt mich förmlich, einmal draußen im Freien aufzuathmen. Wollen wir hinunter in den Schloßgarten?“

Gabriele willigte sofort ein. Der Freiherr nahm ihren Reiseshawl, der noch auf dem Sopha lag, und hüllte ihn sorgfältig um die schlanke Gestalt; dann verließen sie beide das Zimmer.

Im Schloßgarten herrschte, wie gewöhnlich, Einsamkeit und Stille, aber seine Sommerpracht war längst dahingeschwunden. Das dichte Blätterdach, das ihn sonst in tiefen Schatten hüllte, hatte sich gelichtet; die mächtigen Linden standen halb entlaubt, und das Mondlicht lag voll und klar auf den Rasenflächen. Noch rauschte der Nixenbrunnen und warf unermüdlich die weißen Wasserschleier empor, und die Beiden, denen sein Rauschen so verhängnißvoll geworden war, standen jetzt wieder an seinem Rande, umsprüht von dem fallenden Tropfenregen.

Raven blickte mit einem seltsamen Gemisch von Zärtlichkeit und Düsterheit auf seine Begleiterin nieder. „Die ‚Nixenrache‘ hat mich doch erreicht,“ sagte er halblaut. „Warum wagte ich es auch, der Nixen und ihres Zaubers zu spotten! Ich habe den Ort seit jenem Tage nicht wieder betreten, heute aber zog es mich unwiderstehlich hierher. Einmal noch mußte ich den Quell sehen.“

Gabriele schreckte bei den letzten Worten empor. „Einmal noch? Was heißt das, Arno? Was willst Du damit sagen?“

Es lag eine ahnungsvolle Angst in der Frage. Arno lächelte und strich beruhigend mit der Hand über das blonde Haar des jungen Mädchens.

„Sei doch nicht so schreckhaft! Es heißt nur, daß ich das Schloß und die Stadt in den nächsten Tagen verlassen werde. Der Schlag, von dem Du meintest, daß er nur drohte, ist bereits gefallen – seit heute Morgen habe ich aufgehört, Gouverneur der Provinz zu sein.“

„Also haben sie Dich doch bis zum Aeußersten getrieben,“ sagte Gabriele leise. „Du hast Deine Entlassung genommen?“

„Nein – erhalten!“ Die Lippen des Freiherrn zuckten, aber er vermochte es doch jetzt, das Wort auszusprechen, das eine so grenzenlose Demüthigung für ihn einschloß.

„Erhalten?“ wiederholte Gabriele. „Ohne daß Du darum nachsuchtest? Das ist ja –“

„Beleidigung!“ vollendete Raven, als sie inne hielt. „Oder Verurtheilung, wie Du es nehmen willst. Man läßt dem Gestürzten sonst wenigstens der Welt gegenüber den Ausweg, seinen Abschied selbst zu verlangen. Mir ist auch das versagt worden.“

„Und was wirst Du nun thun?“ fragte Gabriele nach einer Pause.

„Nichts!“ entgegnete der Freiherr kalt. „Meine öffentliche Laufbahn ist zu Ende. Ich werde auf meine Güter gehen und dort – weiter leben.“

„Wirst Du es können, Arno? Du selbst sagtest mir einst, daß Wirken und Herrschen Lebensbedingungen für Dich seien, daß Du ein zweckloses Dasein in dem ruhigen, immer gleichen Kreise des Alltagslebens nicht ertragen würdest.“

„Vielleicht lerne ich es. Es lernt sich ja so Manches im Leben. Ich muß es wenigstens versuchen.“

„Und ich gehe ja mit Dir,“ flüsterte Gabriele mit vollster Innigkeit. „Ich bleibe an Deiner Seite, für immer.“

„Ja wohl – für immer!“ Raven lächelte, wie vorhin, aber er vermied es, Gabrielens Blicken zu begegnen. Er umfaßte sie sanft und zog sie nach der Bank in der Nähe der Fontaine. Dort warf die größte der Linden, die noch zur Hälfte ihren Blätterschmuck trug, ihren Schatten, und dort verrieth das helle Mondlicht nicht jede Bewegung der Züge. Der Freiherr konnte den besorgten, beobachtenden Augen nicht länger Stand halten. Sie waren gefährlich, diese Augen, die mit dem Instincte der Liebe durch alle Schleier hindurchsahen und denen doch etwas verschleiert werden mußte.

Arno saß eine Zeitlang schweigend an Gabrielens Seite. Er empfand den ganzen Frieden dieser Umgebung nach all den Stürmen der letzten Wochen und Monden. Auch in seinem Inneren hatte es ausgestürmt. So lange es noch etwas zu bekämpfen und zu vertheidigen gab, hatte er auf dem Kampfplatze gestanden, äußerlich unbewegt. Wie es in seiner Seele aussah, in dieser furchtbaren Zeit, wo die beiden vorherrschenden Leidenschaften seines Lebens, Stolz und Ehrgeiz, Tag für Tag verwundet, gemartert und durch tausende von Demüthigungen und Quälereien endlich bis zu Tode getroffen wurden – das wußte nur er allein. Jetzt waren Kampf und Qual zu Ende, und die Ruhe eines letzten unabänderlichen Entschlusses nahm auch der Erinnerung ihren schärfste Stachel.

„Gabriele, Du hast noch nicht einmal gefragt, was mich stürzte,“ begann der Freiherr endlich wieder, „und doch kennst Du die Anklage. Glaubst Du daran?“

„Wozu sollte ich erst fragen? Ich wußte ja, daß es nur Lüge und Verleumdung war.“

  1. Ueber die bereits erprobten Maßregeln zum Besten der Arbeiter findet man Vieles in der schon erwähnten Veröffentlichung des preußischen Handelsministeriums, in dem in Berlin bei Leonh. Simion erscheinenden „Arbeiterfreund“, in den bei „Duncker und Humblot“ in Leipzig herauskommenden Schriften des „Vereins für Sozialpolitik“, in den „Mittheilungen des Mittelrheinischen Fabrikantenvereins“ und in der „Société industrielle de Mulhouse“, in dem bei Chr. Limbach in Wiesbaden 1875 erschienenen Schriftchen: Maßregeln zum Besten der Fabrikarbeitern von F. Kalle etc.
    Die Red.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 561. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_561.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2016)