Verschiedene: Die Gartenlaube (1878) | |
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das Herz und die Sinne erfüllt von jenem unsäglichen Zauber, der in den Worten „Jugend“ und „Rom“ gipfelt.
Jahre um Jahre ziehen in’s Land; der Künstler ist in die Heimath zurückgekehrt; er hat Schönes und Edles geschaffen; er ist zu Ansehen und Ruhm gelangt: aber inmitten seiner Triumphe wird er mit stiller Wehmuth an die unberühmten Tage zurückdenken, an die unaussprechlich glücklichen Tage in Rom, an die unaussprechlich glücklichen Tage der Jugend.
Der Hofrath glaubte jetzt den unverwüstlichen Freier los zu werden, aber er irrte sich, der letztere zog, statt zu gehen, einen Stuhl heran und setzte sich ihm gegenüber.
„Sie willigen also in die Verbindung Ihrer Tochter mit mir?“ begann Max wieder.
Moser wollte von Neuem auffahren, besann sich aber, daß er ja sehr zu Schlaganfällen neige und jede Aufregung vermeiden müsse; er erwiderte daher mit möglichster Ruhe:
„Nein und abermals nein! Ich glaube es nicht, daß Agnes sich so weit vergessen kann, Sie zu lieben. Sie hat den Klosterberuf aus freiem Antriebe erwählt; sie ist eine gehorsame Tochter, eine fromme Katholikin.“
„Und wird eine ganz vorzügliche Gattin werden,“ vollendete Max. „Uebrigens bin ich auch Katholik.“
Moser faltete die Hände. „Ja, aber was für einer!“
„Ich meine nur, die Confession würde kein Hinderniß sein. Meine Verhältnisse sind für den Augenblick allerdings noch etwas bescheiden, aber sie würden einer Frau mit nicht allzu hohen Ansprüchen genügen. Was endlich meine Persönlichkeit betrifft, so würde mein Schwiegervater – –“
„Hören Sie auf mit Ihrem ewigen Schwiegervater!“ stöhnte der Hofrath. „Ich will das nicht hören. Sie sind ein entsetzlicher Mensch.“
„Sie werden sich an mich gewöhnen,“ versicherte der junge Arzt. „Ich darf doch morgen wiederkommen um Sie und meine Braut zu sehen?“
Der alte Herr antwortete nicht, um die Unterredung nicht zu verlängern; er wollte den Plagegeist vor allen Dingen aus dem Hause haben. Morgen wollte er sich einschließen, verriegeln; Max schien auch einzusehen, daß er seinem armen Schwiegervater für heute genug zugesetzt habe, denn er ging wirklich, wandte sich aber an der Thür noch einmal um.
„Herr Hofrath!“
„Was wollen Sie denn noch?“ fragte dieser verzweiflungsvoll.
„Wenn Sie mit Agnes die Sache besprechen, vermeiden Sie jede Aufregung dabei! Sie wissen ja, wie gefährlich das ist. Sechs Tropfen von der Arznei in einem Glase Wasser, dreimal täglich, und vor allen Dingen Mäßigung und Ruhe! Ich würde untröstlich sein, wenn meinem lieben Schwiegervater irgend etwas zustieße.“
Damit ging er endlich. Der Hofrath sank wie zerbrochen in seinen Lehnstuhl zurück; jetzt, wo er sich allein überlassen war, wurde ihm erst klar, wie unerhört man ihn behandelte, und er durfte sich nicht einmal ärgern, er mußte sich ja vor Schlaganfällen hüten. – –
Doctor Brunnow hatte übrigens keineswegs so schnell die Wohnung verlassen, wie Moser voraussetzte. Er stand noch draußen im Vorzimmer und hatte den Arm um Agnes gelegt, als ob sich das ganz von selbst verstände und er bereits anerkannter Bräutigam sei. Das junge Mädchen forschte ängstlich nach dem Inhalt der Unterredung und wollte wissen, was der Vater geantwortet habe.
„Für jetzt sagt er noch Nein,“ erklärte Max, „aber sei ohne Sorge! Er wird schon Ja sagen. Ich rechnete auch gar nicht darauf, daß sich die Festung sogleich ergeben würde; sie muß regelrecht belagert werden. Im Ganzen bin ich mit dem Resultat dieses ersten Sturmlaufes zufrieden; es ist bereits Bresche geschossen, und morgen rücke ich weiter vor.“
„Ach, Max,“ flüsterte Agnes unter Thränen, „was steht uns noch alles bevor! Mir sinkt der Muth im Angesichte all dieser Hindernisse. Ich werde sie nie überwinden.“
„Das ist auch nicht nöthig; das ist meine Sache,“ tröstete der junge Arzt. „Ich bleibe hier, bis alles geordnet und unser Hochzeitstag bestimmt ist. Vorläufig hat Dein Vater Zeit, sich mit der Sache vertraut zu machen, und inzwischen werde ich der Frau Aebtissin und dem Herrn Beichtvater, die Du so sehr fürchtest, hochachtungsvoll und ergebenst unsere Verlobung anzeigen.“
Agnes machte eine Bewegung des Schreckens.
„Einen Theil des Sturmes wirst Du freilich auch aushalten müssen,“ fuhr Max fort, „die Hauptsache aber nehme ich auf mich allein. Sei standhaft, meine Agnes! Ich gebe Dir mein Wort darauf: Dein Vater segnet uns noch höchsteigenhändig.“ Und mit diesen Worten und einem Kusse nahm er Abschied von seiner Braut.
Es war in den Morgenstunden des nächsten Tages. Freiherr von Raven befand sich wie gewöhnlich in seinem Arbeitszimmer, und der Polizeidirector war bei ihm. Der Letztere betrat jetzt nur selten das Regierungsgebäude; einerseits machte die vollständig wieder hergestellte Ruhe in der Stadt die häufigen Meldungen und Conferenzen mit dem Gouverneur überflüssig, andrerseits hatte dieser seit der Verhaftung Brunnow’s eine so zurückweisende Kälte angenommen, daß der Polizeichef die Begegnung mit ihm möglichst vermied. Heute aber führte ihn eine nothwendige Besprechung über amtliche Maßregeln her, und der Gegenstand wurde von beiden Herren so kurz und geschäftsmäßig erledigt, wie es nur möglich war.
Trotzdem behielt der Polizeidirector seine gewohnte verbindliche Art bei, wenn er auch nach dem Beispiele des Gouverneurs gleichfalls sehr zurückhaltend war. Er erlaubte sich keine einzige Hindeutung auf die Vorgänge der letzten Tage. Die Haltung des Freiherrn war stolzer als je, aber es lag etwas in dem Wesen Raven’s, was an das zu Tode gehetzte Wild mahnte, das sein nahes Zusammenbrechen fühlt und, noch einmal die letzten Kräfte zusammenraffend, sich seinen Verfolgern stellt. Die Energie, welche noch immer ungebrochen aus der ganzen Erscheinung des Mannes leuchtete, war vielleicht nicht mehr ein Ausfluß der Kraft, sondern nur der Verzweiflung.
Der Polizeidirector hatte einen Theil seines Vortrages beendet. Er sprach von den neuesten Verfügungen, die ihm zugegangen waren, und berührte dabei auch die Freilassung des Doctor Brunnow, als der Freiherr ihm in die Rede fiel:
„Seit wann ist Brunnow aus der Haft entlassen?“
„Seit gestern Mittag.“
„So?“ bemerkte Raven einsilbig.
„Wie ich höre, beabsichtigt der Doctor morgen schon unsere Stadt zu verlassen,“ fuhr der Polizeidirector fort, „er will aber sofort nach der Schweiz zurückkehren und gedenkt auch den Rest seines Lebens dort zuzubringen.“
„Er thut Recht daran,“ sagte der Freiherr. „Wer so lange Jahre im Exil gelebt hat, findet sich selten oder nie wieder in der Heimath zurecht. Das Adoptivvaterland behauptet schließlich seine Rechte.“
Er sprach das gleichgültig, als handelte es sich um einen völlig Fremden, von dessen Begnadigung er zufällig hörte. Der Polizeidirector ließ sich freilich durch diese Gleichgültigkeit nicht täuschen, aber auch ihm war es, trotz seiner scharfen Beobachtungsgabe, noch nicht gelungen einen Blick in dieses streng verschlossene Innere zu thun und zu entdecken, welche Stellung der Freiherr jener Beschuldigung gegenüber eigentlich einzunehmen beabsichtigte.
Das Gespräch wurde unterbrochen; man brachte dem Gouverneur eine Depesche, die soeben aus der Residenz angelangt war ein großes amtliches Schreiben. Er winkte dem Diener,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 534. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_534.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)