Verschiedene: Die Gartenlaube (1878) | |
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Monoxenia Darwinii benannten Koralle darstellen.[1] Das junge Thier erscheint, wie alle seine irdischen Brüder ohne Ausnahme, zunächst als ein kleines, mit Flüssigkeit erfülltes Bläschen (Fig. A), in welchem sich bald darauf ein sogenannter Zellkern bildet (Fig. B). Durch wiederholte, am Zellkern beginnende Theilung oder sogenannte Furchung entstehen daraus nacheinander zwei, vier, acht, sechszehn, zweiunddreißig u. s. w. Zellen, die zuletzt einen dichten, kugelförmigen Haufen von der Gestalt einer Brombeere oder Maulbeere (Morula) bilden (Fig. C. D. E). Dann rücken die einzelnen Zellen in der Mitte auseinander und umschließen in Blasenform einen mit Flüssigkeit gefüllten Hohlraum (Fig. G). Diese inzwischen mit Flimmerhaaren umwachsene Hohlblase (Fig. F) läßt, lustig umherschwimmend, bald darauf eine Einstülpung wahrnehmen (Fig. H), die immer tiefer wird, bis der ursprüngliche Hohlraum völlig verschwunden ist und beide Zellenlagen, sich dicht aneinander schmiegend, einen neuen Hohlraum gebildet haben, der sich bis auf eine kleine Oeffnung schließt (Fig. I. K). Es ist dies ein Abbild der Gasträa, die der Theorie, von der wir sogleich sprechen, ihren Namen gab.
Das Nachdenkliche an der Sache, was eigentlich jeden nicht auf den Kopf gefallenen Zoologen zum Theoretisiren herausfordern müßte, besteht nun darin, daß der eben beschriebene, höchst einfache Entwicklungsgang bei Thieren der verschiedensten Berufsarten, bei Schwämmen und Korallen, Medusen und Würmern, bei Krebsen und Sternthieren, bei Muscheln und Schnecken, ja sogar bei dem niedrigsten Wirbelthier, in ganz derselben Weise verläuft, sodaß unser Gruppenbild nicht allein die ersten Entwicklungsstufen der genannten Koralle, sondern mit nur dem Kenner merklichen Abweichungen auch diejenigen von hundert andern Thieren aus den verschiedensten Abtheilungen des Reiches, die im ausgewachsenen Zustande auch nicht die leisesten Aehnlichkeiten unter einander darbieten, vorstellen könnte. Aber noch mehr, Haeckel hat in einer wichtigen, vor drei Jahren erschienenen Abhandlung über „Die Eifurchung der Thiere“ zu zeigen gesucht, daß obige Entwicklungsstufen bis zur Gasträa-Form, wenn nicht den genauen Umrissen nach, so doch in erkennbar davon abgeleiteten Formen schlechterdings bei allen Thieren, vom niedersten bis zum höchsten, wiederkehren, so daß hier ein allgemein gültiger Grundtypus der ersten Schritte der Thierwelt vorliegt.
Man kann von dieser nicht zu leugnenden Uebereinstimmung der ersten Anläufe aller thierischen Entwicklung zweierlei Erklärungen versuchen, indem man nämlich entweder annimmt, aus rein formellen Ursachen müsse sich überall erst eine Blase mit einfacher Zellenwandung und dann ein doppelwandiger Hohlbauch bilden, oder indem man schließt, jene Reihenfolge sei die Wiederholung des natürlichen Entwicklungsganges der Dinge, und alle eigentlichen Thiere leiteten sich demgemäß von einer der Entwicklungsstufe K im Wesentlichen gleichen Grundform ab. Dies ist die vielberufene Gasträa-Theorie, die zuerst von Haeckel in seinem großen Werke über die Kalkschwämme (1872) aufgestellt wurde und seitdem der Gegenstand ebenso heftiger Angriffe, wie herzlicher Zustimmung gewesen ist.
Für die erstere Meinung sind keine anderen Gründe in’s Feld geführt worden, als eben der, daß die zweite unzulässig sei, und es wird nunmehr unsere Aufgabe sein, zu zeigen, welche Gründe Haeckel veranlassen konnten, eine so kühne Behauptung aufzustellen. Jeder unserer Leser weiß, meistens aus eigener Beobachtung, daß der Frosch in seiner Jugend, als sogenannte Kaulquappe, einem Fische in Gestalt und Lebensweise gleicht, und die Forschung hat gezeigt, daß auch alle höheren Wirbelthiere in ihren frühesten Entwicklungszuständen gewisse Aehnlichkeiten mit den Fischen darbieten. Da nun die Fische nachweisbar die ältesten Wirbelthiere sind, welche schon vor der Bildung unserer Steinkohlenlager im Urmeere lebten, und da die Fische unserer Zeit in ihrer Jugend den damals lebenden Urfischen gleichen, so hat man daraus in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts den Schluß gezogen, diese Aehnlichkeiten kämen daher, weil die niederen Thiere auf dem Wege, höhere Thiere zu werden, stehen gebliebene Anfänger seien. Den geistvolleren Forschern entging keineswegs, daß diese noch heute von einigen Querköpfen festgehaltene Meinung eine Umkehrung von Ursache und Wirkung sei, und dem Vater der neueren Entwicklungsgeschichte, Karl Ernst von Baer, ging bereits 1828 die Ahnung der Gasträa-Theorie auf, als er schrieb: „Je weiter wir in der Entwicklung zurückgehen, um desto mehr finden wir auch in sehr verschiedenen Thieren eine Uebereinstimmung. Wir werden hierdurch zu der Frage geführt: Ob nicht im Beginne der Entwicklung alle Thiere im Wesentlichen sich gleich sind, und ob nicht für alle eine gemeinschaftliche Urform besteht. Da der Keim das unausgebildete Thier selbst ist, so kann man nicht ohne Grund behaupten, daß die einfache Blasenform die gemeinschaftliche Grundform ist, aus der sich alle Thiere nicht nur der Idee nach, sondern historisch entwickeln.“
Diese dämmernden Ahnungen begannen erst eine bestimmte Form anzunehmen, als Haeckel im Jahre 1868 die Darwin’sche Theorie in die Praxis einführte, indem er ein genealogisches System entwarf, d. h. den Stammbaum der Thiere zu zeichnen suchte, wobei er freilich nach Art der Wappenmaler seine Phantasie zu Hülfe nehmen mußte. Hatte doch Darwin, von der Krone des Baumes ganz abgesehen, nicht einmal die Hauptäste angedeutet, ja demselben natürliche Wurzeln abgesprochen. Damals und bei diesen Bemühungen wurde es Haeckel klar, daß die Darwin’sche Theorie ewig ein Gewebe von Meinungen bleiben
- ↑ Die Abbildungen sind mit freundlicher Erlaubniß des Verfassers und Verlegers dem Prachtwerke „Arabische Korallen“ von Ernst Haeckel (Berlin bei G. Reimer 1876) entnommen.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 528. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_528.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)