Verschiedene: Die Gartenlaube (1878) | |
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„Nun, Gott sei Dank, daß die unselige Geschichte ein so glückliches Ende genommen hat! Es brachte mich fast zur Verzweiflung, daß ich die Veranlassung dazu sein mußte. Ich gratulire Dir von Herzen zu Deiner Befreiung, Papa.“
Mit diesen Worten umarmte Max Brunnow herzlich seinen Vater, der mit einem flüchtigen Lächeln erwiderte:
„Die Sache kam mir nicht ganz unerwartet. Ich hatte schon vor einiger Zeit einen ziemlich deutliche Wink erhalten und zwar vom Polizeidirector selbst.“
„Die Presse hat sich aber auch wacker Deiner angenommen.“ sagte Max. „In allen Zeitungen wurde der Ruf nach Begnadigung laut und das Publicum hatte nun vollends vom ersten Tage an leidenschaftlich Partei für Dich genommen.“
Dieses Gespräch fand in der ehemaligen Wohnung des Assessor Winterfeld statt, die dieser bei der schnellen und unerwarteten Abreise von R. seinem Freunde überlassen hatte. Max war unmittelbar nach seiner Genesung wieder dorthin zurückgekehrt und hatte vor einigen Stunden den Vater bei dessen Entlassung aus der Haft abgeholt. Die von allen Seiten erwartete Begnadigung Brunnow’s war nun wirklich erfolgt und mit allgemeiner Genugthuung begrüßt worden. Man hatte schließlich über den Starrsinn des Doctors hinweggesehen, der sich zu keiner Bitte und keinem Schritte seinerseits verstehen wollte; er war vollständig amnestirt worden. Trotzdem sah er düster und niedergeschlagen aus. Er war blaß und offenbar angegriffen. Max dagegen war völlig unverändert. Seine kräftige Natur hatte, wie er vorausgesehen, ungemein rasch die Folgen der Krankheit überwunden, nur die frische Narbe auf der Stirn erinnerte noch daran. Im Uebrigen aber war das sonst ziemlich rücksichtslose Benehmen des jungen Mannes der rücksichtsvollsten Herzlichkeit dem Vater gegenüber gewichen. Er empfand tief die Aufopferung desselben, und auch Brunnow fühlte jetzt erst, was der Sohn ihm werth war. Jene Stunde am Krankenbette hatte das einst so gespannte Verhältniß zwischen den Beiden in das innigste Einverständniß gewandelt.
„Nun aber zu andere Dingen!“ sagte Max abbrechend. „Ich habe Dir ein Geständniß zu machen. Sieh mich einmal an, Papa. Bemerkst Du gar nichts Außergewöhnliches an mir?“
Brunnow musterte ihn etwas verwundert vom Kopfe bis zu den Füßen. „Nein, Ich finde nur, daß Du Dich außerordentlich schnell erholt hast; sonst bemerke ich nichts.“
Max richtete sich würdevoll empor, trat dicht vor seinen Vater hin und erklärte mit Selbstgefühl:
„Ich bin Bräutigam.“
„Bräutigam – Du?“ wiederholte der Doctor überrascht.
„Schon seit mehreren Wochen. Es stand in der letzten Zeit allzuviel für uns auf dem Spiele, als daß ich Dich mit meinen Herzensangelegenheiten hätte behelligen können. Jetzt aber, wo Du frei und gerettet bist, bitte ich um Deine Zustimmung. Du kennst meine Braut bereits; es ist Hofrath Moser’s Tochter.“
„Wie, doch nicht etwa das junge Mädchen, das mir Auskunft über Dein Befinden gab? Unmöglich!“
„Weshalb unmöglich? Mißfällt Dir Agnes?“
„Das nicht, aber diese zarte, blasse Erscheinung, mit den schwärmerisch dunklen Augen ist doch sicher nicht Dein Geschmack. Und dann diese seltsame nonnenhafte Kleidung; ich glaubte eine barmherzige Schwester zu sehen, die man zu Deiner Pflege hergerufen hatte.“
„Sie will auch in’s Kloster gehen,“ sagte Max. „Ich werde mich wohl noch mit der Frau Aebtissin, dem Herrn Beichtvater und einem halben Dutzend Hochwürdigen herumschlagen müssen, ehe es zur Trauung kommt.“
„Aber Max!“ fiel der Vater ein.
„Agnes ist ausnehmend zart und auch kränklich,“ fuhr Max fort, „aber es ist nichts Gefährliches, nur nervöse Ueberreizung. Ich werde sie schon gesund machen, wofür bin ich denn Arzt? Vom Hauswesen versteht sie allerdings leider gar nichts.“
„Da Du Dein Heirathsprogramm so ausgezeichnet inne hältst,“ spottete Brunnow, „wie steht es denn mit dem ersten und Hauptparagraphen desselben, mit dem Vermögen, das Du für unerläßlich erklärtest?“
Der junge Arzt machte ein ziemlich verlegenes Gesicht.
„Pah, ich habe eingesehen, daß es gar nicht darauf ankommt. Traust Du mir nicht die Fähigkeit zu, meine Frau und meinen Hausstand allein zu erhalten? Auf Vermögen kann ich allerdings nicht rechnen.“
„Nun, das muß man sagen, Du gehst consequent zu Werke,“ brach der Vater aus. „Das läuft ja Alles auf das directe Gegentheil Deiner früheren Ansichten hinaus. Was ist denn eigentlich mit Dir vorgegangen?“
Max seufzte tief auf. „Ich weiß es nicht, aber ich glaube, der Idealismus ist jetzt auch bei mir zum Durchbruch gekommen. Du hast Dir Dein Lebenlang umsonst Mühe gegeben, ihn mir beizubringen. Agnes ist das in wenigen Woche gelungen, und da Du diese Eigenschaft stets bei mir vermißt hast, so hoffe ich, Du wirst darüber entzückt sein.“
Der Doctor sah nichts weniger als entzückt aus. Er betrachtete den so plötzlich ausgebrochenen Idealismus seines Sohnes mit offenbarem Mißtrauen.
„Aber Max, das geht nimmermehr,“ sagte er kopfschüttelnd. „Ein junges Mädchen, in Klosterideen erzogen, zur religiösen Schwärmerei geneigt, die Tochter eines Bureaukraten vom reinsten Wasser, willst Du in unsere Lebenskreise und Lebensanschauungen verpflanzen? So bedenke doch –“
„Ich bedenke gar nichts, sondern ich heirathe,“ unterbrach ihn Max. „Alles, was Du mir da einwirfst, habe ich mir hundertmal selbst vorgehalten, es hat aber nichts geholfen. Ich muß Agnes haben, und sollte ich alle Hindernisse, inclusive den Papa Hofrath und seine weiße Halsbinde, im Sturme nehmen.“
„Ja, der Hofrath,“ fiel Brunnow ein. „Was sagt er denn zu der Sache?“
„Vorläufig noch gar nichts, denn er weiß noch nichts davon. Ich konnte ihn begreiflicher Weise nicht um die Hand seiner Tochter bitten, während Du als ehemaliger Hochverräther im Gefängnisse saßest, jetzt aber werde ich mit meinem Antrage nicht länger zögern. Er wird mich zur Thür hinauswerfen, wenigstens wird er die freundliche Absicht äußern, es zu thun, aber ich bin nicht so leicht von einem Platze fortzubringen, den ich behaupten will. Ich halte Stand. – Sieh nicht so bedenklich aus, Papa. Ich versichere Dir, wenn Du Agnes erst kennst, so wirst Du zugeben, daß diese Verlobung der gescheiteste Streich meines ganzen Lebens war.“
Der Doctor mußte wider Willen lächeln. Wir wollen es abwarten. Wenn Du aber, wie vorauszusehen, einen längeren Widerstand bei dem Vater Deiner Braut zu überwinden hast, so werde ich sie für jetzt kaum sehen und sprechen können. Ich reise ja schon übermorgen nach Hause.“
„So gieb doch endlich diese Idee auf!“ bat Max. „Weshalb willst Du nicht warten, bis ich Dich begleite? Unsere Erbschaftsangelegenheit ist zwar glücklich beendigt, aber es ist noch so Manches zu erledigen. So hat sich zum Beispiel ein Käufer für das Gut des Vetters gefunden, und es wäre wohl am besten, wenn er persönlich mit Dir Rücksprache nehmen könnte.“
„Nein, nein!“ wehrte Brunnow ab. „Du hast ja hinreichende Vollmacht und erledigst dergleichen praktische Dinge viel besser, als ich selber. Ich will fort, so bald wie möglich.“
„Ich begreife Dich wirklich nicht,“ meinte Max, „Du hast Dich so oft noch dem Vaterlande gesehnt, und jetzt, wo es Dir wieder offen steht, fliehest Du es förmlich.“
Brunnow hatte sich niedergesetzt und stützte den Kopf in die Hand; der schmerzliche, gramvolle Zug in seinem Antlitz trat deutlicher als je hervor, als er entgegnete:
„Ich bin fremd geworden in meinem Vaterlande. Und glaubst Du, es macht mir Freude, wenn ich bei den Enthüllungen über die Vergangenheit Raven’s als Zeuge aufgerufen werde? Ich muß antworten, wenn man mich fragt, und ich will nicht gefragt sein, wenigstens hier nicht.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 512. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_512.jpg&oldid=- (Version vom 19.8.2016)