Verschiedene: Die Gartenlaube (1878) | |
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Seine Haltung und Begrüßung hatten jedoch durchaus nichts Amtliches; sie waren höflich und zuvorkommend, als handele es sich um einen einfachen Besuch.
„Ich komme, Herr Doctor, um Ihnen den Besuch Ihres Sohnes anzukündigen,“ begann er. „Sie hatten ja regelmäßige Nachrichten über sein Befinden und wissen, daß er weit genug hergestellt ist, um ohne jede Gefahr den Ausgang unternehmen zu können. Er wird um zwölf Uhr bei Ihnen sein. Ich wollte es mir nicht versagen, Ihnen das selbst mitzutheilen.“
„Sie sind in der That sehr gütig,“ entgegnete Brunnow gleichfalls höflich, aber etwas einsilbig und mit offenbarer Zurückhaltung.
„Ich wünschte mich gleichzeitig zu überzeugen, ob meine Anordnungen auch in vollem Maße erfüllt worden sind,“ fuhr der Polizeidirector fort. „Es ist Ihnen doch jede Erleichterung gewährt worden, welche die Haft nur irgend zuließ? Oder haben Sie sich über irgend etwas zu beklagen?“
„Durchaus nicht! Es wäre mir im Gegentheil interessant, zu erfahren, wem ich die ganz ungewöhnliche Rücksicht und Schonung verdanke, die mir vom ersten Augenblicke meiner Gefangenschaft an zu Theil geworden ist.“
„Nun, doch wohl zunächst der eigenthümlichen Veranlassung zu Ihrer Rückkehr. Man ehrt die Sorge des Vaters um den Sohn.“
„Sollte das der alleinige Grund sein?“ fragte der Doctor, mit einem forschenden Blick. „Ich weiß von meinem früheren Aufenthalte in den Staatsgefängnissen her, wie wenig solche persönliche Rücksichten dort maßgebend sind. Ich hatte Gelegenheit, ganz andere und schlimmere Erfahrungen zu machen.“
„Das hat sich geändert,“ meinte der Polizeichef unbefangen, ohne den bitteren Ton bemerken zu wollen. „Es liegt eine ganze Reihe von Jahren zwischen dem Damals und dem Jetzt, und eben diese Jahre dürften auch eine günstige Rückwirkung auf Ihr Schicksal selbst äußern.“
„Ich wußte, was ich bei meiner Rückkehr wagte, und mache mir keine Illusionen über mein Schicksal,“ fiel Brunnow beinahe schroff ein. „Sie sind vermuthlich gekommen, um mir anzukündigen, daß ich mich zur Abführung nach der Festung bereit halten soll?“
„Sie irren, es ist noch nichts darüber bestimmt. Das befremdet Sie? Es ist allerdings auffallend, daß man so lange mit der Entscheidung zögert, ich halte es aber für ein günstiges Zeichen. Ich möchte Ihnen keine voreilige Hoffnungen erwecken, aber es wäre immerhin möglich, daß man mit Rücksicht auf die ganz besonderen Umstände Sie amnestirte.“
Brunnow richtete sich mit größter Lebhaftigkeit auf. „Sie meinen –?“
„Es ist das vorläufig nur meine persönliche Ansicht,“ beeilte sich der Andere hinzuzusetzen. „Ich glaube aber, daß an entscheidender Stelle die Stimmung für Sie eine durchaus günstige ist. Es käme vielleicht nur darauf an, daß Sie auch Ihrerseits die geeigneten Schritte thäten. Ich bin überzeugt, daß ein Begnadigungsgesuch nicht zurückgewiesen würde, wenn Sie sich dazu entschließen könnten.“
„Nein!“ sagte Brunnow mit vollkommener Festigkeit.
„Herr Doctor, bedenken Sie, es handelt sich um Ihre Freiheit. Sie hängt vielleicht an einem einzigen Worte Ihrerseits!“
„Gleichviel, ich bettele nicht um Gnade. Dieses Wort wäre das Eingeständniß einer Schuld, die ich nicht anerkenne, und selbst um meiner Freiheit willen opfere ich nicht die Grundsätze meines Lebens. Mag man mich begnadigen oder nicht, ich werde niemals darum bitten.“
Der Polizeidirector verwünschte innerlich den „hochmüthigen Starrkopf dieses alten Demagogen“. Ein Begnadigungsgesuch desselben wäre so unendlich gelegen gekommen für die Concession, die man nun einmal entschlossen war der öffentlichen Meinung zu machen, aber es war leider nicht zu erreichen. Der erste Theil der Mission war gescheitert, und der Herr Director ging nunmehr zu dem zweiten über. Er gab sich auch hier natürlich nicht die Miene, im Auftrage zu sprechen, sondern hielt den Ton eines ganz absichtslosen Privatgespräches fest.
„Das hängt allerdings von Ihnen allein ab,“ nahm er wieder das Wort. „Sie erschweren aber dadurch Ihren Freunden, für Sie thätig zu sein, und es werden doch ganz ungewöhnliche Anstrengungen zu Ihre Gunsten gemacht.“
„Von wem?“ fragte der Doctor auf das Aeußerste befremdet. „Ich habe keine Freunde, die in Regierungskreisen auch nur den mindesten Einfluß besitzen.“
„Vielleicht bessere, als Sie glauben. Sollten Sie es wirklich nicht wissen, daß der Gouverneur selbst Alles aufbietet, um Ihre Begnadigung zu erlangen?“
„Arno Raven – so?“ fragte Brunnow langsam.
„Ja, der Freiherr von Raven. Er war es auch, der mir, als ich ihm die Nachricht Ihrer Verhaftung brachte, die größte Rücksicht gegen Sie zur Pflicht machte.“
Brunnow schwieg. Der Polizeidirector, der vergebens auf eine Antwort wartete, fuhr nach einer kurzen Pause fort:
„Er scheint sich noch immer für Sie zu interessiren. Es ist freilich natürlich, daß ihm das Schicksal des einstigen Jugendfreundes nicht gleichgültig ist.“
Der Doctor blickte finster auf. „Weiß man das hier schon? Seine Excellenz der Gouverneur hat doch schwerlich davon gesprochen.“
„Er selbst allerdings nicht. Sie werden es wohl begreiflich finden, daß ein Mann in der Stellung des Freiherrn nicht öffentlich Jugendbeziehungen eingestehen kann, die einen so schroffen Gegensatz zu seiner eigenen Lebensrichtung bilden.“
„Zu seiner späteren Lebensrichtung, meinen Sie;“ die Stimme Brunnow’s klang scharf und hohnvoll. „Mit der früheren waren jene Beziehungen allerdings mehr im Einklange.“
„Sie wollen doch nicht etwa behaupten, Herr von Raven habe jene Bestrebungen gekannt, die Sie auf die Anklagebank führten?“ fragte der Polizeidirector mit einem Lächeln, das darauf berechnet war zu reizen, und diesen Zweck auch erreichte, denn Brunnow begann sichtlich erregt zu werden.
„Ich behaupte nicht allein, daß er sie gekannt, sondern daß er sie im vollsten Maße getheilt hat,“ entgegnete er heftig.
„Ja, ich erinnere mich, er wurde damals auch verdächtigt,“ warf der Andere mit demselben ungläubigen Lächeln hin. „Aber das war Verleumdung. Es gelang dem Freiherrn, sich vollständig von dem Verdachte zu reinigen, denn er wurde in Freiheit gesetzt und erhielt sogar eine Genugthuung für die unschuldig erlittene Haft, die Stelle als Secretär des Ministers.“
„Als Preis seines Verrathes!“ brach der Doctor aus, der keine Ahnung davon hatte, daß man ihn planmäßig in eine immer größere Gereiztheit und Erbitterung hineintrieb, und der es nicht vermochte, länger an sich zu halten. „Es war die erste Stufe jener Leiter, auf welcher er zu seiner jetzigen Höhe emporstieg. Er erkaufte sie mit dem Fall seiner Freunde, mit dem Verrath an seiner Ueberzeugung und seiner Ehre.“
„Herr Doctor, mäßigen Sie sich!“ ermahnte der Polizeichef mit entrüsteter Miene. „Das ist ja eine furchtbare Beschuldigung, die Sie gegen den Gouverneur schleudern. Es kann nur ein Irrthum oder eine Unwahrheit sein.“
„Eine Unwahrheit?“ rief Brunnow, in vollster Leidenschaft auflodernd. „Ich sage Ihnen, daß es die Wahrheit ist, aber Sie halten natürlich den Freiherrn von Raven dessen nicht fähig. Sie halten mich eher für einen Lügner, einen Verleumder.“
„Ich habe nichts dergleichen andeuten wollen, aber ich möchte doch ernstlich daran zweifeln, daß Sie es wagen würden, das eben Geäußerte vor Anderen zu wiederholen.“
„Ich würde es nöthigenfalls vor der ganzen Welt wiederholen. Ich würde es Raven selbst in’s Antlitz schleudern, wie ich das schon einmal that, als –“ Brunnow hielt plötzlich inne, die gar zu lebhafte Spannung auf dem Gesichte seines Zuhörers brachte ihn zur Besinnung. Er vollendete den Satz nicht, sondern wendete sich unmuthig ab.
„Sie wollten sagen –“ half der Polizeidirector ein.
„Nichts, gar nichts!“ war die störrische Antwort.
„Ich begreife Sie wirklich nicht. Wenn die Sache sich so verhält, so haben Sie doch nicht den mindesten Grund, den Gouverneur zu schonen.“
„Ich schone ihn nicht,“ sagte Brunnow finster, aber ich will an dem, den ich einst Freund genannt habe, nicht zum Denuncianten werden. Wenn ich diese Waffen überhaupt gegen ihn hätte brauchen wollen, so wäre es längst geschehen. Sie treffen sicherer und tödtlicher als der Angriff eines Winterfeld,
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 487. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_487.jpg&oldid=- (Version vom 11.8.2016)