Verschiedene: Die Gartenlaube (1878) | |
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dorthin gesandt hatte, um eine Annäherung zu verhindern. Die Dame hatte jetzt wichtige Dinge im Kopfe, und da sie bei Gabriele so gar kein Verständniß für die Toilettenangelegenheiten fand, klingelte sie ihrer Kammerjungfer und begann eine ausführliche Berathung mit derselben. Es war merkwürdig, wie sehr diese Reise die Lebensgeister der Baronin anzuregen vermochte ihre Krankheit und Mattigkeit schienen auf einmal verschwunden; sie traf die nöthigen Anordnungen mit einem Eifer und einer Lebhaftigkeit, die schon jetzt den besten Erfolg von dieser „Luftveränderung“ hoffen ließ.
Der Freiherr war unmittelbar, nachdem er seine Schwägerin verlassen hatte, zu dem Oberst Wilten gefahren. Er hatte von jeher freundschaftlich mit ihm verkehrt, und in der letzten Zeit war dieser Verkehr noch enger und vertrauter geworden, wenigstens von Seiten der Wilten’schen Familie, die mit vollem Eifer die Verbindung zwischen dem Sohne des Hauses und der jungen Baroneß Harder anstrebte. Heute aber lag in dem Empfange und der ganzen Haltung des Obersten eine gewisse Gezwungenheit, die er sich zwar Mühe gab zu verbergen, indem er lebhafter und angelegentlicher sprach, als es sonst seine Art war. Der Freiherr achtete nicht darauf; er war von ganz anderen Gedanken erfüllt und nicht in der Stimmung, auf solche Dinge Gewicht zu legen. Er wollte eben das Gespräch auf die Sicherheitsmaßregeln in der Stadt lenken, die noch größtentheils in den Händen des Militärs lagen, als Wilten ihm zuvorkam und mit einer gewissen Hast fragte:
„Haben Sie schon nähere Nachrichten aus der Residenz erhalten? Sie erwarten ja wohl Antwort auf Ihren Brief hinsichtlich der Winterfeld’schen Broschüre.“
Die Stirn des Freiherrn verfinsterte sich auffallend bei der Frage, und es vergingen einige Secunden, ehe er antwortete.
„Ja,“ sagte er endlich. „Die Antwort ist heute Morgen eingetroffen.“
„Nun?“ fragte der Oberst in größter Spannung.
Raven lehnte sich in den Sessel zurück, und in seiner Stimme lag ebenso viel Spott wie Bitterkeit, als er erwiderte:
„Man scheint in der Residenz vollständig zu vergessen, daß ich als Vertreter der Regierung in ihrem Namen gehandelt habe, und daß man mein Wirken jahrelang mit allen Kräften unterstützte. Sie hatten Recht, mich vor den Intriguen zu warnen, die dort gegen mich gesponnen werden. Ich sehe es erst jetzt, wie unterwühlt der Boden ist, auf dem ich stehe. Vor wenigen Monaten noch hätte man es nicht gewagt, wir eine solche Antwort zu geben.“
„Wie, man hat doch nicht etwa versucht, Ihnen anzudeuten –?“ der Oberst hielt inne, er mochte den Satz nicht aussprechen.
„Man hat mir sehr Vieles angedeutet. Allerdings in verbindlichster Form und mit einem ungemeinen Aufwande von Redensarten, aber die Sache selbst bleibt die gleiche. Ich glaube, es wäre den Herren in der Residenz nicht unlieb, wenn ich ginge. Es giebt dort verschiedene Persönlichkeiten, denen ich sehr im Wege bin und die jeden Angriff nach Kräften gegen mich ausbeuten werden. Ich bin aber vorläufig noch nicht gesonnen, ihnen Platz zu machen.“
Oberst Wilten schwieg und sah vor sich nieder.
„Auch die jüngsten Ereignisse hier in der Stadt geben Anlaß zu ernstlichen Differenzen,“ fuhr Raven fort. „Ich habe deswegen einen lebhaften Depeschenwechsel mit der Residenz gehabt. Man begreift durchaus nicht, daß das Einschreiten des Militärs nothwendig war. Man giebt mir Allerlei anzuhören, von schwerer Verantwortlichkeit, maßloser Erbitterung der Bevölkerung und dergleichen mehr. Ich habe einfach geantwortet: Aus der Ferne lasse sich dergleichen nicht beurtheilen. Ich sei zur Stelle und wisse, was Noth thue, und ich würde genau dasselbe thun, wenn die Unruhen auf’s Neue ausbrechen sollten.“
In dem Gesichte des Obersten zeigte sich wieder jene Gezwungenheit, die im Laufe des Gespräches allmählich gewichen war.
„Das dürfte kaum möglich sein,“ bemerkte er. „Es ist wahr, die Erbitterung ist größer, als wir anfangs glaubten, und ich sagte es Ihnen ja schon früher, man wünscht bei solchen Anlässen die militärischen Maßregeln durchaus zu vermeiden.“
„Es kommt nicht darauf an, was man wünscht, sondern auf das, was nothwendig ist,“ erklärte der Freiherr mit jener Schroffheit, die bei ihm stets eine große innere Gereiztheit barg.
„So wollen wir hoffen, daß die Nothwendigkeit nicht wieder eintritt,“ sagte Wilten, „denn ich bin leider – ich wäre gezwungen – mit einem Worte, ich müßte Ihnen meinen Beistand versagen, Excellenz.“
Raven fuhr auf und richtete einen funkelnden Blick auf den Sprechenden.
„Was soll das heißen, Herr Oberst? Sie kennen doch meine Vollmachten? Ich kann Ihnen versichern, daß sie noch in ihrem vollem Umfange bestehen.“
„Daran zweifle ich nicht, aber die meinigen sind beschränkt worden. Ich habe künftig nur den Weisungen meiner Vorgesetzten zu folgen.“
„Sie haben Gegenbefehl?“ fragte der Freiherr rasch und heftig.
„Ja,“ war die etwas zögernde Antwort.
„Seit wann?“
„Seit gestern.“
„Darf ich die Ordre sehen?“
„Ich bedaure, sie ist nur für mich allein bestimmt.“
Raven wendete sich ab und trat an das Fenster; als er sich nach wenigen Minuten wieder umwandte, lag eine fahle Blässe auf seinem Gesichte.
„Das heißt also, man bindet mir vollständig die Hände. Wenn die Revolte sich wiederholt und die Polizei zu deren Bewältigung nicht ausreicht, so bin ich machtlos und die Stadt ist preisgegeben.“
Wilten zuckte die Achseln. „Ich bin Soldat, Excellenz, und muß gehorchen.“
„Allerdings, Sie müssen gehorchen – ich sehe das ein.“
Es folgte eine sehr unbehagliche Pause. Der Oberst schien nach irgend einer Ablenkung zu suchen, aber Raven kam ihm zuvor.
„Wenn die Sache so steht, ist die Rücksprache, die ich mit Ihnen nehmen wollte, überflüssig,“ sagte er mit erzwungener Ruhe. „Bitte, keine Entschuldigung, ich begreife, daß es Ihnen persönlich sehr peinlich ist, aber Sie können es nicht ändern, also brechen wir davon ab! – Ich möchte noch eine Privatangelegenheit mit Ihnen besprechen. Sie bereiteten mich darauf vor, daß Ihr Sohn eine Bitte an mich richten würde. Lieutenant Wilten hat sich allerdings noch nicht erklärt, und das war in dieser Zeit der Unruhe und Aufregung auch wohl nicht möglich.“
„Ganz unmöglich,“ stimmte der Oberst bei. „Ich habe es Albrecht begreiflich gemacht, daß es ein Mangel an Zartgefühl wäre, wenn er Sie jetzt, wo so Vieles auf Sie einstürmt, mit solchen Dingen behelligen wollte. Er ist auch meinen Gründen gewichen; überdies muß er morgen abreisen.“
„So plötzlich?“ fragte Raven befremdet. „Wohin denn?“
„Er geht in einer dienstlichen Angelegenheit nach M. und wird voraussichtlich mehrere Wochen dort bleiben,“ entgegnete der Oberst, der unter dem finsteren, forschenden Blicke des Freiherrn sichtlich verlegen wurde. „Ich hatte zwar ursprünglich einen anderen meiner Officiere dazu bestimmt, aber ich kann diesen jetzt nicht entbehren, und mein Sohn als der Jüngste ist am leichtesten abkömmlich. Die besprochene Sache kann also vorläufig ruhen; später, nach Albrecht’s Rückkehr, wird sich ja wieder daran anknüpfen lassen.“
Um Raven’s Lippen legte sich ein sehr herber Ausdruck, als er erwiderte:
„Ich wünsche im Gegentheil diese Sache jetzt ein für alle Mal zu erledigen. Meine Schwägerin ist leider nicht im Stande, die Hoffnungen zu erfüllen, die sie dem jungen Baron gemacht hat. Sie hat sich überzeugt, daß ihre Tochter doch nicht genug Neigung für ihn besitzt, um sich zu dieser Verbindung zu entschließen, und weder sie noch ich werden irgend einen Zwang auf Gabriele ausüben.“
„Das würden wir auch niemals zugeben,“ fiel Wilten eifrig ein. „Nur keinen Zwang, nur keine Ueberredung in solchen Dingen! Mir freilich wird es sehr schwer, die langgehegte Hoffnung aufzugeben, und mein Sohn vollends wird außer sich sein, aber wenn er auf keine Gegenliebe hoffen darf, so ist es besser, er entsagt bei Zeiten seiner Neigung. Ich werde ihm ernstliche Vorstellungen deswegen machen.“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_447.jpg&oldid=- (Version vom 9.8.2016)