Verschiedene: Die Gartenlaube (1878) | |
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ein, um es dann nach und nach in den damals noch anders gehaltenen Avancementsverhältnissen zum Fähnrich, Adjutanten, Lieutenant und Hauptmann zu bringen und als Verwalter der Solitude und mit dem Titel „Major“ die letzten Lebensjahre still und stolz im Ruhme seines Sohnes zu genießen. Dieser wurde ihm also nicht in der Barbierstube von Marbach geboren, und wie derselbe später als Feldscherer in die Dienste des Herzogs eintrat, hatte er auch nicht seine Wundarztkunst praktisch bei einem Chirurgen erlernt, sondern eine durchaus wissenschaftliche Ausbildung dafür auf der Karlsschule genossen, sodaß die Verwandtschaft mit dem Beruf der Barbiere hier nicht Platz greift.
Ein verdienter Zeitgenosse Schiller’s war der Kupferstecher Joh. Heinrich Lips aus der Schweiz, welcher anfänglich zum Wundarzt bestimmt worden war. Lavater führte ihn der Kunst zu, und mit den Kupferstichen zu dessen physiognomischen Fragmenten erwarb sich Lips seinen ersten Ruhm. Goethe berief ihn dann als Director der Zeichenakademie nach Weimar, doch kehrte er nach zwei Jahren schon wieder in die Schweiz zurück, um mit erstaunlichem Fleiß sich ausschließlich seiner Kunst zu widmen. Man hat von ihm an 1500 Stiche, unter ihnen viele vorzügliche und theuer bezahlte.
Auch der Schauspieler Bök ist ursprüglich Barbier gewesen. In Mannheim wurde er der Freund Schiller’s, als dieser sich dort einige Zeit aufhielt. Iffland, Beck, Müller wirkten als vorzügliche Darsteller an diesem damals ersten deutschen Hoftheater, und Bök war es, der zum ersten Male die Rollen des Karl Moor und des Fiesco spielte.
Erwähnen muß man hierbei die Verherrlichung, welche zu Ausgang des vorigen Jahrhunderts dem Barbier durch typische Einführung in die darstellenden Künste wurde. Beaumarchais hatte in „Figaro“ den liebenswürdigen, schalkhaften Vertreter dieses Berufes geschaffen, Mozart ihn darnach durch seine Oper unsterblich gemacht, und Rossini verschaffte später derselben Figur neue Ehren.
In Wirklichkeit gab es auch gerade damals besonders zahlreiche Barbiere, welche sich durch hervorragende Leistungen auf den verschiedensten Gebieten menschlicher Thätigkeit auszeichneten. Der Barbier Boyer arbeitete sich in Paris, durch eisernen Fleiß und Studien, zum wissenschaftlich gebildeten Chirurgen empor und wurde 1804 erster Wundarzt Napoleon’s, 1825 Mitglied der Akademie. In Württemberg machte dieselbe ruhmwürdige Laufbahn der Chirurg Ludwig unter König Wilhelm; er starb als geadelter Staatsrath, mit Hinterlassung eines ansehnlichen Vermögens zu wohlthätigen Stiftungen.
Wohlthun ist überhaupt ein hervorstechender Zug in dem Leben berühmter Männer, die der Barbierstube entstammten. Johannes Falk aus Danzig war gelernter Perrückenmacher wie sein Vater, studirte dann aber und machte sich in Weimar 1806 beim Einmarsch so verdient um das Land, daß er zum Legationsrath ernannt wurde. Er stiftete eine Schule für verwahrloste Kinder, die noch jetzt in Weimar als „Falk’sches Institut“ besteht. Eine Menge literarischer Werke haben ihm außerdem als einem bedeutenden Schriftsteller Ehre eingetragen. Stanislaus Staszyc, ein Pole, der als Gelehrter und Staatsmann, namentlich als Minister des Königreichs Polen unter Alexander dem Ersten von Rußland sich außerordentliche Verdienste erworben, verdankte Ruhm und Vermögen seiner eigenen Kraft. Als Barbier ging er in die weite Welt, und als Gelehrter, als Humboldt’s und Buffon’s Freund, kam er in sein Vaterland zurück. Dürftig bis zum Anstößigen lebte er in Warschau als Minister, und dabei schüttete er durch Gründung von Schulen und Instituten, durch stilles Wohlthun einen reichen Segen über das Land aus. Als er 1826 starb, hinterließ er fast eine Million Rubel, die er den Instituten in Warschau vermacht hatte; seine Güter vertheilte er unter seine Bauern, die er schon bei Lebzeiten aus dem Frohndienst entlassen.
Als ein armer Chirurg und Barbier arbeitete sich ebenso Joseph Hume in die Höhe. Er wurde Arzt und seit 1812 Parlamentsmitglied. Seine erste Rede hielt er über öffentliche Erziehung, und während der vierunddreißig Jahre seines Wirkens im englischen Parlamente hörte er nicht auf, als Menschenfreund eine rastlose Thätigkeit zu entfalten. Für Reform der Criminalgesetzgebung, für Freihandel, Ausdehnung des Wahlrechts und Gründung von Sparcassen erwarb er sich trotz aller Widersprüche und Verspottungen eine große Bedeutung und ein gesegnetes Andenken. Nicht minder haben sich John Henry Abbott und Turner in diesem Jahrhunderte als Söhne von armen Londoner Barbieren ausgezeichnet; der eine ist Lord Tenterden und Lordoberrichter geworden, der andere ein trefflicher Landschaftsmaler, der englische Claude Lorrain, dessen eminenter Fleiß ihn zum Schöpfer einer großen, herrlichen Bildergallerie werden ließ, die er bei seinem 1851 erfolgten Tode seinem Volke vermachte.
Wie herzlich sauer mußten es sich doch in alten Zeiten die „ehrsambten und fürsichtigen“ Handelsherren und Goldwechsler werden lassen, um die beinahe durchweg dem morgenländischen Ritus der Beschneidung unterworfenen Ducaten und Pistolen ihrem Werthe gemäß zu würdigen! Fast ergreift uns Mitleid beim Anblicke jener alten Kaufherren mit der Brille auf der Nase und der schwankenden Goldwage in der zitternden Hand, wie sie uns Quentin Messys[WS 1] und andere Niederländer gemalt haben, und selbst der prächtige Goldwieger Rembrandt’s beginnt uns trotz der um ihn her in dem mächtigen Kaufgewölbe aufgestapelten Reichthümer zu dauern, wenn wir denken, daß er noch den Inhalt aller vor ihm stehenden Ducatensäcke Stück für Stück nachwiegen soll.
Seit die Goldwährung bei uns eingeführt ist, hat wohl Mancher die vom Großvater ererbte Goldwage aus dem abgegriffenen Futterale wieder hervorgeholt, wenn er sich nicht eine der in den letzten Jahren schaarenweise patentirten neuen Goldwagen angeschafft hat. Dieselben lassen sich in zwei Hauptclassen eintheilen, nämlich in solche, die nur zum gelegentlichen Nachwiegen einzelner verdächtiger Stücke bestimmt sind, und in andere, welche dem dicken Goldwieger Rembrandt’s viel Schweiß gespart haben würden, da er ihnen seine Schätze sackweise hätte übergeben können, unter Garantie einer gewissenhaften Aussonderung aller nicht vollwichtigen Stücke.
Die Goldwagen der ersteren Gattung sind der Mehrzahl nach einfache, wenn auch oft sehr praktisch eingerichtete Hand-Schnellwagen, das heißt ungleicharmige Hebel, bei denen man die zwei bis drei im Verkehr befindlichen Goldmünzen mit einem sogenannten Läufergewichte wiegt, oder sie selbst als Läufergewicht mit einem unbeweglichen Gegengewichte vergleicht. Es handelt sich ja in allen diesen Fällen nur um die Erreichung des sogenannten Passirgewichtes, also eines Grenzwerthes, an dem nichts fehlen darf. Eine äußerst sinnreiche Wage für den gleichen Zweck hat der bekannte Volksschriftsteller A. Bernstein in Berlin vor zwei Jahren erdacht, bei welcher man die zu prüfenden Goldstücke durch eine geneigte Laufrinne auf der hohen Kante rollen und über die auf besondere Weise unterstützte Wägeplatte hinweglaufen läßt, etwa wie man mit Lastwagen auf die großen Brückenwagen fährt, wobei aber das Goldstück ohne Aufenthalt weiterrollt und gleichsam im Trabe gewogen wird. Die Rollbahn besitzt am unteren Ende zwei Ausgänge nebeneinander, die von einer vor dem Zwischenpfosten stehenden Blechfahne abwechselnd geöffnet und geschlossen werden, je nachdem sich das Fahnenblatt an die rechte oder an die linke Seitenwand der Bahn vor den Eingängen anlehnt. Nehmen wir an, das Stück habe nicht den vorgeschriebenen Minimaldruck auf die Platte geübt, so stellt sich die in demselben Augenblicke von dem Mechanismus benachrichtigte Fahne so, daß sie die Pforte der Gerechten verschließt, sodaß das Stück seinen Lauf zu den andern zu leicht befundenen Sündern nehmen muß. Die Fahne verrichtet also das Amt des heiligen Michael mit der Seelen-Wage und dem Gerichtsschwert auf den alten Auferstehungsbildern, und wenn ich nicht irre, ist auf diesen von der Firma Ravené und Söhne in Berlin (Wallstraße 92 u. 93) gelieferten Wagen die „Pforte der Gerechten“, jener religiösen Anschauung gemäß, wirklich zur Rechten und die der armen Sünder zur Linken der
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ gemeint ist Quentin Massys
Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 432. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_432.jpg&oldid=- (Version vom 9.8.2016)