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Seite:Die Gartenlaube (1878) 424.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)


werden sich erinnern, daß ich Ihren Plänen von Anfang an fern geblieben bin. Sie hätten sich der Fügsamkeit Ihrer Tochter versichern sollen, ehe Sie bestimmte Versprechungen gaben. Jedenfalls muß die Sache jetzt zur Sprache gebracht werden. Ich fahre von hier aus zu Wilten und werde bei unserer heutigen Conferenz Gelegenheit nehmen, ihm Gabrielens Weigerung mitzutheilen. – Jetzt aber zu dem eigentlichen Zwecke meines Kommens! Sie sind leidend?“

„Ja wohl, sehr leidend!“ flüsterte die Baronin, indem sie mit dem Ausdrucke der größten Mattigkeit wieder in die Kissen zurücksank.

„So möchte ich Ihnen einen Vorschlag machen. Der Arzt spricht von nervösen Zuständen und empfiehlt nur Luftveränderung, um so mehr, als der Herbst bei uns sehr rauh und unfreundlich zu sein pflegt. Ueberdies ist bei den jetzigen Zuständen in der Stadt an irgend ein Gesellschaftsleben für die nächste Zeit nicht zu denken. Ich rathe Ihnen daher, die Einladung Ihrer Freundin der Gräfin Selteneck, anzunehmen, von der Sie mir neulich sprachen, und auf einige Wochen mit Ihrer Tochter nach der Residenz zu gehen.“

Gabriele, die das Gespräch verfolgte, ohne sich daran zu betheiligen, bebte bei den letzten Worten zusammen, und ein unwillkürlicher Ausruf entfuhr ihren Lippen:

„Nach der Residenz?“

„Ja,“ sagte Raven, sich zum ersten Male zu ihr wendend, mit herber Ironie. „In Deinen Wünschen liegt das doch gewiß.“

Das junge Mädchen schwieg, aber die matten Züge der Baronin belebten sich plötzlich.

„Wie? Sie wären mit diesem Besuche einverstanden?“ fragte sie. „Ich leugne es nicht, daß ein kurzer Aufenthalt in der Residenz und ein Wiedersehen mit meinen dortigen Freunden und Bekannten mir sehr erwünscht wäre, aber die Rücksicht auf Ihre Wünsche, meine Pflichten als Repräsentantin Ihres Hauses –“

„Binden Sie in diesem Falle durchaus nicht,“ fiel der Freiherr ein. „Ich wiederhole Ihnen, daß unter den jetzigen Verhälnissen von Festlichkeiten keine Rede sein kann. Es läßt sich nicht mit Sicherheit bestimmen, ob die Unruhen sich nicht doch wiederholen, und ich möchte Sie nicht zum zweiten Male einer so gefährlichen Angst und Aufregung aussetzen. Ich bitte Sie daher, so bald wie möglich die Vorbereitungen zur Abreise zu treffen. Wenn Sie zurückkehren, ist hoffentlich Alles geordnet.“

„Ich füge mich, wie immer, Ihren Wünschen,“ erklärte die Baronin, der die Fügsamkeit diesmal außerordentlich leicht wurde. „Wir werden in Kurzem reisefertig sein, und auch auf Gabriele, hoffe ich, wird die Zerstreuung wohlthätig wirken; sie ist jetzt so bleich und still, daß ich wirklich anfange, für ihre Gesundheit zu fürchten.“

Raven schien die letzte Bemerkung zu überhören; er erhob sich. „Das wäre also abgemacht. Was Sie etwa noch für die Reise nothwendig halten sollten, steht zu Ihrer Verfügung. Jetzt aber muß ich Sie verlassen, Mathilde; mein Wagen wartet bereits.“

(Fortsetzung folgt.)




Die jetzigen Herrscherinnen Aegyptens.

Als der Khedive vor sechs Jahren seine seitdem dahingegangene Tochter Zenab-Hanem mit dem Prinzen Ibrahim-Pascha und Faika-Hanem, das Adoptivkind seiner dritten Gemahlin, mit Mustapha-Pascha vermählte, fiel mir an den mit Goldschrift versehenen Karten, welche die vornehme Herren- und Damenwelt Kairos und Alexandriens zu den für die Doppelhochzeit veranstalteten Festlichkeiten luden, Eines auf: all diese Karten sprachen von einer Hochzeit, nannten den Namen des Bräutigams, verschwiegen aber den der Braut. Ich war damals noch ein Neuling im Lande der Muslimen und wußte nicht, was ich seitdem erfahren, daß sich nämlich die orientalischen Frauen nicht nur nicht zeigen dürfen, sondern auch für jeden Fremden als nicht existirend zu gelten haben. Haremsverhältnisse sind als unter Schleier (sitr) stehend zu betrachten, und was hinter demselben vorgeht, was er verhüllt, darüber fragt kein Orientale den andern, giebt kein Mohammedaner dem andern Auskunft, geschweige denn einem Nichtmohammedaner. Nur aus diesem Grunde war bisher eine Volkszählung in unserm Sinne in Aegypten unausführbar.

In den höchsten Kreisen wird indessen der den Harem verhüllende Sitr mit jedem Tage durchsichtiger, und wie der Gesichtsschleier jetzt nur noch von seiner Gaze, von jenem verschönernden Gewebe, das die Frauen tulle illusion nennen, ist, ein Schleier, der die Züge der sogenannten gefangenen Schönen keineswegs verhüllt, so ist auch der Vorhang, welcher den Harem von der Welt abschließt, nicht mehr so dicht, daß diese Welt nicht die Silhouetten derjenigen erkennen könnte, welche sich hinter demselben bewegen. Namen und Alter der weiblichen Mitglieder des ägyptischen Herrscherhaus stehen bereits in dem Gothaischen Hofkalender, und es dürfte die Zeit nicht mehr fern sein, wo unter den fürstlichen Portraits dieses Almanachs auch eine ägyptische Königstochter zu bewundern sein wird. Ja, zu bewundern, denn beide Töchter Ismail-Paschas sind von seltener Schönheit. Es sei mir gestattet, dem Gothaischen Kalender zuvorzukommen und den Lesern der „Gartenlaube“ die durch geistige oder physische Eigenschaften hervorragenden Frauen der viceköniglichen Familie vorzuführen! Leider kann ich dem verehrten Leserkreise nicht auch die Portraits dieser so einflußreichen Persönlichkeiten zeigen, nicht weil dieselben nicht existiren, sondern weil diese Photographien mit dem Versprechen angenommen wurden, sie keinen Sterblichen sehen zu lassen, und ich überzeugt bin, daß sowohl meine Leserinnen wie meine Leser eine solche Indiscretion nicht billigen würden.

Wie es das mohammedanische Gesetz verlangt, will ich vor Allen von der Mutter des Khedive sprechen. In muslimischen Familien nimmt die Mutter, wenn der Vater nicht mehr am Leben ist, den ersten Platz ein, den sie lebenslänglich bewahrt, von dem sie keine Schwiegertochter verdrängen kann, wie es leider nur allzu häufig in unseren Familienkreisen geschieht.

Es ist gesagt worden, daß die Orientalen der Mutter nur deshalb den ersten Rang in ihrem Harem einräumen, weil sie diesen bevorzugten Rang keiner der ihnen gesetzlich erlaubten vier Frauen geben wollen, um die übrigen drei nicht zu erbittern, ihnen gegenüber nicht im Unrechte zu sein, da ja im Koran geschrieben steht, daß derjenige Muslim, welcher gegen vier Frauen nicht gerecht sein könne, sie nicht alle mit gleicher Liebe zu behandeln im Stande wäre, nur ein legitimes Weib heimführen dürfe. Diese Behauptung ist indeß nicht richtig – dem Muttercultus der Mohammedaner liegt ein tieferes, aus dem Herzen quellendes Gefühl zu Grunde. Die wenigsten Muslimen können die Kosten bestreiten, welche die Unterhaltung mehrerer Frauen mit sich bringt, und müssen sich mit einer begnügen, aber auch dann bleibt die Mutter im Hause die Erste. Auch hat der Prophet Mohammed, als er gefragt wurde, welches Glied der Familie das größte Anrecht auf Ehrfurcht und Liebe habe, ausgerufen: „Die Mutter! Die Mutter!“

So nimmt auch die Mutter des Khedive den ersten Rang im viceköniglichen Harem ein. Ismail-Pascha hält es für seine Sohnespflicht, Prinzessin Tschachma zu Rathe zu ziehen, wenn er auch weiß, daß er, da sie eine Zelotin und Feindin aller Neuerungen ist, nicht oft in die Lage kommen kann, ihre Rathschläge zu befolgen. Sie allein trägt sich noch immer orientalisch; das verleiht ihr ein charakteristisches Aussehen, welches den übrigen Frauen des viceköniglichen Harems leider fehlt, weil diese sämmtlich der Pariser Mode huldigen. Monatelang kämpfte die Königin-Mutter gegen die den Fremden entlehnte Sitten sie ganz abzuschaffen gelang ihr nicht, doch sie erlangte vom Khedive, daß sich die fürstlichen Gattinnen und Töchter auf offener Straße nicht ohne Rob oder Sebleh, einen hellfarbigen seidenen Mantel mit großen Aermeln, der die ganze Gestalt verhüllt, zeigen dürfen. Der Prinzessin Tschachma wird auch jene vor drei Jahren eingetretene antieuropäische Strömung zugeschrieben, welche die Abschaffung der europäischen Hofmeister, Erzieherinnen und Kinderwärterinnen zur Folge hatte. Diese Stellen wurden damals durch einheimische und türkische Persönlichkeiten besetzt, weil man endlich zur Ueberzeugung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 424. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_424.jpg&oldid=- (Version vom 5.1.2019)